Und die Kuh schaut zu
Von Engeln, die einen "Lachflash" bekommen, schwangeren Marias und wann für Anni Scheer wirklich Weihnachten ist.
„Bist du sicher, dass die Zeit gekommen ist?“, fragt der eine Engel den anderen, hoch oben am Dach des kleinen Stalles. „Aber ja,“ antwortet jener mit getragener Stimme, deutet auf die Szenerie zu seinen Füßen und – bricht in schallendes Gelächter aus. Schnitt. „Gott segne dieses Brot und hoffen wir, … a wass.“ Der Hirte schüttelt lachend den Kopf und räuspert sich. Schnitt. Die Generalprobe des traditionellen Krippenspieles in Angerberg wird 2015 per Video aufgenommen. Alle sind mit großem Ernst dabei, und doch bricht der Schalk immer wieder durch. Eine etwas zu dramatisch angelegte Geste, ein unterdrücktes Grinsen, ein Texthänger, … schon lacht alles, bis die Tränen fließen. Bei der Aufführung selbst – vor Publikum – sind die Engel, Hirten und Co dann aber wie immer sehr konzentriert. Und schaffen es mit ihrem Spiel, den Zusehern den Zauber der Weihnacht erleb- und spürbar zu machen.
Vom Basteln zum Krippenspiel
„Jå, es is scho immer a hübsch a Aufwand,“ meint Anni Scheer. Sie ist es, die das Krippenspiel ins Leben gerufen hat, das alle zwei Jahre hunderte Besucher auf den Angerberg lockt. Angefangen hat alles ganz klein, und zwar im Jahr 1989. Anni bastelte daheim mit ihrer Tochter Eva und einigen Nachbarskindern kleine Geschenke für Weihnachten. Daraus entwickelte sich eine Weihnachtsfeier mit Krippenspiel, die zum fixen jährlichenTermin für alle Beteiligten wurde. Das Spiel aber wuchs und wurde so umfangreich, dass ein Regisseur gebraucht wurde. Hubert Osl, inzwischen Altbürgermeister und Angerberger Volksschuldirektor im Ruhestand, übernahm diese Funktion und war maßgeblich daran beteiligt, dass sich das Krippenspiel immer weiter entwickelte, größer und professioneller wurde. Inzwischen hat ihn Werner Schwarzenauer abgelöst. Franz Osl übernahm von Anfang an die Rolle des Sprechers und berührt Zuseher und -hörer noch heute mit gefühlvollen Texten.
Die 10. Weihnachtsfeier im Jahr 1999 sollte etwas ganz Besonderes werden: Anni wünschte sich, dass sie im Freien stattfinden sollte, mit echten Tieren. Und so kam es auch. Weisenbläser waren dabei, auch die Anklöpfler – und natürlich Schafe, Esel, und auch die Kuh sah zu. Zuerst fand alles Platz in einem Stadel am Feld des Nachbarn. Als dieses jedoch abgerissen wurde, musste kurzerhand Ersatz her. „Mia bau’n uns a eigene Krippe,“ meinte Annis Mann Sepp. Zum Glück fanden sich unter den Hirten drei Zimmerer, die sich auch gleich ins Zeug legten. Weil Tiere, Darsteller und Technik ziemlich viel Platz brauchen, wurde aus der Krippe ein gar nicht so kleiner Stall, der im Herbst, wenn noch kein Schnee liegt, mit Hilfe eines Krans aus Annis Garten auf das Krippenspiel-Feld „einfliegt“.
Die Vorbereitungen für die Aufführung nahmen immer mehr Zeit in Anspruch. Deshalb entschloss man sich, das Spiel jedes zweite Jahr aufzuführen. 2017 ist es wieder soweit, und zwar am 17. Dezember. Mittlerweile spielen und helfen schon die Kinder jener Kinder mit, die damals mit Anni bastelten. Und natürlich Annis Verwandtschaft, ihre Geschwister, Schwägerinnen und Freunde. „De kemman ålle zum Handkuss,“ erzählt sie und zwinkert mir zu. Anni muss nicht bitten oder betteln, sie sind gerne mit von der Partie. Denn die Einnahmen aus dem Spiel kommen immer einer sozialen Einrichtung oder einer Familie zugute, die Unterstützung braucht. Was Anni besonders freut: Selbst die Kinder und Jugendlichen sind mit Begeisterung dabei und erwarten keine Gegenleistung für ihren Einsatz. Ganz im Gegenteil. So mancher fettet die Einnahmen aus eigener Tasche sogar noch auf.
Die Marias nehmen Ihre Rolle ernst
Anni kennt ihre „Pappenheimer“ und weiß, wer sich am besten für welche Rolle eignet. Sie selbst tritt auch immer wieder in Aktion. Als „alte Frau“ oder Marktfrau, oder was immer sich anbietet. Ihre Tochter Eva hat einmal die Maria gespielt. Als sie schwanger war. Mit den Marias ist das so eine Sache: Sie sind meistens schwanger, und zwar nicht nur im Spiel. „Eigentlich scho komisch,“ meint Anni nachdenklich. Und sie zählt an den Fingern jene jungen Frauen auf, die alle guter Hoffnung waren, als sie die Mutter von Jesus verkörperten. „I woass nit, wås des für a komischer Zuafoi is, muass wohl a besonderer Seg’n sei.“ Oder die jungen Damen nehmen ihre Rolle besonders ernst. Eine Schwangerschaft ist in den allermeisten Fällen ja Grund für Freude. Manchmal sorgt die „gute Nachricht“ aber auch für Schock. Anni weiß, wovon sie spricht. Ihre Tochter Eva erwartete mit 17 Jahren ihr erstes Kind. „Des wår schon sehr überraschend,“ erinnert sie sich. Im ersten Moment konnte sich niemand vorstellen, wie das gehen sollte mit der jungen Mama, die selbst noch ein Kind war und die Schule besuchte. „Ma glabt, es geht nit, weil ma den Weg nit sieht,“ sagt Anni, „aber a Weg is immer då.“ Alles ist möglich, das bewies das Leben selbst. Alle halfen zusammen. Eva machte die Matura, fand Arbeit. „Es wår nit immer leicht, aber es is gånga.“ Heute ist Johannes, inzwischen selbst 17, der ganze Stolz der Familie und der kleinen Jana ein liebevoller großer Bruder. Wie zu sich selbst sagt Anni leise: „Irgendwie geht hoit immer ois.“
Anni packt an
Das gilt natürlich auch für das Krippenspiel. Ein paar hundert Besucher wollen nicht nur eine schöne Aufführung sehen, sondern auch bewirtet werden. Geht alles. Anni organisiert, teilt ein, plant. Sie ist nach wie vor die Hauptorganisatorin. Kümmert sich um die Einteilung der Darsteller, die Kostüme, den zeitlichen Ablauf und und und. „Und der Sepp muass hoit überall dabei sein,“ lacht sie. Ob er will oder nicht. Aber natürlich will er eh. Das Krippen will organisiert werden, die Zeit nimmt sich Anni gerne. Daneben hat sie ja auch sonst noch so ihre „Jobs“. Einmal im Monat beispielsweise ist sie einen Tag lang mit dem Angerberger E-Mobil unterwegs, einem Taxi, das innerhalb der Gemeinden Angerberg, Mariastein und Angath verkehrt – um einen Euro pro Fahrt. Anni fährt natürlich ehrenamtlich. Genauso, wie sie regelmäßig Essen auf Rädern ausliefert in Angath und Angerberg. Auf ihrer Runde hat sie zwar nicht sehr viel Zeit, aber ein „Ratscher“ mit ihren KundInnen geht sich immer aus. „De Leit’ g’frein sich, und selbst gibt einem des a viel.“ Schlimm ist es nur, wenn sie erleben muss, wenn das Haus, das sie jahrelang angefahren hat, plötzlich leer steht. „Jå, des tuat scho weh,“ sagt sie leise. Aber viel Zeit zum Sinnieren hat sie nicht. Schließlich organisiert sie mit einem kleinen Team ja auch den Seniorenhoangart, hilft bei den Vorbereitungen für den Nikolausumzug, bewirtet in der Garage acht Peaschtl-Passen, verkauft am Adventmarkt in Mariastein Selbstgemachtes für den guten Zweck und so weiter. Sie schenkt viel von ihrer Zeit ihren Mitmenschen, in der einen oder anderen Weise. Viel arbeiten und für andere da sein – beides war ihr wahrscheinlich in die Wiege gelegt. Anni wurde 1953 in Angerberg geboren, bevor die Familie für fünf Jahre nach Fieberbrunn auf den Ofenberg zog. Dann kam Anni wieder zurück nach Breitenbach, wo der Vater den „Leit’nhof“ erwarb, den heute ihr Bruder Hansl bewirtschaftet. Dort verbrachte sie eine glückliche Kindheit mit zwei Schwestern und vier Brüdern, bevor die Mutter allzu jung starb. Fast 40 Jahre lang arbeitete Anni bei der Molkerei in Wörgl. Ihr Tag begann sehr früh am Morgen, manchmal schon um drei. Auch als ihre Tochter Eva zur Welt kam, ging sie weiterhin ganztags zur Arbeit. Sie kam ja früh nach Hause, und ihre Schwester half ihr mit der Tochter. „Mia håt die Arbeit nia nix g’måcht,“ sagt Anni.
Malen und übermalen
Seit 8 Jahren ist Anni nun in Pension. Und nimmt sich seither gern Zeit zum Malen. Interessiert hat sie die Malerei schon immer, inzwischen hat sie ein paar Kurse besucht. „Des gibt ma schon viel, des Malen,“ sinniert Anni, „da kust total abschalten, da denkst nix mehr.“ Neben Motiven aus der Natur hat sie begonnen, auch abstrakt zu malen. Einige ihrer früheren Werke hat sie inzwischen überpinselt, weil sie ihr nicht mehr gefielen. Und wenn sie in einiger Zeit wieder etwas zum Aussetzen findet, wird sie die Bilder wieder überarbeiten. Es sind Kunstwerke, die niemals wirklich fertig sind. „’s Malen beruhigt. Da vergisst ma ois Andere.“ Anni braucht diese Auszeiten wirklich. Denn während unseres Gespräches läutet sechsmal das Handy, jedes Mal drückt es Anni weg. Annis Bruder Hansl kommt herein und verzieht sich, als er des Aufnahmegerätes gewahr wird. Annis Untermieter schaut vorbei, sie bringt etwas und hat noch eine Frage. Sie kommt später wieder. Sepp erinnert Anni daran, noch die Nachbarin zurückzurufen. Bei den Scheers ist immer was los. Alle wollen etwas von Anni. Sie gibt viel, aber sie bekommt auch viel zurück. Und viel Unterstützung bei allem, was sie tut. Natürlich auch beim Krippenspiel. Dafür ist sie sehr dankbar. „Alloa geht hoit nix, und gemeinsam måcht’s mehr Freid’.“ Was denn das Schönste für sie sei am Krippenspiel, will ich von Anni wissen. Sie antwortet lächelnd: „Sche iss imma, wenns umma is und guat gånga. Weil dann is für mi Weihnachten.“