Leben abseits des Trubels

Für manche Menschen ist die Natur alles, was sie brauchen.
Fritz Dornauer ist so einer.

Ein großer hölzerner Bogen spannt sich über dem Schlagbaum. „Naturschutzgebiet Kaiserbachtal“ steht darauf. Erst vor 5 Jahren wurde dieses Portal ins Kaiserbachtal mit Schranken und Kassenhäuschen neu errichtet. Wer hindurch schreitet oder fährt, gelangt in eine andere Welt. Es ist eine wunderschöne Naturwelt. Der Weg führt entlang des munter plätschernden Baches hinauf zur Fischbachalm und weiter zur Griesneralm, begleitet von wechselnden Naturkulissen, dominiert vom beeindruckenden Massiv des Wilden Kaisers. Mit jedem Meter Weges bleibt die Welt draußen mehr und mehr zurück, mit ihr der Alltag und alles, was uns durch den Tag hetzt. Ruhe kehrt ein, außen wie innen. Das Gurgeln des Baches besänftigt die Sinne, der gleichmäßige Schritt lässt uns regelmäßig und tief atmen. Die klare, gute Luft macht den Kopf frei und die Natur rundherum, der Berg, lässt uns alles vergessen. Schön ist es hier, am liebsten möchte man bleiben. Einen Tag lang, zwei, vielleicht eine ganze Woche nur dem Gesang der Vögel lauschen, nur Wald, Alm und Berg beim Blick aus dem Fenster, fern der Welt. Ein Weilchen würden wir es alle aushalten, genießen. Aber ein Leben lang?

Im Kaiserbachtal daheim

Fritz Dornauer, Wirt auf der Griesneralm, ist seit seinem 5. Lebensjahr im Kaiserbachtal zuhause. Im Sommer wie im Winter. Will er ins Dorf nach Gasteig, muss er zuerst die 5 Kilometer lange Forststraße bis zum Schranken hinunter bewältigen, bis er zur Hauptstraße gelangt. Er kennt es nicht anders und „moat nix dabei“. Seine Frau Marianne stammt von einem Bauernhof in Kössen, der auch etwas abseits steht. Also war so viel Natur um sie herum auch für sie nicht ungewöhnlich, als sie ins Kaiserbachtal zog. Obwohl: Dass sie einmal so abgelegen leben würde, hatte sie nicht geplant und erwartet. „Des håb i nit damoat“, gibt sie lächelnd zu. Worauf ihr Fritz sagt: „Die Liebe måcht eben blind, då håts vo da Gegend net vü g’sech’n.“

Fritz lernte seine Marianne über den TVB kennen und lieben

Fritz kannte zwar Mariannes Eltern und Geschwister, von ihrer Existenz erfuhr er jedoch erst spät. Jahre bevor er seine zukünftige Frau kennen lernte, waren einmal ihre Eltern zu Gast in der Griesneralm. Damals meinte er spitzbübisch zu ihnen: „Schåd is, dass koa Tochter mehr håbts, koa ledige, siest kammat i nu hinter de Oim då obn“, und meinte damit die Ranggenalm oberhalb der Griesneralm, die ihnen gehörte.

Die Eltern lächelten damals nur und erwähnten Marianne mit keiner Silbe. Fritz lernte sie dann über den Tourismusverband kennen und lieben. Marianne ist Fritz’ zweite Frau, sie haben zwei Töchter. Fritz hat noch zwei weitere Töchter und einen Sohn. Die beiden gemeinsamen „Dirndln“ sind jetzt 20 und 22 Jahre alt und arbeiten in einem Hotel an der Rezeption. In der Sommersaison werden sie nach Hause kommen und die Eltern auf der Griesneralm unterstützen. Die Griesneralm ist im Sommer nämlich ein beliebtes Ziel für Wanderer und Naturliebhaber. Und auch im Winter beherbergen die Dornauers bis zu 40 Hausgäste.

Früher, als die Mädchen noch klein waren, war das Leben auf der Griesneralm viel komplizierter. Jeden Tag brachten Fritz oder Marianne die beiden mit dem Auto zur Schule. „Unter oft prekären Umständen“, wie sich Marianne erinnert. Wenn im Winter viel Schnee lag, fuhr Fritz mit dem Schneepflug voraus und Marianne folgte mit den Mädchen im Auto. Da hieß es früh aufstehen.

Als 1989 die Grenze zur ehemaligen DDR öffnete, stürmten Ostdeutsche busweise das Kaiserbachtal. Bis zu 4.000 Leute kamen in der Saison. Das war für die Familie kaum mehr zu bewältigen. „A Wuschtelwerch wårs a fürchterliches, des ku ma si heit nimma vorstellen“, schüttelt Fritz den Kopf. Aber wenn man mittendrin ist, dann geht es eben irgendwie. Heute ist das anders, es ist viel ruhiger geworden. Marianne war eigentlich immer eine ganz Schüchterne, wie sie selber sagt. „Owa heit iss mit Herz und Seele Wirtin,“ weiß Fritz.

Fritz, der Bauernmusikant
Die Griesneralm ist auch ein Ort der Musik. Im Herbst findet jedes Jahr der „Musikantenhoangascht“ statt, bei dem sich viele Musikanten, auch aus Bayern, auf der Griesneralm treffen. Die Melodien und Volksweisen klingen dann durchs ganze Tal. Fritz selber spielt Harfe. „I bin hoit a Bauernmusikant“, meint er. Der Vater hat ihn einst gar genötigt, das Instrument zu erlernen. Aber wie es so ist, wenn man etwas erzwingen will: Der Fritz „håt koan Biss nit kåbt“, wie er selber sagt. Er hat die Grundbegriffe erlernt und sich selber später noch etwas beigebracht, indem er Bänder angehört und nachgespielt hat. „Owa des Notenlesen, des håb i nia dalernt.“ Seine Mädels aber, die können richtig und gut Harfe spielen, sagt er stolz und streicht sich über den silbernen Schnurrbart. Wenn es gerade passt und er Lust und Laune hat, greift Fritz auch für seine Gäste gerne mal zur Harfe. „De Leit gfoits. Owa nit dass moanan, dass i des oiwei måch, des gangat går net.“ Während unseres Gespräches in der Stube klingelt das Telefon. „Bist unten beim Schranken?“ fragt Marianne. Es ist ein Lieferant. „Es is ois a bissl umständlich bei uns“, erklärt Fritz. Lieferanten, Monteure oder der Kundendienst fahren natürlich kostenlos auf der Mautstraße. Im Sommer ist das auch kein Problem, aber im Winter geht nichts ohne Allrad-Fahrzeug.

Das „Jagan“ macht den Kopf frei

Wenn Fritz der Trubel mit den Gästen zu viel wird, geht er auf die Jagd. Das „Jagern“ ist seine große Leidenschaft. Sein Revier befindet sich auf der Kohlalm bei Schwendt. „Då gibts vü wüdn Schniedla und allerhand Wild“, lacht er. „Wenn i unter Strom steh, geh i jagan, dann bi i wieder frei im Schädel.“ Fritz braucht einen Platz, an dem er ganz alleine ist und seinen Gedanken nachhängt. Draußen im Wald wird vieles klarer, und so manches Problem löst sich wie von allein..
Mutterseelenallein den Gämsen zuzusehen, zu schauen, wie die Kitzlein springen, das macht den Fritz zufrieden. Ums Erlegen geht es ihm längst nicht mehr. „Ois a Junger, då bist schussgeil. Owa des ändert sich. I tua mas mittlerweile liawa uschaugn als wia schiassn. Wenn i wås drauss toa ku, bin i z’frieden.“ So hat Fritz zum Beispiel eine kranke Gämse erlöst, die sonst elendiglich zugrunde gegangen wäre. Eigentlich wäre das die Hauptaufgabe der Jäger, sinniert er. Seine Abschüsse teilt er sich mit Freunden. Die freuen sich, und Fritz freut sich auch. Sein Weg ins Jagdrevier führt ihn an einem Gasthaus vorbei. Da kehrt er natürlich gerne ein. „Weil i håb a koa Gaudi, wenn de Leit bei mir vorbeigehn und einawinken.“

„A Wirt ohne Bauch is a schlechte Reklame.“

In seiner Jagdhütte gönnt sich Fritz eine gute Jause und ein Schnapserl. Früher zündete er sich auch gerne die Pfeife an. Doch vor 4 Jahren hat er das Rauchen von einer Stunde auf die andere aufgegeben. Der Gesundheit zuliebe. Wie hat er das geschafft, einfach so aufzuhören? Immerhin war er früher starker Raucher und die Pfeife sein treuer Begleiter. „Vielleicht, weil i mas immer scho vorgnommen håb. Jetzt is hoit da Bauch gressa wordn. Owa a Wirt ohne Bauch is a schlechte Reklame, hoassts.“

Im Wald, auf der Pirsch, ist Fritz nicht ganz allein. Bella, eine Brandlbracke, begleitet ihn. Wenn auch nur widerwillig. Denn Bella, ein waschechter Jagdhund, hasst das „Jagan“. „I muass sie schiaga einiziachn as Auto, wenn i fåhr.“ Sind sie einmal am Weg, geht Bella brav mit und ist auch nicht schussscheu. Ist dann aber ein Stück Wild erlegt, schaut sie nur von weitem zu, wenn es aufgebrochen wird. Als würde es ihr den Magen umdrehen. Wie gesagt: Bella hasst die Jagd …

„Ruhe kehrt ein, außen wie innen.“

In der Zwischensaison gehen Marianne und Fritz selber gerne wandern, wenn es das Wetter zulässt. Einmal im Jahr geht es hinauf aufs Stripsenjoch. Auf der anderen Seite, im Kaisertal, das nach Kufstein hinaus führt, besuchen sie gerne befreundete Wirtsleute und tauschen ihre Erfahrungen aus. Es sind Menschen, die wie sie das ganze Jahr über am Berg leben, fern der „Zivilisation“. Und die es wie sie genießen. „I bin mit mein Leben z’frieden, i tauschat mit koan Menschen net“, bekräftigt Fritz und fügt hinzu: „Mia bleibn bis 100.“

TEXT: DORIS MARTINZ
FOTOS: FOTOHAUS JÖCHLER, PRIVAT, FRANZ GERDL
ERSCHEINUNGSDATUM: FRÜHLING 2015

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