Es rührt sich was im Wald
Streift die Ich-AG durch’s Dickicht, kann es schon passieren, dass der Woipertouringer drohend die Klaue hebt.
„Wås moast sand die angesehensten Berufe in Österreich?“, fragt mich Franz. Pah, das ist einfach, das weiß ich. An erster Stelle stehen natürlich die Götter in Weiß, die Ärzte. Aber wer mag danach kommen? „Die Förster,“ klärt mich Franz auf. Er hat eine Studie darüber gelesen. Ein doch eher überraschendes Ergebnis. Umso mehr, als der Jäger, dessen Revier ja auch der Wald ist, nur „unter ferner liefen“ zu finden ist.
Förster sind also gut, Jäger sind böse. So einfach ist das. Oder doch nicht? Nein, denn Franz und Christian sind beide beides, Förster und Jäger. „I behaupt ja, des keascht z’samm, die Forstwirtschaft und die Jagd“, sagt Franz. Das Miteinander ist wichtig. Und weil der Wald längst nicht mehr ausschließlich den „Grünröcken“ gehört, sondern sich dort auch immer mehr Skitourengeher, Schneeschuhwanderer, Freerider und im Sommer Wanderer, Mountainbiker und Geocacher herumtreiben, ist es wichtig, die verschiedensten Interessen unter einen (grünen) Hut zu bekommen. Darum geht es beim Netzwerk Naturraum Brixental.
Franz und Christian sind Mitbegründer. Franz Heim, der 44jährige Kirchberger als Vertreter der Bezirksforstinspektion. Christian Rieser, 38 und in Brixen daheim, als Revierleiter Vertreter der Bundesforste. Beide wussten schon als Kind, dass der Wald einmal mehr als nur Spielplatz für sie sein würde, beide absolvierten die Försterschule in Bruck an der Mur. Die Werte, die sie von dort mitbrachten, prägen nicht nur das Berufliche. Bruck war auch eine wichtige Lebensschule und verbindet Franz und Christian weit über den Wald hinaus. „Mia sand de gleichen Vegl …. jeda håt den gleichen Fimmi“, so drückt es Franz aus.
Im Wald sind beide auch mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert: Dass eben immer mehr Menschen Anforderungen an den Lebensraum Wald stellen und ihre unterschiedlichen Interessen verfolgen: Förster und Jäger, aber auch Touristiker, Gemeinden und Privatpersonen, die den Wald als Freizeitarena nutzen. Und wenn es „nur“ zum Schwammerlsuchen ist.
Vor 8 Jahren haben sie gemeinsam mit anderen maßgeblichen Personen den Verein „Netzwerk Naturraum Brixental“ gegründet, der alle Interessen berücksichtigen und aufeinander abstimmen soll. Zum Wohle des Waldes, zum Wohle der Tiere. Die Aufklärung über den Lebensraum Wald war und ist noch heute ihre wichtigste Aufgabe. „Es is scho erstaunlich, wia de Leit unser Wissen aufsaugen,“ sagt Franz. Das grundsätzliche Interesse ist also da. Und die Bereitschaft, sich auf ein Miteinander einzulassen auch. Zumindest bei den Protagonisten wie zum Beispiel Hopfgartens Bürgermeister Paul Sieberer, Stefan Astner, Geschäftsführer der Ferienregion Hohe Salve und Max Salcher, Geschäftsführer des TVB Kitzbüheler Alpen-Brixental. Mit am „grünen Tisch“ sind auch Vertreter aus den weiteren Brixentaler Gemeinden und Tourismusverbänden, Vertreter der örtlichen Sektionen des Österreichischen Alpenvereins, Schi- und Bergführer, die Alpenschule Westendorf und ein Vertreter der Schutzwaldplattform Tirol. Alle bemühen sich um eine gemeinsame Lösung.
Die "Schergen" des Woipertouringers
Um was geht es genau, und was ist eigentlich ein Woipertouringer? Biologisch gesehen zählt der Woipertouringer wohl zur Familie der Woipertinger, die bekanntermaßen ja sehr, sehr scheu sind. Der Woipertouringer jedoch – ein Fabelwesen zwischen Gams und Reh – streift durch das Brixental. Dabei zeigt er alles auf, was ihm auffällt und zeigt an, was nicht rechtens ist und wo es einer Lösung bedarf. Franz und Christian sind wohl seine Mitarbeiter? „Ja“, lachen die beiden.
Christian schildert die Problematik, mit der sie sich täglich befassen: „Die jungen Leit’ sand heute wohl Spezialisten in gewissen Richtungen, aber die Zusammenhänge werden nimmer verstanden. Es weiß koaner mehr, was passiert, wenn i mit den Ski im Wald unterwegs bin. Die sogenannte Ich-AG zählt viel, mein Erlebnis, mein Wunsch mi da draußen zu erholen“. Da werden auch Gefahren ignoriert. Kaum einer will sich einschränken lassen. Der Egoismus nimmt zu.
„Es fehlt des Bewusstsein, dass i mi auf an Grundstückl beweg’, dass des wem gehört, der bestimmte Interessen hat. Gleichzeitig lös i was aus, wenn ich durchirausch’ durchs Dickicht mit vielen jungen Bäumen.“ Für Christian ist es wichtig, dass die Leute wieder einen Bezug bekommen, uns wieder bewusst wird, dass wir alle Gast sind im Wald. Franz: „Des Bewusstsein hat ma früher gehabt, weil ma aus dem Bauernleben kemma is. Heute wollen sich die Leit’ beim Mountainbiken entspannen und abreagieren, der Bauer will de jungen Bam schützen, da Jaga des Wild, der Tourismusverband dagegen noch mehr Biketrails für die Gäste. Des gibt Reibungspunkte.“
Zusammenhänge verstehen
Wobei viele Waldnutzer gar nicht mit böser Absicht handeln, sondern aus Unwissenheit. Stellen wir uns einmal einen Hirsch vor, im Winter: Er stellt die Mobilität ein, legt sich abends hinter einen Baum und fährt seinen Motor runter, geht in den Energiesparmodus mit nur 13 bis 15 Grad Körpertemperatur. Am Vormittag kommt er langsam wieder auf Touren und sucht sich mittags etwas zu fressen. Wenn da jetzt um 9 Uhr morgens schon ein Skitourengeher daherkommt und ihn aufjagt, ist das denkbar schlecht für den Hirschen. Auch die Gams stellt in der kalten Jahreszeit die Ernährung um, damit sie mit dem energiearmen, trockenen Gras über die Runden kommt. Schreckt sie zum Beispiel ein Paragleiter auf, braucht sie mehr Energie. Ihren Bedarf kann sie in den höheren Lagen kaum stillen, also muss sie weiter herunter kommen, und sie knabbert an den jungen Nadelbäumen. So kommt unter anderem Verbiss zustande. Ein Schaden, den es ohne die Einwirkung des Menschen oft gar nicht erst gäbe. Aber was juckt uns das, wenn wir mit der Ich-AG – wie es Christian so schön genannt hat – in der Natur unterwegs sind?
Zum Glück juckt es schon so manchen. Franz und Christian erklären die Zusammenhänge, und sie finden mehr und mehr Gehör.
Ein Beispiel: Plant der Tourismusverband einen neuen Trail anzulegen, schauen sich die Woipertouringer an, ob der Verlauf für Wild und Wald in Ordnung ist. Auch der Bürgermeister als Vertreter der Straßeninteressentschaft klinkt sich eventuell ein. Und vielleicht auch der Alpenverein. Jeder hat Vorstellungen und Wünsche. Am runden Tisch suchen die Beteiligten gemeinsam eine Lösung – und finden sie in der Regel auch. Möglich ist das nur, weil alle ein ehrliches Interesse daran haben, die beste Lösung zu finden. Franz und Christian streuen ihren Partnern im Woipertouringer Rosen: „Des geht ois nur, weil die Protagonisten vom Charakter her so ticken, weil a jeder kompromissbereit is und an Schritt auf den anderen zuageht.“ Und Franz sagt ohne Umschweife: „I håb de richtig lieb gewonnen, dia Leit.“
Vorbildliche Arbeit
Christian und Franz haben das Projekt dem Land Tirol vorgestellt. Die Verantwortlichen waren so begeistert, dass auf Basis der Woipertouringer eine Initiative des Landes gestartet wurde: „Bergwelt Tirol – miteinander erleben“ heißt sie. Damit ist die Idee des Woipertouringer tirolweit verankert. Die Landesregierung bietet Regionen ein Positionspapier sowie Förderung und Unterstützung an. Die Verantwortlichen müssen sich dann vor Ort finden. Wie im Brixental.
Christian hat die Woipertouringer auch innerhalb der Bundesforste präsentiert und ist auf sehr gutes Echo gestoßen. Teile der Vereinsarbeit werden jetzt auch in Spital am Pyhrn, im Großarltal, im Gasteinertal und in Teilen Kärntens umgesetzt. Wobei eine Rückmeldung unter anderen folgende war: „So wia es des macht’s, so geht des bei ins nit, dass wirklich alle beisammen sitzen ...“ Es kommt letztlich immer auf die Menschen an.
Die Woipertouringer setzten nicht nur auf Bewusstseinsbildung, sondern machen sich auch Gedanken darüber, welche Maßnahmen im Wald die Leute von Ruhezonen des Wildes fern halten. Die „Bergwelt“ und die „Woipertouringer“ sprechen hier die selbe Sprache, verwenden die gleichen Tafeln und Leitsysteme. Damit der Wanderer sie wiedererkennt, im Brixental gleich wie am Arlberg.
Ehrliches Jagen
Franz und Christian schauen als verantwortungsvolle Jäger auf die Population und nicht nur auf mögliche Trophäen. Nachhaltig jagen heißt das. Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt ja ursprünglich aus dem Wald. Das bringt allerdings mit sich, dass – wenn notwendig – auch Kalb und Tier geschossen werden. Was? Ich bin entsetzt. Wie wohl alle, die mit „Bambi“ groß geworden sind. Wenn man einen erwachsenen Hirschen, also das Männchen, schießt, nun gut, das nimmt man (besonders als Frau) in Kauf. Aber eine Hirschkuh und ihr Kind? Wie grausam ist das. Das schreibe ich nicht in meinen Artikel, sage ich. Doch Franz bleibt ganz ruhig und erklärt mir die Hintergründe: Ein Gamsbock zum Beispiel „ranggelt“ mit seinen männlichen Kollegen, der Älteste darf mit den Geißen Nachkommen zeugen. Wenn zu viele Geißen da sind, muss der Bock schuften. Im November, Dezember ist der Bock fertig, streichfähig. Es schneit zu, er überlebt den Winter nicht. Verantwortungsvolle Jäger versuchen daher, mehr Böcke aufzubauen und weniger Geißen zu züchten, damit alles im Gleichgewicht bleibt. Deshalb müssen auch weibliche Tiere und der Nachwuchs entnommen werden.
Sympathisch ist mir der Gedanke immer noch nicht. Aber es ist eine ehrliche Haltung, die Respekt verdient. Wenn Franz daheim das Wild aufbricht, also zerlegt, sind seine vier Kinder dabei. Sie sollen sehen, woher das wertvolle Lebensmittel Fleisch kommt. Sie sollen sehen, dass Tiere getötet werden, um sie zu nutzen. Das Billigschnitzel im Supermarkt ist anonym. Besser wäre wohl, wir müssten auch dem industriell genutzten Schwein ins Gesicht sehen. Ehrlicher wäre es.
Die fröhlichen Förster
Für Franz und Christian ist der Beruf des Försters der schönste der Welt. Sternstunden sind es, wenn sie bei Morgendämmerung draußen unterwegs sind, wenn der Nebel aufreißt und die ersten Strahlen der Sonne durch den Wald fluten. „Da is scho a bissl Klischee dabei, vom Förster vom Silberwald“, gibt Christian lachend zu. „Es gibt Zeiten, da weißt, für was des machst, da lebst auf. Eigentlich haben ma die Zeiten oft, ma muass nur sechn.“ Dass er so viele Menschen für die Sache der Woipertouringer gewinnen konnte, macht ihn glücklich. „Da woasst, für was des ois machst.“ Auch Franz schätzt das sehr. Er erzählt, dass er mit Max Salcher in Dortmund bei einem Fußballspiel war. „Da sitzt unter zigtausend Leute beim Spiel und redest vom Woipertouringer. I als kloana Förster sitz im VIP-Bereich und red von meinem Thema, des ja eigentlich so kloa is und decht so viel Aufmerksamkeit kriagt. Des sand so kleine Highlights für uns.“
Und für mich ist es ein Highlight, mit so kompetenten und netten Männern zu sprechen. Über den Wald, über die Leute und ihre Interessen, über das Leben. Und über Projekte, die aufgehen und gelingen, weil Menschen aufeinander zugehen und sich gemeinsam für die Natur engagieren.
TEXT: DORIS MARTINZ
FOTOS: JOHANNES KOGLER, PETER NEUBAUER
ERSCHEINUNGSDATUM: NOVEMBER 2016