Der Pfarrer und sein Drache
Warum im kleinen Wallfahrtsort Mariastein ein Drache singt und die Glocken mal froh, mal traurig läuten.
Pfarrer Mag. Matthias Oberascher betreut die Wallfahrtskirche in Mariastein und die vielen Pilger, die jedes Jahr in den kleinen Ort kommen – um zu beten und die Tiroler Landesinsignien mit dem Erzherzogshut und dem Zepter zu bewundern, die in der Kirche ganz oben im Turm ausgestellt sind. Ihm zur Seite steht Veronika, seine „Pfarrköchin“. Pfarrer „Hias“ oder „Matthias“, wie er in Mariastein genannt wird, ist 63 Jahre alt und stammt aus dem Salzkammergut.
In all den Jahren als Pfarrer standen ihm immer Frauen zur Seite, die den Haushalt für ihn erledigten, seine Sekretärin und auch Vertraute waren. Die erste war Fini, sie sorgte für den jungen Geistlichen wie eine Mutter. Die zweite, Loisi, war ihm wie eine Schwester. Vroni ist ihm nun wie eine Tochter. Zwischen den beiden herrscht eine liebevolle Verbindung. „Gibts heut går kein Schnapserl?“ fragt Matthias, als Veronika ein Glas Wasser einschenkt. Natürlich gibt es eines, gleich springt Vroni auf.
Wir sitzen im Wohnzimmer des Pfarrers am großen runden Tisch. Die Wohnung ist sehr bescheiden aber gemütlich eingerichtet. Viel Licht haben die beiden nicht in den Räumen, aber Veronikas Gesicht strahlt umso mehr. Warum soll sie in der Geschichte der Drache sein?
Der Pfarrer klärt mich auf: Der Schutzpatron der Pfarrer ist der heilige Georg. Meistens ist er mit einem Drachen dargestellt. Den Rest kann ich mir zusammen reimen.
Traumjob Pfarrhaushälterin?
Veronika Mayr, 42 Jahre alt, hat ihre Stelle vor gut einem Jahr angetreten. Ein „ganz normaler“ Job ist die Position der Pfarrköchin ja nicht. Kaum jemand hat eine Vorstellung davon, was die Stelle ausmacht, was man mitbringen sollte. Muss man sehr gläubig sein oder reicht normal gläubig aus?
„Einen Bezug sollte man schon haben, aber manchmal ist es auch nicht schlecht, wenn jemand ganz unbekümmert ist. Es gibt Haushälterinnen, de sind ärger als der Pfarrer, also bei der Frömmigkeit. Das kann schwierig sein.“
Wie ist es, so eng mit dem Pfarrer zusammen zu arbeiten – einer Person mit einer doch besonderen Stellung in der Gesellschaft. Wird sie den ganzen Anforderungen gerecht sein? Vroni quälte sich mit diesen und vielen anderen Fragen.
Nach schlaflosen Nächten und gutem Zureden der Nachbarin getraute sie sich schließlich, es zumindest zu versuchen. Und es klappte. Sie kam in die Burg und brachte viel Jugendlichkeit und Fröhlichkeit mit. Wie eine gute Tochter.
Dazu hat Matthias gleich auch noch Schwiegersohn Manfred und drei Enkelkinder bekommen: Sophia, Simon und Elisabeth.
Wenn Vroni in der Früh zur Arbeit geht und in den Pilgerhof kommt, läutet sie kurz an der großen Herz Maria Glocke. Der Pfarrer weiß dann, dass sie da ist. „Då håt er einen Vorsprung,“ lacht sie und ihre grünen Augen blinken schelmisch.
Bei der Arbeit singt und pfeift sie. Je nach Lust und Laune. Oft genügt ein Stichwort, und Vroni hat das passende Lied dazu auf den Lippen. „Mågst a Stückerl Kuchen?“ fragt sie und trällert gleich darauf: „Hätt ich gewusst, dass du kommst, dann hätt ich Kuchen da…“
Der „Gloggn-Hias“ und seine Leidenschaft
So manch einer kennt Matthias als den „Gloggen-Hias“. Sein Faible für Glocken hängt mit der Liebe zur Musik zusammen. Bis zu 50 Töne schwingen in einem Glockenschlag mit. „Je nachdem, wie es uns gerade geht, hören wir mehr de tiefen oder die höheren Töne, einmal mehr Dur-Töne, dann wieder mehr Moll“, weiß er. So kann es sein, dass ein und dasselbe Geläute bei einer Hochzeit in unseren Ohren hell und freudig klingt, bei einem Begräbnis aber tiefer und trauriger.
Und weil wir beim Thema Glocken bleiben, erzählt Matthias die folgende Geschichte: Als junger Praktikant traf er in den Sommerferien einen Soldaten. Jener war, wie der ganze Jahrgang in seinem Dorf, in den ersten Kriegsjahren des zweiten Weltkrieges „dem Führer zum Geschenk“ gemacht worden. Die jungen Soldaten kamen nach Frankreich an die Front und lagerten auf einem großen Feld. Ganz in der Nähe stand eine große Wallfahrtskirche, deren Glocken jeden Abend einige Minuten lang läuteten. Eines Tages bekamen sie den Befehl, den Motor der Glocken auszubauen. Der Grund: Das Geläute weckte in den Männern das Heimweh. Manche weinten. Andere beteten mit ihrem Rosenkranz, den ihnen die Mutter in die Taschen gesteckt hatte. Die Glocken erfüllten ihr Herz mit Frieden – mitten im Kriegsgebiet.
Matthias ist deshalb der Überzeugung: „Wir gehen keiner guten Zeit entgegen, wenn die Glockn nit läuten dürfen.“
Da läutet die Glocke an der Tür. Freudig oder traurig? Nach diesem netten Gespräch mit dem Pfarrer und seinem Drachen klingt es in meinen Ohren auf jeden Fall froh und hell..