Mei liab's Brixentoi
Zwischen dem „ruadn Bichi“ und der Klausenkapelle erstreckt sich ein Tal voller Geschichten.
„Schau, da håb i a Liadl g’fund’n, des passt genau für di,“ sagt Georg Fuchs und reicht mir ein Blatt mit den Noten zu „Mei liabs Brixentoi“, vertont von Franz Hammer. Der Text kommt von Grete Brix, einer Hopfgartnerin. Dieses Lied als Auftakt für eine Geschichte übers Brixental? Besser geht’s ja gar nicht, das passt.
Wir sitzen im Wohnzimmer, daheim bei Georg Fuchs in Westendorf, mit herrlichem Blick auf die Hohe Salve. Wunderbar, inspirierend. Georg hat weitere Unterlagen zusammengetragen über das Brixental.
Wir beginnen mit dem westlichen Talende bei Hopfgarten. Der „ruade Bichi“ unterhalb des Schlosses Itter markiert die Grenze. Aufmerksame „Bei ins dahoam“-Leser wissen, dass eben deshalb das Schloss eine Grenzfeste war des Hochstiftes Regensburg gegen das Bistum Salzburg. Nach einer sehr wechselhaften Geschichte befindet es sich heute in Privatbesitz (ein ausführlicher Bericht über Schloss Itter erschien in der 4. Ausgabe von Bei ins dahoam). Aber auch Hopfgarten hatte seine Burg, und zwar Burg Engelsberg, thronend am Zusammenfluss der Windauer und Kelchsauer Ache. Burg Engelsberg fiel wie einst Schloss
Itter den aufständischen Bauern in die Hände, wurde allerdings nach der Zerstörung nicht mehr aufgebaut. Heute sind nur mehr Reste der Grundmauern erhalten. Besser meinte es das Schicksal mit der Elsbethenkirche, die im 15. Jahrhundert unterhalb der Anlage errichtet worden war. Das „Eschbetenkirchei“ ist heute noch ein beliebtes Wallfahrtskirchlein. Auch eine Sage gibt es dazu: Einst wollte ein Ritter von Schloss Itter ein Engelsberger Fräulein heiraten. Doch der Vater war dagegen: „Lieber gebe ich sie dem Ärmsten zur Frau, auch wenn sie sich von Brot und Wasser ernähren müsste.“ Da kam der Ritter – er war ziemlich sauer –, entführte die junge Braut und sperrte sie in ein finst’res Verlies. Er reichte ihr ein Stück Brot und sagte: „Um das Wasser musst du dir selber schauen.“ Da betete die Braut zur heiligen Elisabeth und plötzlich sprudelte eine Quelle. Der Bösewicht war über die Maßen beeindruckt und ließ die junge Dame von dannen ziehen. Zum Dank errichtete man das Elsbethenkirchlein. Es gibt doch nichts Schöneres als ein Happy End.
Georg ist ein "Ikais"
„Owa de Kapelle obn am Penningberg, de is a a richtig‘s Kleinod“, verrät Georg. Seit sie 1736 erbaut wurde, müssen es die Bauern des Penningberger Dörfls selbst betreuen – jedes Jahr ein anderer, nach dem Kirchtag im Herbst wird gewechselt. Er hat selbst oft zugeschaut, wie die Bäuerinnen die Kapelle mit Blumen schmücken, wie sie putzen und selbst – ohne Pfarrer oder Vorbeter – den Rosenkranz beten. Georg kommt nämlich vom Penningberg. Aber nicht von einem Bauernhof, seine Familie waren Ikais. Ikais? Ja, was ist das denn? Da lacht Georg, weil er sich an eine Geschichte aus seiner Kindheit erinnert, daran, wie er auch dem Fräulein Lehrerin einmal erklären musste, was ein Ikais ist. „Des is oana, der net vom Bauern kimbt, ganz einfach.“
Georg Fuchs wurde 1946 geboren, in eine Arbeiterfamilie hinein. Der Kooperator in Hopfgarten empfahl damals viele seiner Ministranten ins Borromaeum in Salzburg, darunter auch den Georg. Er kam also in sehr jungen Jahren in die Stadt. „Des wår a harte Zeit“, sagt Georg, „i hab ziemlich Heimweh kåbt. Aber wenn i heit a diam nåchdenk, es war net Heimweh nach der Mam oder nach dem Tat, vielleicht iss des Brixental g’wesen, die Heimat.“ Wenn ihn in der Stadt etwas über die Runden gehalten hat, dann war es die Musik. Gleich in den ersten Wochen „klaubte“ sich der Musikprofessor den Georg heraus und schickte ihn zum Chor. Zur Überraschung des jungen Mannes, denn Zuhause hatte die Familie nicht oder doch kaum gesungen. Nun hatte er fast jeden Tag Chorprobe. „Des is ma dånn scho a auf‘d Nerven gången, dia Mozartmessen en masse. Heit schätz i den Mozart, owa ois Bua håb ihn nimma hörn kina.“ Georgs Freizeit war also ausgefüllt mit Chorsingen und bald auch mit Trompete spielen. War das ewige Üben auch nicht sein Ding, „de Ausrückungen mit da Musig waren toll, weil de Leit gfreit des, wenn da a Musikkapelle mit Buabn auftritt.“ Als Georg die Matura und damit seinen Abschluss machte, schwor er sich, nie mehr in einem Chor zu singen. Er hatte ein für alle Mal genug.
Das dachte er zumindest, doch es sollte anders, ganz anders kommen. Denn kaum war er als Lehrer in der Kelchsauer Schule angestellt, brauchte man ihn als Aushilfe beim Männergesangsverein und beim Kirchenchor Hopfgarten. Schon war er wieder mittendrin in den Proben. An seine Zeit als junger Lehrer denkt der Penningberger gern zurück: „Mei, wia håbn de Kinder glost, wenn‘st erzählt hast, die haben alles gierig aufgesaugt wia a Schwamm. Heit håst es in der Klasse viel schwerer, da stehst in Konkurrenz mit Fernseher und Internet.“
Geheimnisvolle Burg
Aber zurück zu den großen Bauwerken, da hat Georg noch einen Trumpf in der Hand. Man vermutet nämlich, dass es im Windautal eine weitere Burg, die Abschnittsbefestigung von Purgegg, gab. Über sie ist im Laufe der Jahrhunderte im wahrsten Sinne des Wortes Gras gewachsen. Die Bauernhöfe „Burgwegen“ und „Burgegg“ deuten aber auf das Vorhandensein einer befestigten Anlage hin. Es gibt noch weitere Hinweise, aber ganz genau wird es man es wahrscheinlich nie wissen, was sich in alten Zeiten imWindautal abgespielt hat.
Das weiß man im Gegensatz dazu in Westendorf schon, hier ist eine prähistorische Besiedlung durch den Fund von Urnengräbern nachgewiesen. Und das macht die Existenz von „Purgegg“ noch wahrscheinlicher.
Eine Jahrtausende zurückliegende Geschichte hat auch Brixen. In dem eingangs erwähnten Lied schreibt Grete Brix zwar: „Mia z’Hopfgarten då hab’n’s b‘sunders schean mit’n Brixentoia Dom … , doch das geistliche Zentrum des Brixentals war Brixen, es wurde 1812 zum Dekanat erhoben. Eine echte Besonderheit ist die im Pfarrwidum von Brixen aufbewahrte „Taz-Bibliothek“, die 1473 vom ehemaligen Pfarrer Taz gestiftet und nach ihm benannt wurde. Der Großteil der Schriften ist noch in gutem Zustand. Wenn der Pfarrer Zeit hat, gewährt er Interessierten gerne Einlass.
Hopfgartens schlimmste Nacht
Der „Brixentoia Dom“ in Hopfgarten oder die Kirche in Brixen – wer hat nun das schönere Gotteshaus? Das war eine Frage, die die Brixentaler über Jahrhunderte beschäftigte. Und auch Georg meint – als Penningberger: „Wenn ma då so owischaut auf Hopfgarten, då meint ma, es gibt nur den Dom und a paar Häuser herum.“ Wie schlimm muss da jene Nacht am 14. Juli 1932 gewesen sein, als die Kirche lichterloh brannte? Man mag es sich gar nicht ausmalen. Von allen Katastrophen, die Hopfgarten heimgesucht hatten – und es waren gar nicht wenige, besonders Überschwemmungen gab es immer wieder – war diese die schrecklichste für die Hopfgartner. Als die Kirche nur mehr als Ruine rauchte, „herrschten in Hopfgarten Totenstille, Trauer, Verzagtheit, Wut. Man wusste nicht ein noch aus.“1)
Bald wurde es Gewissheit, dass einer der „Hopfgartner Teufel“ den Brand gelegt hatte. Über diese Unholde, die in den Jahren von 1928 bis 1933 im ganzen Brixental mordeten, raubten und brandschatzten, schrieb Felix Mitterer ein Theaterstück – es ist ein Stück über die klaffende Narbe in der Seele der Hopfgartner.
Charakterstark - oder stur?
Die schönen Kirchen im Brixental zeugen von der tiefen Religiosität seiner Bewohner. In diesem Zusammenhang erzählt mir Georg die Geschichte vom Manzl- oder Manhartsglauben: 1809 kam der Aufruf an die Priester des Brixentals, dem Kaiser der Franzosen, Napoleon, den Treueeid zu leisten. Und das, obwohl Papst Pius VII auf Napoleon und seine Anhänger den Kirchenbann verhängt hatte. Dennoch: Alle Priester folgten dem Aufruf, nur einer nicht: Kurat Hagleitner von Aschau. Er hatte schnell viele Anhänger, unter ihnen auch den eifrigsten: den Untermanhartbauer von Westendorf, Sebastian Manzl. So erhielt die Bewegung nach jenem den Namen Manzl- oder Manhartglauben. Für die „Manharter“ waren alle Priester, die den Treueeid auf Napoleon geleistet hatten, ohne geistliche Macht. Sie gingen nicht mehr in die Kirche, sondern feierten Gottesdienst mit „ihrem einzig wahren Priester“ Kurat Hagleitner. Dieser Aufstand kam auch den hohen Geistlichen in Salzburg zu Ohren, doch sie vermochten nicht, die Manharter zu besänftigen. Selbst der Kaiser wurde mit der Angelegenheit befasst. Doch beeindrucken ließen sich die Manharter nicht. „Mia låss’n uns von niemandem was såg’n, wenn, dann nur vom Papst persönlich,“ war ihre Meinung dazu. Mit ihrer Hartnäckigkeit zermürbten sie schließlich Bischöfe, Kardinäle und auch den Kaiser und setzten es durch, dass sie zum Papst in den Vatikan fahren durften. Im Spätherbst 1825 reisten Sebastian Manzl und zwei seiner wichtigsten Gefolgsleute mit Pferd und Kutsche nach Rom. Sie hatten zwar einen Dolmetscher dabei, waren aber fest der Überzeugung, dass der echte Papst als Gottesgesandter wohl auch Deutsch sprechen könne – schließlich wurde bei den Jüngern zu Pfingsten ja auch in allen Sprachen gesprochen. Zum Glück war Papst Leo VII zufällig wirklich des Deutschen mächtig, weil er Nuntius in München gewesen war. Er konnte schließlich alle Bedenken ausräumen. Zurück daheim, kehrten die drei und die meisten ihrer Gefolgsleute in den Schoß der Kirche zurück. Aber nicht alle folgten ihnen. Am längsten lebten die Manharter in Kirchbichl, wo im Jahre 1897 die letzte Manharterin, Theresia Fluckinger, verstarb. „De Westendorfer mecht‘n vo der Gschicht nix wissen,“ bedauert Georg. „Dabei kunntens doch stolz sein auf Männer mit so einer Charakterstärke, die zu ihrer Überzeugung steh’n und sich nit amoi vom Kaiser was såg’n låss’n“, meint er als Penningberger. Der Meinung schließe ich mich an.
Zwei Lehrer, eine Schule
Aber wie kam es eigentlich, dass aus dem Penningberger Lehrer ein Westendorfer wurde? Durch das, was Georg eigentlich mit der Matura abgeschlossen glaubte: durch das Chorsingen. Der damalige Pfarrer von Westendorf holte ihn als Chorleiter nach Westendorf. Da Maria ohnehin eine gebürtige Westendorferin ist, fiel dem jungen Paar die Entscheidung, sich hier niederzulassen, nicht schwer. Kennen gelernt hatten sich Georg und Maria freilich am Penningberg. Da war die junge Frau Lehrerin bei der Mutter zum Essen eingeladen, als Georg auftauchte. Sie plante, mit einer Freundin über den Berg in die Wildschönau zu wandern. „Fragt’s Schorschn, vielleicht måg er mitgeh’n“, schlug die Mama vor. Und Schorsch ging mit und ging noch viel weiter mit Maria, durch’s ganze Leben. Die beiden haben zwei Kinder und mittlerweile auch Enkelkinder. Beide unterrichteten in der Volksschule Westendorf. Georg wechselte später in die Hauptschule, kam dann aber zurück, um an der Volksschule Direktor zu werden. Wenn sich beide den Arbeitsplatz teilen, kommt es da nicht oft zu … Unstimmigkeiten? „Na, überhaupt nit“, sagt Georg. „I hu oiwei gsågt, in der Schule bin i da Chef, und dahoam ku sie‘s sein, damit samma guat g’fohn.“
Und ich „fahre gut“ mit dem Georg als Auskunftsperson für die Historie des Brixentals. Dabei ist das Geschichtliche eigentlich gar nicht sein Spezialgebiet. Als Archivar ließ er sich dennoch verpflichten: „Weil i hoit jetzt Zeit håb.“ Bei schönem Wetter ist er aber lieber auf den Bergen unterwegs, auch wenn es langsam problematisch wird mit Hüfte und Knie. Maria geht gerne mit, auch zum Granggln suchen. „I håb då a Platzei, nit ganz oben, da hamma vü aussa. Owa wo des is, des såg i dir jetzt nit“, meint Georg verschmitzt. Seinem Enkel verriet er den Granggl-Platz aber schon, vor allem, weil der nachgefragt hatte: „Mama, ich mecht mit‘n Opa amoi do eini zu de Granggln. Weil wenn da Opa amoi nimma einiku, dann muass oana wissen, wo des Platzei is“, hatte er gemeint und war wirklich auf dem Moped mitgefahren. Damit bleibt das geheime Platzerl in der Familie.
Vom "weißen Teufel"
Wir schauen wieder hinaus aus dem Fenster, hinein ins schöne Brixental. „Vo Itter drob‘n bis Kirchberg hin ...“ heißt es in dem Lied. So kommen wir nach Kirchberg mit dem im Spertental liegenden Dorf Aschau, von wo es hinauf geht auf den Großen Rettenstein. Ein kleines Juwel in Kirchberg ist die vielbesuchte Wallfahrtskirche „Unserer lieben Frau am Kirchanger“, in der ein „weißer“ Teufel beinahe mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als das Gnadenbild der Muttergottes. Georg kennt auch dazu die Sage: Es gab da einen Wirt, der ein recht lutherisches Leben führte. Statt in die Kirche ging er zum Dirndl. Irgendwann packte ihn ein weißer Teufel beim Schlawittchen und drohte ihm die Hölle an, wenn er sich nicht ändern würde. Da schwor er, dass er sich bessern und ein Kirchlein erbauen würde …
Dort, wo die Flüsse dann in Richtung St. Johann fließen, ist das Brixental zu Ende. Oder dort beginnt es, wie man will. Das Lied endet auf jeden Fall mit „Brixentoi, mei Brixentoi, i hu di ja so gern …“, und so wollen wir auch diese Geschichte enden lassen...
1) Aus einem Interview mit dem Chronisten Direktor Vinzenz Dablander
TEXT: DORIS MARTINZ
FOTOS: JOHANNES KOGLER, DABERNIG
ERSCHEINUNGSDATUM: MAI 2015