Der Brandtner Andrä
… oder wie ein armer Sagler mit null Groschen Eigenkapital
ein Seilbahnimperium aufbaut
Als „Der große Brandtner“ will Andrä nicht porträtiert werden. „Des bin i nit. Im Prinzip hab ich ein ganz tolles Leben g’habt“, sagt der Waidringer. „Und ich möcht nicht einen Tag missen“. Obwohl: „I håb am Ånfång går nix ghåbt!“ Sein Vater stammt von einem Bauern ab, war ein fleißiger Ross-und Holzknecht. Mit dem Verdienst kaufte er sich im Dorf ein Wirtshaus mit 16 Betten, das unter Andrä auf 120 Betten anwachsen wird. „Meine Kindheit war bärig, einfacher wie bei den Kindern heute“. 1942 kommt Andrä nach Hall ins Gymnasium und nach dem Krieg zu den Franziskaner Patres. 1949 maturiert er, doch weil ein Studium keine Aussicht auf Arbeit bietet, meint der Vater: „Wenn dir das Arbeiten wurscht ist, dann bau ma a Såg“. So beginnen sie ohne Waldbesitz und ohne Motorsäge das Sägewerk, ganz klein, und schneiden mit 5 Leuten primitiv, mit den Händen 2000 Meter Holz. Andrä lernt die Holzarbeit selbst von der Pike auf. „Umschneiden håb i nit können. I håb gfåsst und gschepst“. Weil die Arbeit zu mühsam ist, baut er auf den Traktor einen Kran. „Dreißig Jahre hun i gsagelt, bis i die Såg modernisiert g’håbt håb“. Dann haben sie bis zu 19.000 Meter Holz geschnitten, immer noch mit nur 5 Mann.
In Waidring lernt Andrä seine erste Frau Hilda Sailer kennen, die Schwester unseres Skiidols Toni. Andrä wird Vater zweier Kinder, Waltraud und Andi, dem er das Sägewerk später übergeben wird. Er selbst brütet schon an seiner Vision eines „Skiparadieses Steinplatte“. Damals entstehen rundum kleine Skigebiete:
St. Johann, Ellmau, Scheffau, Fieberbrunn. „Das muss doch bei ins a möglich sein“, denkt sich der begeisterte Skifahrer, als er bei seinen Skitouren auf die Steinplatte zählt, dass täglich von Winkelmoos aus bis zu 500 Tourengeher ins Gebiet kommen.
"Mia hab’n Geldgeber g’suacht,
weil i ja koan Groschen g’håbt håb"
Andrä kann einen Gymnasiumschulfreund für seine Idee begeistern. „Mia håb’n Geldgeber g’suacht, weil i ja koan Groschen g’håbt håb“. Er hatte alles Verdiente wieder in die Säge investiert oder ins elterliche Wirtshaus. „I håb immer überschaubare Schulden g’håbt. Sonst daleits da des nit“. Mit Skischulbetreiber Wenzel Pravda findet er einen finanziell potenten Partner für sein Vorhaben, eine Seilbahn von Waidring zur Steinplatte zu bauen – inklusive Höhenstraße und oben drei Schleppliften. Die große Vision hätte damals bis zu 60 Millionen Schilling gekostet. Andrä zeigt einem Skigebiet-Gutachter die Region. Doch die Reaktion ist ernüchternd: „Herr Brandtner, das geht nicht då heroben! Hier gibt’s keine Talabfahrt“. Und, und, und. „Nein, das Gutachten zeig i nit her“, denkt sich Andrä. Und seit Odysseus wissen wir: wer sein Ziel erreichen will, der muss die größten Hindernisse überwinden. Die abgespeckte Minimalvariante geht laut Konzept eines Seilbahnfachmanns von 20 Millionen Kosten aus. „Wir hätten zur Einreichung die Hälfte Eigenkapital haben müssen“. Dann hätten sie für die andere Hälfte einen Kredit aufnehmen können. Mit gemischten Gefühlen fährt Andrä nach Innsbruck zur Bank. Sie hatten also „nur“ die 2,8 Millionen von Pravda. Andrä trägt dem Bankdirektor vor, was er „irrsinnig gern machen würde“. Der Banker schüttelt abweisend den Kopf. „Es geht nix“, ahnt Andrä. Doch da steht der Direktor auf, geht auf und ab. „Herr Brandtner, ich kenn Sie von ihren Bilanzen her. Auf ihren Namen måch ma des!“ Und Andrä: „Herr Direktor, Sie wissen schon, dass ich koane Garantien bringen kann. I hu nix!“ Andrä braucht zweimal 2,8 Millionen geliehen und zusätzlich 10 Millionen Kredit gewährt! Der Direktor reicht ihm die Hand: „Erfüllen Sie mir, was wir ausgemacht haben“. Jahre später trifft Andrä ihn wieder und sagt: „Herr Direktor, Sie håb’n mein Leben komplett verändert. Bis zu dem Tåg dåmois wår i a bissl a Sagler und a bissl a Wirtshäusler“.
Ein Odysseus gibt nicht auf
Nun hat Andrä also das nötige Geld. Ein Grund zu feiern? „Na. Aufs Feiern håb i mei Lebtåg nit wert g’legt“. In der Seilbahnkammer haben die Granden ihn belächelt. „I wår der Nobody“. Und sie sagten ihm, dass das nichts wird, was er da vorhat. Doch ein Odysseus gibt nicht auf. „I bin als erstes zu de Bauern g’ånga. Denen hat ja alles gehört“. Andrä kommt nun zugute, dass er mit den Landwirten schon immer gut können hat. Er hat ihnen 40 Jahre lang Holz abgekauft, brauchte dazu nie einen Vertrag, hat sie immer sofort bezahlt. Er kennt ihre Bedürfnisse und Sorgen, und er schätzt sie. Damit verschafft man sich Hochachtung.
Auf der Steinplatte ist alles voller Latschenbestände, die die Bauern nicht als Weidefläche nutzen können. Das soll sich ändern. Andrä schließt mit ihnen Mietverträge ab, nur der Grund der Talstation der späteren Bahn wird gekauft. 1972 erfolgt der Baubeginn der drei Schlepplifte und der Ausbau der Schotterstraße hinauf. Heute fährt man mit der Bahn in das Tirol-Bayrische Skigebiet Steinplatte. Mit 9 modernen Sesselbahnen und einem Schlepplift wurde es aus über 700 Skigebieten zu den zehn besten Europas gewählt. Auch der Bau der Beschneiungsanlage 1991 sowie die Erschließung des Gebietes Reith im Winkl mit der 8er-Gondelbahn Winklmoos 2009 gehört zu Andräs Plan, der voll aufgeht. Das erwirtschaftete Geld wird immer wieder sofort in das Skigebiet investiert. „Des bissl, des i zum Leben brauch - mei, jagern tua i gern, und für die Therapie von meinem neuen Knie håb i ma a Schwimmbecken g’leist“. Ansonsten hat er immer bescheiden gelebt.
Besser wird das Leben auch für die Almbauern am Gebirgsstock, etwa für die Familie Grünbacher. Mit dem Lift bekommen sie einen Weg, Wasser und Strom mit. Zudem ist Andreas bei den Brandtners angestellt. Das alles hilft, als Bauern zu überleben. Viele andere jenseits der durch die Lifte gewonnenen Weideflächen, mussten längst das Handtuch werfen, ihr Herzensleben zurücklassen. Und was die Eingriffe in die Natur betrifft, unberührte Berge verlangen meist jene, die nicht hier wirtschaftlich überleben müssen.
Anders ist das etwa bei Stefan Zelger, der den Durchkaserbauern vorsteht. Seit Jahren kämpft er gegen die Verbuschung der Almwiesen, die entsteht, weil es zu wenige Kühe am Boden gibt. „Wenn i de Möglichkeit hätt’, als Bauer beim Andrä drüben zu sein, i würd’s sofort annehmen! Die Brandtners sorgen dafür, dass die Flächen frei bleiben“. Stefan freut es, dass Andrä und Anni öfter mal auf ein Schnapsl bei ihm vorbeischauen. „Ohne den Andrä wär Waidring nix“, fügt der Ortsbauernobmann-Stellvertreter hinzu, „I wissert nit, wås es då sonst gäb! Und die Kulturlandschaften, die Almböden, auf denen Gras wächst, gehen uns verloren“. Früher waren sie oben 9 Bauern. Heute ist Stefan mit einigen Jungviehbauern alleine, weil viele die Almen wegen der Verwilderung beiseitegelegt haben. „Åber wenn man då 50 Jåhr’ nix måcht, gerät der Naturraum leicht in Bewegung. Dann kommen Muren und Lawinen“. Andräs Großvater ist übrigens 1910 mit sieben Bauern in die Berge rauf, um das Heu am Schlitten runterzuholen. „Mein Vater wollte auch mitgehen“, erzählt Andrä, „doch dem war letz. Da håt da Großvåter gsågt: Bleib du dahoam“. Dann sind die sieben Bauern samt dem Opa unter eine Lawine gekommen. Alle tot. „Mein Vater ist ausgekommen. Im Leben muasst immer an Reim håb’n“.
Du muasst eppas daboaten, nit daspringa!
Und Andräs privates Herz? „I bin koa Heiliger nit, håb nix ausglåss’n“. Als er seine zweite Frau Anni zum ersten Mal sieht, ist es geschehen um ihn. Erst halten sie ihr Verhältnis geheim, weil beide verheiratet sind. Doch Anni ist eine Frau mit klaren Vorstellungen: „Andere gehen fremd und sind unehrlich. Es ist a Glück, wenn es einen Menschen gibt, der passt“. Sie hat schon vier Kinder und sagt zu Andrä: „Entweder wir gehen zusammen oder auseinander!“. Der Visionär will sich nicht zur Scheidung drängen lassen, ganz nach der Bauernregel: „Du muasst
eppas daboaten, nit daspringa!“. Doch Anni lässt nicht locker: „Ich dräng dich nicht zu einer Scheidung. Ich dräng dich zu einer Entscheidung!“ Andrä lacht: „Sie weiß, was sie will!“ So lassen sich beide von den ehemaligen Partnern scheiden, sind heute 26 Jahre miteinander verheiratet. Dass er eine Chefnatur ist, stört Anni nicht. „Ab und zu versucht er’s bei mir a. Då muass i a Schräuferl drehen, und es tuat wieder“.
Mit dem Skigebiet sind Andräs berufliche Visionen längst nicht erschöpft. „I war mit den Sommerbahnfahrten nit zufrieden“. Nur mit schönen Wanderwegen bringst du heut keine Leute mehr her, denkt er. „Du brauchst eine Attraktion“. So wie in Söll das Hexenwasser. Andrä sucht den damaligen Bürgermeister Kienpointner und Touristiker Weigl auf. „Könn ma nit wås urichten in der Höh? Es muss wås passieren“. Ein beauftragter Event-Experte hat die Idee, den Besuchern die außergewöhnliche geologische Vielfalt der Steinplatte näherzubringen. Andrä gefällt das Konzept des Triassic Parks, der nach der Trias benannt ist, in der sich einst im Urmeer das Gestein der Alpen bildete und die ersten Dinosaurier auftauchten. Allerdings, so 700–800.000 Euro würde die Umsetzung schon kosten. Und Andrä: „Woaßt was? Reden wir von einer Million! Weil wenn, dann ordentlich!“.
Der Andrä kann das neue Projekt auch den Bauern wieder interessant aufbereiten. „Leute, i måch es nit nur für die Bahn sondern a für euer Gasthaus!“ Die Landwirte führen auf der Steinplatte nämlich ein gemeinsames Restaurant. „Wenn’s uns guat geht, können wir drauf schauen, dass es euch auch gut geht“. So können die Besucher auf der Steinplatte seit 2008 eine Zeitreise in die Urzeit unternehmen. In Urmeer-Unterwassergondeln geht’s auf den Berg, wo sich in der Nähe des Gipfels Europas größtes versteinertes Korallenriff befindet, der nach seinem Entdecker benannte ‚Fishers Korallengarten‘. Nicht weit drunter erfährt man im Dinosaurier Park das mit Geologen und Experten erarbeitete ABC der Erdgeschichte, kann selbst Saurierknochen freilegen und ein Gefühl bekommen, wie das Urmeer vor 248 Millionen Jahren ausgesehen haben mag. Am Mini-Urmeer warten Sonne, Strand und Südseeflair. Und die atemberaubende Aussichtsplattform, die knapp 70 Meter über dem Abgrund schwebt, bietet einen risikolosen, alpinen Nervenkitzel. Zwar spaltet die künstliche Welt die Gemüter. Was die einen als Kitsch abkanzeln, freut vor allem jene, die von neuen Arbeitsplätzen profitieren, und diejenigen, die im Urlaub Unvergleichliches erleben wollen. Ändräs Konzept ist bislang aufgegangen. Auch für „seine“ Bauern.
Durch des Kraut müass ma durchi!
Um viel von seinem Glück, darum hat Andrä sich selbst gekümmert. Hervortun wollte er sich dabei nie. Im Sinne der Gemeinde handeln, war ihm wichtig. Was er als Vizebürgermeister verdient hat, hat er an die Vereine verteilt. „Ich woaß nit, håb’n die Leut’ vielleicht g’schätzt, wås ich då oben g’måcht håb?“ Denn mit 60 haben sie den, der so viele Arbeitsplätze geschaffen und der so viel geleistet hat, zum Ehrenbürger ernannt. „Geleistet!? – das ist alles Vergangenheit“. Heute gibt er seine Tipps auch gerne dem Sohn Andi weiter: „Schwierigkeiten durchtauchen. Den Stier an den Hörnern packen, wenn jemand im Weg steht. Offensiv sein! Und Handschlagqualität! Und wenn i amoi de Aug’n zuamåch, dann g’hört ois mein Buam“. Noch will der 85jährige aber mitmischen. „I denk fåst jede Stund’ drån, wås i no toa kunnt“. Ist Andrä im Leben auch mal was nicht aufgegangen? „Woaß i nix. I hun nia gånz hochtrabende Projekte g’håbt“, sagt der, der mit Nichts so Großes aufgebaut hat. „I håb immer mein Ziel g’håbt, des håb ich akribisch verfolgt“. Hat ihn je was belastet? „Na! I håb immer g’sågt: Durch des Kraut müass ma durchi! Des påck ma!“. Und dann muss der einstige Sagler los, die Autos am Liftparkplatz einweisen. „Der große Brandtner – das bin i nit“.
Text: Eduard Ehrlich (2014) Foto's: Kerstin Joensson, Steinplatte Waidring, Rudi Manesch (Privat), Defrancesco