Der Haubenkoch und die Krautinger-Brenner
Ein Stamperl Schnaps zwischen Rosengarten und Zauberwinkel
„Hier ein Röllchen aus Paprika mit Frischkäse und Lammbries, da Oktopus mit Melone, dann ein Kalbsbeuschel mit Grießknödel oder Kabeljaukutteln, auf einem Stein serviert. Hier wird auch spür- und schmeckbar, wie fast am Rande des Wahnsinns detailversessen Taxacher und sein Team arbeiten“ – so steht es zum Kirchberger Relais & Châteaux Restaurant Rosengarten im Gault Millau Führer 2015. Und es folgt gar noch der Vergleich eines Tellers mit einem Kunstgaleriebesuch in New York der 1980er-Jahre. Ergebnis: bereits zum zweiten Mal 4 Hauben und 19 Punkte – was dem Tiroler auch im Guide 2016 zum dritten Mal in Folge gelingt!. Das gibt es in Österreich nur noch zwei Mal.
Simon Taxacher wurde in Kirchberg ins Gastgewerbe hineingeboren. Seine Eltern Simon und Kathi stammen beide aus Bauernfamilien, seine Großeltern hatten den Kammerwirt in Angath und kauften das Kirchberger Grundstück, auf dem 1971 der Taxacher Hof mit gutbürgerlichem Restaurant entstand. „Wir sind in der Gaststub’n aufg’wachsen“, erzählt Simon. Nach der örtlichen Schule absolviert er die Hotelfachschule Villa Blanka in Innsbruck, und die Praxis hauptsächlich daheim. „Da hab i scho allwei gern mittoa wolln“.
Bevor wir von seinem Aufstieg in die Top-Gastronomie erfahren, will ich wissen, ob er mit lokalen Lebensmittelproduzenten kooperiert. Er erzählt mir u.a. von den Mangalitzer- und Duroc-Schweinen, die er über die Brixentaler „KochArt“-Gast-hausvereinigung von einem Thierseer Bauern bezieht, und vom Käse eines Kasers in Gasteig. Aus der Wildschönau natürlich kommt nach einem Tipp des Baumeisters Stefan Hetzenauer sein „Krautinger“-Krautschnaps, den die Einheimischen wegen seines eigenwilligen Geruchs gern „Soachruabn-Schnaps“ nennen. „Die Gäst ham mit dem voll a Gaudi“ - und ich auch, als er durch meine Kehle rinnt. Auf der Flasche steht in Handschrift: „Familie Hohlrieder, Oberau“.
In der wilden, schönen Au
Tags drauf fahr ich in die wilde, schöne Au. Im Ortsteil Zauberwinkel ist es echt zauberhaft. Vor dem schönen Vorlehen-Hof von Hans und Wetti Hohlrieder suhlen sich zwei Kätzchen. Rundum unverbautes Land. In der alten Holzstube breitet sich die Krautinger-„Gottesgabe“ gleich wieder wohlig in mir aus. Hans, heuer 80 geworden, nimmt auch einen. „Vom Gschmack is er nit jedermanns Sache“ sagt Wetti, die von einem Hof in Oberau stammt, „Aber er is gsund, eigentlich für alles. Und wenn man z’viel gegessen hat“. In so einem Stamperl steckt viel Arbeit. Erst muss die weiße Stoppelrübe geerntet werden, dann gewaschen, eingeschnitten „und niedergmacht“ zu einem Brei, in Säcke gefasst und auf einem Stock ausgepresst. Die Hohlrieders ernten zweimal im Jahr. „Ma braucht scho hübsch oa Ruabn für a paar Liter“.
So wie sie’s hier schon immer getan haben, brennen sie in der alten Brennerei. „Die Oma und alle hams scho tu“, erzählt Hans. „Früher grad so viel, dass sie selber a bissl g’habt ham“. Als Bub schaute er ihr zu. 93 ist sie geworden, „Weil sie an Krautinger trunken hat“, sagt Wetti. „Ja, ja!“, sagt Hans, und sie: „Woi, woi!“ Heute brennt auch schon Jungbäuerin Juliane, mit den alten Feinheiten um die Einmaisch-Temperaturen und den Tricks, wie dem Zündholztest.
Das Monopol zum Krautingerbrennen wurde den Wildschönauern durch ein Dekret von Kaiserin Maria Theresia verliehen, weil die Bergbauern hier sehr arm waren. Heute stellen ihn noch etwa 13 her. Beim Haubenkoch dreht sich viel um Bewertungen, und alljährlich wird auch der „Krautinger des Jahres“ gekürt. Doch da tun die Kohlrieders nie mit. „Wir werd’n ihn scho so a los“. Es reicht, wenn sie ab und an hören, dass es bei ihnen den Besten gibt. Und dass ihrer den Weg vom Zauberwinkel in den Rosengarten geschafft hat, spricht auch für sich. Den Taxacher Senior kennt Hans persönlich. „I bin a Rossinger. Er is Trabrennen g’fahren“.
Im Renntempo erklimmt Taxacher Junior den Koch-Olymp. Seine Lehre im Seefelder Paradebetrieb „Klosterbräu“, „war eine Vorschau, was möglich sein kann“. In nur drei Saisonen steigt er zum zweiten Sous-Chef auf. Doch er will mehr und bewirbt sich bei Lisl Wagner-Bacher, der Grande Dame der Österreichischen Küche. Die Chance scheint aussichtslos, doch „Dann der Anruf, dass ich aufgenommen wäre“. Sein Küchenchef will ihm die Möglichkeit nicht verbauen: „Pack sofort deine Messer zam!“, sagt er. „Und Abflug!“
Die Punkte rasseln nur so
Er fliegt, und ist beeindruckt, was Lisl aus dem Nichts geschaffen hat. Sie wird sein Mentor, inspiriert ihn und erkennt sein Potential. Schnell wird er Abteilungsleiter im 18-Punkte-Lokal. „Simon, denk ja dran, dass du nit nur für dich kochst, sondern vor allem für die Gäste“, rät sie ihm. Er lernt, es zu verstehen, während er längst von eigenen Hauben träumt. Die Übernahme im elterlichen Betrieb klappt, und im Jahr 2000 eröffnet er sein „Genießer-Restaurant Rosengarten“. An seiner Seite Schwester Christiane, seine steirische Lebensgefährtin Sandra und seine Eltern. „Die waren am Anfang scho kritisch“, denn wer denkt, dass ein Gourmettempel in Kirchberg funktioniert? „Wir sind zuerst a nit weiterkommen“, erzählt Taxacher. „Da is es mir nit gut gangen. Da sind sie nit herkommen, weil sie gmoant haben, i pack es eh nit“. Doch Simon will nach oben! Und nach und nach kommen die Gäste. Weil die Familie immer ein Rundes, Ganzes wollte, macht sie sich dran, Restaurant und Hotel dem gestiegenen Essniveau anzupassen und dementsprechend umzubauen. Nun erkennt Simon die Chance, die Natur vor der Haustür zu nutzen und stellt die Küche komplett um – mit Kräutern, Tannen, Heu, u.a., von den umliegenden Wiesen.
„Dann is es bergauf gangen. Dann sind Zack-Zack-Zack die Punkte grad so grasselt“. 2010 eröffnen die Taxachers das avantgardistische Restaurant und Hotel „Rosengarten“ - Simons Vision von perfekter Gastlichkeit. Bald zählt es zu den schönsten Hotels der Welt. Das ist für die Wirtschaftlichkeit nicht unwesentlich, denn eine Hauben-Küche allein stellt immer ein finanzielles Risiko dar. „Ja, ist sehr schwierig, aber machbar, wenn du in Kombination Restaurant und Hotel arbeitest“. 2011 wird Taxacher zum „Grand Chef Relais & Châteaux“ ernannt, ein Titel, den weltweit nur 160 Küchenchefs tragen. Es folgen etliche Auszeichnungen, die zusätzlicher Antrieb sind.
Damals wurde nichts gekauft
In der Wildschönau haben Hans und Wetti immer schlicht gegessen. „Früher is die Pfann eingstellt word’n, und jeder einen Löffl“, erzählt sie. Bei beiden war man einst Selbstversorger. Es wurde nichts zugekauft, höchstens mal ein bissl schönes Mehl. „Müsste ma eh jetzt a wieder selber mehr anbauen“, meint sie, „Aber es macht halt neamd nix mehr“. In der Früh gab’s ein Koch, nach der Wald- oder Getreidearbeit läutete die Glocke um 12 alle zusammen. Nudeln kochte Wetti dann oft, Krapfen, oder „Knödl nit zwenig“. Kein Fleisch. „Grad auf d’Weihnachten is oft amoi a Sau agschlagn wordn. Dann war allwei Speck uma“. Und so gab es Sonntags die Spezialität Speckknödel. Welch eine Freude! Aber das Größte überhaupt war, wenn der alte Nachbar Sepp mit Klein-Hansi nach Wörgl runter zum Zirkus ging. Es war eine schöne Kindheit. „Woi, woi“, stimmt Wetti zu. „Ja, ja“, meint Hans, „Hat nix gfeit“.
„Im Winter is a diam a a Brezn aufkascht wordn“. Die wurde nach dem Kartenspiel gegessen, der Verlierer musste sie bezahlen. Aber Geld war da kaum in Umlauf. „Is aber ohne a gangen“, sagt Wetti. Bauernkost kochen sie heut noch gern.
Die eine oder andere Hofkammer wurde früher zum Nebenverdienst an Fremde vermietet. Auch von den Hohlrieders. „Z’Morgends hätt‘ alls staad sein sollen“, lacht Wetti, „und das geht halt oafach nit bei die Bauern. Da schreit scho a Kuah oder a Goas“.
Ein deutsches Paar kam oft. „Sie hat soviel gern Schnapsei mögen. Aber er hat‘s nit gern gsechn“. Und deshalb schob sie immer schnell ein Brot nach. „Ja, ja!“ - „Woi, woi!“ Die Gäste durften nur solang kommen, bis sie den Platz für die eigene, wachsende Familie brauchten. Ins Gasthaus gehen Hans und Wetti selten gemeinsam. „Nur boid grecht was is“. Und eine Haubenküche, „kennen wir nit“. Er hat nur gehört, dass im Zillertal einer sein „Haubending“ wieder lassen musste, weil’s nicht mehr gegangen ist.
Feuer am Dach!
Top-Küche, Top-Service, Top-Weinkeller, Marketing, Netzwerken, Event-Auftritte, „G’hört alles zam“, lernte Taxacher mit der Zeit. Der Erwartungsdruck steigt. „Aber i kann damit ganz gut umgehen. Du verfolgst dein Konzept weiter, versuchst aber allwei, Ausreißer nach oben zu haben. Wir entwickeln jedes Jahr vier komplett neue Menüs, das sind 38 neue Gerichte“. So kommen „Rosengarten“-Gäste in der Saison gern ein-, zweimal. Ihre Beurteilung ist Simon enorm wichtig. „Wenn da mal nur ein winziges Ding nit passt, is Feuer am Dach! „Wir fangen bei Perfektion an. Da geht bei mir nix drunter!“ Er hat gelernt, sich Kritik genau anzusehen. Da wird das Gericht notfalls sofort zerlegt, „Und nochmal genauso gekocht. Und wenn‘s 12 in der Nacht ist“. Das weiß sein Team. „Stimmt das Gramm Salz, das da drin is? Jedes Mal! So fanatisch müssen die da drin sein“, sagt der Chef. „Unsere Art von Küche ist a sehr emotional“. Und zeitraubend. „I bin bis 2, 3 in der Früh in der Kuchl und fang kurz nach 6 an“, sagt Simon.
Zum Ausgleich spielt er gern mal eine Runde Golf. Aber öfter auf seiner Harley Davidson abdüsen, oder Freundschaften pflegen, das kann er nicht. „Des is a bissl a Nachteil“, sagt der Kirchberger. Im April und November ist Ruhepause. Dann urlaubt er etwa in Thailand. Und kommt immer wieder gern heim. „Unsere Berge sind für mi ein kleines Schutzschild. Es gibt ja nix Schöneres wie unsere Region“. Die Natur, die Luft, die Leut‘.
Taxacher hat seinen Erfolg hart erkämpft. „Im Sinne von Zuchiarbeiten“, sagt er. „Mir war wichtig, lieber einen Schritt nach dem anderen, strukturiert, eine gscheite Basis schaffen, und dann bleibst oafach dru“. Seine Bekanntheit hat auch Kirchberg für Gourmet-Reisende interessant gemacht. Der Tourismusverband konnte ihn als Schirmherrn für das Gourmetfestival „Kulinartika“ gewinnen, das im Oktober halb Kirchberg und Aschau in kulinarisches Fieber versetzte. Simon gehört auch den „KochArt“-Wirten an, denn im Rosengarten gibt es auch ein „normales“Restaurant mit klassischer, verfeinerter Österreichischer Küche. Und vielleicht einfach nur mit einem guten Glas Bier.
In der Wildschönau hatte keiner ein Bier daheim
Ein Hopfensaftl war für Hans Hohlrieder einst nicht leicht zu kriegen. Auch nach der Kirche im Wirtshaus nicht. „Hat ja in der ganzen Wildschönau koana a Bier dahoam g’habt. Heut hat jeder a Kistn im Keller“. Gefeiert wurde nur bei Hochzeiten. „Und das nur an Montagen“, erzählt er. Am Sonntag, dem Tag des Herrn, durfte man das nicht. Und auch Samstag nicht, weil sonst viele die Kirche am nächsten Morgen verschlafen hätten. „Wir sind oa von die ersten g’wesen, die am Sunntag g’heiratet haben“. Und letztes Jahr haben Hans und Wetti die Goldene gefeiert.
Einfachheit und Bescheidenheit machen die beiden zufrieden. „Das is des Wichtigest“. Und was ist Luxus für sie? „Wir sind einfach z’frieden mit dem, was ma haben“, sagt Wetti, „Es is ja nit so, dass ma all’s haben miass’n“. Auch wenn sie nur von der Bauern-Rente vom Hans leben. „Und a bissei verdeana ma ins ja mit dem Schnaps a“.
Urlaub brauchen sie auch keinen. Ab und zu ein kurzer Abstecher nach Südtirol, das reicht. Und weil Wettis Großonkel, der einstige Landwirtschaftsminister Andreas Thaler, einst in Brasilien die Ansiedlung Dreizehnlinden gegründet hat, ging‘s für die Hohlrieders eh auch mal in die große, weite Welt hinaus. Das war nett, aber auch ein bissl strapaziös. „Sinst wer ma nimma viel daleben miassen“, meint Hans relaxt. Und sie: „Na, mir kimmt vor, uns geht nix ab“, sagt Wetti. „Wichtig is, dass wir mit den Jungen gut auskommen, und dass uns die Enkel gern mögn“.
Und die Gesundheit ist die Hauptsache. „A bissl fangt‘s im Alter scho an weh toa“. Aber der Krautinger, der richtet‘s schon, so wie in jenen Tagen, als im Zauberwinkel kein Doktor greifbar war. Das Brennen ist der Hohlrieders liebstes Hobby. „Muass ans a mit Liab toa, sonst grat er nit“. So wie alles im Leben.
Jeden Abend kocht es in ihm
Und was bedeutet Simon Taxacher Luxus? „Luxus is für mi Zeit“, sagt er. „Wenn i mal eppas toa will, und i hab Zeit dafür. I hab das Hahnenkammrennen vor der Haustür, das tät mich so glusten“. Aber er hat keine Zeit dafür. „Es ist halt grad a Run auf ins, und so pushen wir weiter. Das mach i, solang i Lust hab“. Seine Arbeit erzeugt ja auch positives Adrenalin. „Jeden Abend! Kurz bevor um 19 Uhr das Restaurant öffnet, brodelt alles, fangt alles kochen u in mir. Der Puls is anders. Dann bin i gricht, das Team zu leiten“. Auf seine Leute kann Taxacher sich verlassen. Jetzt zählt‘s! „Da is es komplett ruhig in der Kuchl“. Volle Konzentration, „und i koch Vollgas mit“.
Deutlich entschleunigter geht‘s zu, als wir uns zum Fotoshooting am Vorlehen-Hof treffen. Nun rücken der Haubenkoch und die Krautinger-Bauern gmiatlich am Tisch zusammen, und erzählen noch ein bissl aus ihren so unterschliedlichen Welten. Dass dabei auch zunehmend gelacht wird, ist auch den drei Stamperl Schnaps zu verdanken, die sich schnell und freudig leeren.
Simon Taxacher liebt seinen Beruf. Und seine Gäste und Tester lieben sein Essen. Der vom Gault Millau 2015 schreibt zu den Desserts: „Kirschen kommen in allen Temperaturen, Konsistenzen und Farben auf den Teller. So soll es sein, am Ende eines Essens, bei dem mit Aufwand und Qualität nicht gespart wurde und das den einen oder anderen besten Gang der diesjährigen Testsaison brachte“.
„Ja, ja!“ - „Woi, woi!“
TEXT: EDUARD EHRLICH
FOTOS: KERSTIN JOENSSON, KURT TROPPER, TVB WILDSCHÖNAU
ERSCHEINUNGSDATUM: NOVEMBER 2015