Glück ab, Gut Land!
Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Was Reinhard Mey von Motoren und Maschinen singt, das findet ganz im Stillen und in ehrfürchtigem Andenken an längst vergangene Zeiten alljährlich im Brixental statt.
Es ist 16:00 Uhr. Auf der Wiese am Brixnerwirts Feld herrscht ein buntes, geschäftiges Treiben. Leichte Nervosität liegt in der herbstlich-warmen Bergluft und die spürbare Erleichterung, wenn wieder einer der "heißen Ballone" vom Boden abhebt und in die richtige Richtung schwebt. Unser Ballon am Startfeld 33 ist noch längst nicht so weit. Ein Ventilator schaufelt gerade noch ordentlich Luft in die Ballonhülle, während sich 20 Meter weiter eine riesige Piraten-Katze erhebt und mit Zischen und Fauchen in die Lüfte entschwindet. Die Kühe auf den umliegenden Weiden scheint der Lärm nicht weiter zu stören. Unser Korb wird eingehängt und der Brenner in Richtung der unteren Öffnung des Ballons gelenkt. Langsam, ganz langsam richtet sich die Stoffhülle auf. Sie besteht aus einer Kunststofffaser, die verwoben mit Polyurethan luftdicht beschichtet wird. "Schnell jetzt! Rein da!", ruft uns Pilot Helmut aus dem Korb zu. Jetzt muss es rasch gehen. Während einige starke Hände den Korb am Boden und den Ballon senkrecht halten, heizt der Brenner weiter. Nach einem kurzen Funkspruch und dem O.K. der Zentrale legen wir exakt um 16:50 ab.
Ja, wir wissen, wo wir hin wollen!
"Glück ab, Gut Land!" Ich klammere mich an eine Schlaufe an der Reling. Kurzes Wackeln und immer wieder das tosende Geräusch des Brenners. Ein richtig mulmiges Gefühl braut sich in der Magengegend zusammen. Ob es daher kommt, dass der gewohnte Schub beim Abheben fehlt, oder das Vertrauen in die dünne Hülle doch nicht ganz so gefestigt ist – zum Aussteigen ist es jetzt auf jeden Fall zu spät. Gemächlich entschwinden wir gegen wolkenlosen Himmel. Zeit, um sich einen ersten Check-Up einzuholen. Pilot Helmut schmunzelt und gibt bereitwillig Antwort: "Ja, wir wissen, wo wir hinwollen. Nein, so schnell kann man nicht abstürzen. Das Wetter haben wir im Briefing um 15:45 Uhr geklärt. Aktuelle Reisegeschwindigkeit 4,7 km/h, 650 Meter über Grund." Der kundige Ballonfahrer ist in den Lüften zu Hause. Zwölf Jahre Fallschirmspringer und über 27 Jahre Ballonerfahrung liegen hinter ihm.
Status-Update Angst – nahezu verflogen. Oder verfahren? Wie war das doch gleich?
Fliegen vs. Fahren
Beim Ballonsport spricht man vom "Fahren". Das hat zum einen den Grund, dass sich der Ballon mit der Luft bewegt und aus physikalischer Sicht "alles, was leichter ist als Luft, fährt" und zum zweiten die Erfinder des Ballons, die Gebrüder Montgolfiere, in das Luftmeer fuhren – Seefahrer "fahren" im (Wasser-)Meer, folglich Ballone im Luftmeer. Alles klar? Na ja, zumindest ab der Ballonfahrer-Taufe sollte man das nicht mehr verwechseln, andernfalls wird eine Flasche Prickelndes fällig.
Eins mit der goldenen Abendsonne
Fast unmerklich sind wir immer höher gestiegen und schweben nun oberhalb von Kirchberg in Tirol – auf Augenhöhe mit dem Gaisberg und dem Wilden Kaiser. Die letzten Sonnenstrahlen hüllen die obersten Bergspitzen der sich nach Süden hin erstreckenden Seitentäler des Brixentals in ein goldenes Licht. Fast stockt einem der Atem bei so viel Schönheit. Ein Ausblick ist das! Unglaublich und nicht beschreibbar! Im Tal hat sich unsichtbar ein Schleier aus vorabendlicher Ruhe über die Dächer und Wiesen gelegt. Neben, über und unter uns vertraute Bekannte. Auch die Piraten-Katze ist in unsere Richtung gefahren.
Die Spuke als Messparameter
Im Ballon selbst ist es angenehm warm und es herrscht Windstille. Dass aber trotzdem ein Lüftchen weht, bestätigt der wohl wissenschaftlich anerkannte und in der Praxis laufend angewandte "Spucktest". Eine Messgröße, auf die Verlass ist, erklärt Pilot Helmut: "Spuckst du über die Reling und deine Spucke fliegt in eine bestimmte Richtung, weißt du, woher der Wind weht und wie stark." Eigentlich ganz logisch, oder?
Von Sandsäcken und Schafsböcken
Nach fast einer Stunde Fahrt geht es langsam tiefer. Helmut zieht am Parachute und öffnet damit ein kleines Stück der Ballondecke. Somit entweicht etwas warme Luft und der Ballon geht tiefer. Jetzt fällt mir erst auf: Wo sind eigentlich die ganzen Sandsäcke geblieben? Die werden bei Heißluftballonen nicht benötigt, nur bei Gasballonen. Diese reisen weiter und höher und kommen bei Alpenüberquerungen zum Einsatz. Gemächlich gleiten wir über Tannenwipfel und kleine Bäche. Drehen eine Runde über den Dächern von Kirchberg und hätten beinahe einem Schafsbock einen Herzinfarkt bescheret. Helmut hat zum Funkgerät gegriffen und gibt dem Follower-Fahrzeug unsere Koordinaten durch, bevor wir eine sanfte Bilderbuchlandung am vorgesehenen Feld hinlegen. Für's Klatschen bleibt keine Zeit – alle raus, Ballon und Korb sichern, Leinen aufwickeln, alles zusammenpacken und auf den Anhänger hieven.
Erst im Auto wird mir klar: Wow, wie genial war das denn?! Von blanker Angst zur bloßen Euphorie! Eine Stunde voller Eindrücke und Erlebnisse, die es erstmal zu verarbeiten gilt. Eines haben wir aber alle noch vor uns: Die Taufe. Sie hat etwas von einer Erhebung in eine religiöse Glaubensgemeinschaft: Ehrfürchtig sinken wir auf die Knie und legen den Eid ab. Ein kleines Büscherl Haare wird mit dem Feuerzeug angesengt und mit gutem Sekt gelöscht. Wenn wir uns erheben, dürfen wir nie wieder „Ballonfliegen“ ohne Konsequenzen sagen, haben einen neuen komischen Namen und sind Teil einer besonderen, ausgewählten Luftfahrtsgemeinschaft.
"Erhebt Euch, Baronin Katie, liebreizende Himmelstürmerin, die Abendsonne voll genießende Wiesenhüpferin von und zu Kirchberg! Zum Wohl, es lebe die Ballonfahrt!"