Da Jordan Herbert
Lebenslauf eines philosophischen Mundart-Virtuosen
Es gibt viel von ihm zu lesen, verhältnismäßig wenig über ihn. Und kurz sah es so aus, als würde auch dieses G’schichtl über den weitum bekannten und beliebten Kirchberger Mundartdichter Herbert Jordan nicht allzu lang werden. „I hab a Kurzfassung von meiner Lebensg’schicht“, sagt er, und schlägt in der 5. Ausgabe seiner Buchreihe „Brixntoiarisch“ sein Gedicht „Lebnslauf“ auf.
Der 86jährige liest: „Bin a luastiga Bua gwen, hu gjuchitzt und gsunga, bi barfuaßat auf a niads Joch auffigsprunga“. Und so fort. „Des war vielleicht gfieriger, wia da was dazähln“. Etwas mehr als auf den zwei kleinen Seiten will ich aber schon erfahren. „No mehr?“. Ich weiß, dass er in Haiming geboren wurde. Da beginnt Herbert doch zu plaudern! „Ja, der Vater hat dort a Sägewerk gepachtet“. Das ist in der Weltwirtschaftskrise pleitegegangen. „Und der Großvata hat in Ranggen a kloas Bauernöschtl ghabt. Dort waren wir 7 Kinder, die Eltern, die Großeltern und a kranke Tante, und haben alle von den 4, 5 Kühen nimma leben können“.
Anfang der 30iger müssen hochverschuldete Bauern im Unterland ihre Höfe oft billig verkaufen. So erwirbt der Großvater in Kirchberg um 6.000 Schilling den Obwiesen-Hof, in dem sie nun mit 15 Leuten am Tisch hocken, inklusive Knecht, Dirn und den alten Obwieser-Leut, die sie im Kauf mitübernehmen mussten. Wegen einer neuen Steuer ist aber auch dieser Hof nicht zu halten. Doch Herberts Vater ist ein Unternehmertyp und brennt in der Schottergrube Kalk. Sie ziehen in die Dorfwies, er pachtet ein Stück Acker. „Wir haben Erdäpfl graben und Krautwürm zdetschn müssen, wenn die oan fuaßballgspielt haben“. Bald kauft das halbe Dorf bei den Jordans Erdäpfel, Kraut und Kalk. So kommen sie gut über die schlechten Jahre.
Sind alle arm, spürt man die Armut nicht
„Die Kindheit war unbeschwert und fröhlich, im Wald, auf den Wiesen“, erzählt Herbert. Sie machen ihr Spielzeug selbst, schnitzten Mai-Pfeifen, bauen Wasserräder, unterm Baum einen Stall, basteln Kühe aus Tannenzapfen. „Wir waren arm, aber wenn rundum alles arm ist, spürt man die Armut nit so sehr“. Sie sammeln Brennholz im Wald, tausende Liter Beeren und Schwammerl. Was nur geht, verkaufen sie. „Mit dem Geld haben wir’s Wintergwand finanziert“. Schließlich kommen böse Zeiten. Herbert ist 8, als die schwerkranke Mutter ins Spital muss.
„Und zwoa Tag vor Weihnachten ham’s den Vater mit einem dreifachen Beinbruch gebracht. Dann hamma mit 7 Kindern mit nix Weihnachten g’feiert“. In seiner Geschichte „Christkindl suachn“ erinnert Jordan an jene Tage: „Und mit an goidan, an he(ll)liachtn Schei‘ stöllt si, wia wann nix wa’, ’s Christkindl ei“, heißt es da. „Ans Christkindl hat ma lang glaubt, a wenn ma scho nimmer recht dran glaubt hat. Wir sind Rachn gangen, ham den Rosenkranz gebetet. Den hab i nit mögen, wegen der langen Litanei hintennach“. Später bemerkt er im „Lebnslauf“: „Bi a gläubiga Mensch gwen, aba heit jednfalls, glab i dös, was ’s ins prödign, scho lang nimma ois“.
Einmal geschah etwas im Krieg Ungewöhnliches: „Da sind am Christbam 7 Orangen g’hängt. Wir Kinder haben sie verteilt, die größte kriegt der älteste Bruder, und so weiter. Für mi hat’s die fünftgrößte troffen“. Ein Ereignis!
Nach der Schule an der Wolltatsch
Schließlich baut der Vater eine Wolltatsch, mit der gewaschene Schafwolle zum Handspinnen aufbereitet wird. Die Familie zieht zum Kirchgass-Bäck, wo sie erstmals elektrisches Licht und Strom hat. Vater ergattert in Chemnitz eine eiserne Wolltatsch, wegen ihr kommen Kunden in den notleidenden Kriegsjahren von weit her. „I hab nach der Schul oft auf d’Nacht bis zehne wolltatscht. Heut war g’recht, wenn sie vom Schulgehen glei in die Pension geh’n kuntn“, lacht Herbert. Fünf aus der Familie müssen in den Krieg einrücken, die Belastung ist enorm, doch gottlob überleben alle.
„I war bei der Hitler-Jugend, wie alle damals“. Da konnte man etwa zu den Gebirgs- und Fallschirmjägern. „I hu ma denkt: boid wir mit dem Fallschirm abspringen, und unten schiassns auffi, da kust di wehrn a nit“. Er will auch nicht zur Ostlandjugend, um nach der geplanten Eroberung der Ukraine und Russlands dort Bauer zu werden. Auch die Nationalpolitische Erziehungsanstalt ist nichts für den Sohn eines Anti-Nazis. Letztlich werben sie für die Lehrerberufsanstalt, und weil ihm das am wenigsten gefährlich erscheint, wird Herbert Lehrer.
Auf einer 10-monatigen Tournee einer Tiroler Volkstanzgruppe durch 42 Amerika-Staaten umschwärmt der 21jJährige singend und schuhplattelnd die Amis, aber auch ein Mädel aus der Truppe. Im „Lebnslauf“ steht: „Die Dorli is a mitgwen mit ihrn schön Gsang. I hu s‘ nit leicht kragg, aba han tua i s’lang. Is a söltn liabs Weibi!“ Heute sind sie 64 Jahre verheiratet.
Weil ein Kind unterwegs und sein Anfangsgehalt als Lehrer gering ist, tritt Herbert in Vaters kleinen Spinnereibetrieb ein. Das minderwertige Wollgarnzeug aus den schrottreifen Maschinen verkauft sich nach dem Krieg gut, bis Mitte der 50iger, als wieder alles zu kriegen ist, ihre Ware nicht mehr konkurrenzfähig ist. Dennoch übernimmt Herbert den Betrieb. „Es waren jahrelang harte Zeiten, koa gscheite Maschin, koa Geld, die Leibrente für die Eltern, die Familie erhalten“. Doch nach und nach kann Jordan, auch mit Sohn Reinhard, die Firma zu einem leistungsfähigen, modernen Mittelbetrieb mit 30 Beschäftigten aufbauen. Nebenbei ist der Fleißige etwa 30 Jahre Kirchberger Gemeinderat, ÖVP-Obmann sowie Gründungsobmann des Museumsvereins Kitzbühel, leitet die Kirchberger Singgemeinschaft.
A schöns Liad und a Raim
Schließlich beginnt Herbert zu Schreiben und Mundartdichten. Vom Singen in der Familie bekam er ein Gefühl für das Reimen. „A schöns Liad und a Reim hat ma scho oiwei g’falln“. Es geht ihm gut von der Feder, bald stellen sich erste Erfolge ein. „Die Schreiberei is koa Broterwerb, es is mehr oder weniger die Genugtuung, es zu können. Und die Freud, dass die Leut’ damit a Freud’ haben“. So mehren sich die Lesungen und breiten sich in unserer Gegend, wie auch von der Pfalz bis Südtirol, von der Schweiz bis Wien, aus. Seine wachsende Beliebtheit bringt Herbert eigene Sendungen im Radio Tirol sowie Sendereihen im Bayrischen und Südtiroler Rundfunk, seine Bücher verkaufen sich so oft, wie bei wohl keinem anderen westösterreichischen Mundartdichter – etwa 50.000 mal, beachtlich für einen nur bei uns leicht verständlichen Dialekt.
Sein Erfolgsrezept? „Was Ehrliches schreiben kannst nur, wenn du was woaßt“, sagt Jordan. „Und was du woaßt, muass aus der Erfahrung kemmen. Da muass ma scho was dalebt haben. Der Brixentaler Wiaschtshaus-Hoangascht ist lustiger und spritziger wie die ganzen Kabarettisten in Wean z’sambringen“, meint er und profitiert als Autor davon.
Im „Lebnslauf“ heißt es zu Dorli: „Ham’s mitanond schö g’habb, dös ku ma woi sagn, hamb mitanond schwaristi Zeitn datragn“. Ein eigenes Kind zu verlieren, zählt zum Schlimmsten, was einem Menschen widerfahren kann. „Ja“, weiß Herbert, „Und zwoa zu verlieren, is doppelt schlimm“.
Der eine Sohn ertrinkt mit 11 Jahren, der andere erliegt einem Herzschlag. „Die Zeit heilt a bissl was. Ma kann’s a bissl übertauch’n“, sagt Herbert, „Aber es sind halt oft sehr lange Nächte, wo man denkt: ‚Hätt das sein miassn? Was wäre gewesen, wenn?‘“ Geschrieben hat er drüber nichts. „Des is eine Sache, mit der man selber fertig werden muss“. Zwei Kinder haben Herbert und Dorli noch. Die machen sie enorm glücklich.
Mit 85 noch 20.000 Höhenmeter
Herbert war stets gesellig und kannte viele Leute. „Die von damals in den Wirtshäusern, die sind heut’ am Friedhof. Man vereinsamt irgendwie. Aber i bring scho was her, was ma g’fallt“. Der Bergfan trotzt dem Alter. „I hab mindestens 500 Gipfel bestiegen und kenn weit um praktisch jeden Steig. Heute noch, mit 85, geht er täglich zirka 3 Kilometer, schafft etwa 22.000 Höhenmeter im Jahr. „Ma hat nit so a langs Leben und muass ja eppas draus machen! Mir kimmt vor, je aktiver ein Mensch, desto mehr bringt er z’samm“.
Im Advent bringt Herbert die Leute bei Lesungen gern zum Nachdenken, zur inneren Einkehr. Was bedeutet ihm Besitz in Zusammenhang mit dem Sinn von Weihnachten? „Je älter ma werd, desto weniger is notwendig. Bis ma mi amoi dazua zwingt, a neue Hos z’kaffn…“. Herbert lacht. „I hab ja no Hosen“. Es heißt, wenn man Zufriedenheit nicht in sich selbst findet, dann findet man sie auch schwer durch Materielles. Das sieht Herbert genauso: „I brauch koa St. Tropez. Wenn i am Berg a paar scheene Bleamei siech, a Quelle und a Bachkresse, da hun i wesentlich mehr davon“. Kleinigkeiten bereiten ihm Freude — „Genau das is es!“
„Heiter, besinnlich, ernst“, wie seine Arbeit, so ist er auch selbst. „Jetzt woaß i nit, was dir drausdaklaubst da“, sagt er mir zum Gespräch. Ihr habt es eben gelesen. Am Ende seines „Lebnslaufs“ steht: „Mit meini Gedichtl, wernd Tausnd woi sei, hamb vü Leit a Freid. I bild ma’s halt ei. So wer i halt oid und i siech aufamoi: Ganz gleich, wo i hischau, geht’s übraoi getoi. No wöhr i mi hoit und i nimm mi recht zamm, und bald’s go nimma geht, is’s halt aus, an Gott’snamm“.
Herbert Jordan ist trotz seiner schweren Schicksalsschläge dankbar für sein Leben. Das beweist sein „Dankliad“ eindrucksvoll …
Dankliad
I dank und gfrei mi üba jedn Tag,
den i daleb und gsunda aufsteh‘ mag.
I dank, daß du di gfreist, krad weilst mi siggst,
und glücklich bin i, wannst nebn meiner liegst.
I dank, daß i mit dir ois rödn ku
und a fi dös, was du fi mi hast tu.
I dank, daß insri Kina recht guat toand
und oft no fragn kemmand, was mia moand.
I dank, daß aus’n Brunn a saubas Wassal kimb,
es is so guat, daß dös bei ins do stimb.
I dank fi’s Morgnrot, sing ganz friah mei Liad,
bi nach da Arbit z’friedn und bin i no so miad.
I dank fi’s Brot. I hu auf meiner Lebnsroas
lang wenig g’habb, so daß i’s z’schatzn woaß.
I dank von Heaschzn für’n Friedn, er is gwieß
das größte Glück, das ins beschiedn is.
I dank, daß ’s Büacha, Bilda und die Musig geit,
und kradt a Reim, aft hun i a a Freid.
I dank fi oi die Berg und daß i’ s Gehn no sovi bi,
und fi die Bleamei, dö am Weg stehnd hi und hi.
I dank, fi d’Sunn und dank fi’s Augnliacht,
daß i an Mond ku schaugn, der übern Himmi ziacht.
I dank a für die warmi Stubn zur kaltn Zeit
und daß‘s Maschina fi die schwari Arbit geit.
I dank fi Wiesn, Alma, Felsn, Bach und Wald,
schau gern a Dianei u, dös was ma gfallt.
I dank fi d’Sterndl, so unendlich weit,
i bi so kloa und denk an die Vergänglichkeit.
I dank, daß’s heit a Hülf geit, wann was feiht
uns fast a Ruah is und a a Gerechtigkeit.
I dank, fi meini Freind und a fi‘ n Wei‘,
und hoff, mia kinnand oft no fröhlich sei.
I dank, daß i do lebn ku, is a nit gor ois guat,
i kunnt go nit wo onascht sei, mit mein Tiroiabluat.
Zum dankn gab’s no woitan vü, i woaß krad nit ois z’sagn.
Dös hülft ma ois, mein Sorgnsack und meini Binggei tragn.
TEXT: EDUARD EHRLICH
FOTOS: NELA PICHL, PRIVAT
ERSCHEINUNGSDATUM: NOVEMBER 2015