Auf der Walz'
Warum Andreas Krall einst keine Hoamatkrax zufiel, und warum er als Pistenchef der Bergbahn Westendorf alle Hochachtung verdient.
„Schifoan is des leiwaundste, wås ma sich nur vurstelln kånn“, singt der Wolferl Ambros in seinem Evergreen. Ever green. Immer grün. Schwarzmaler zeichnen dieses Szenario durch den alpinen Klimawandel auch für Skipisten der Zukunft. Dass wir so selbstverständlich „leiwaund“ über Schneehänge gleiten können, das verbirgt heutzutage einen immensen Aufwand im Hintergrund, der den meisten von uns wohl gar nicht so recht bewusst ist.
Andreas Krall ist Pistenchef der Bergbahnen Westendorf, die einst mit dem längsten Skilift Österreichs starteten und heuer ihr 70-Jahr-Jubiläum feiern. Als Andreas ein Knirps war, hörte er oft von der Mama: „Hupf’ aussi, das Wetter ist guat!“
Und das tat er, denn die Ski-Übungswiese beim Westendorfer Schneeberglift war gleich hinterm Haus, samt dem Papa, der im Winter beim Lift angestellt war. „So haben wir Skifahren g’lernt“, erzählt Andreas. Weil vorerst der Onkel den ‚Samerbauer‘-Hof erbte, baute Andreas‘ Vater eine Gästepension.
Künstlich beschneien? - Die spinnen!
Andreas ist Maschinen-Fan und lernt bei der Firma Stöckl Landmaschinen-Mechaniker. „Aber das Pistenmaschin-Fahren hat mi scho immer fasziniert“. Und so bewirbt er sich 1987 bei der Bergbahn Westendorf. Vorerst bekommt auch er saisonal einen Job beim Lift geboten, aber weil mit der Eröffnung der Alpenrosenbahn mehr Arbeit anfällt, darf er doch gleich ran ans Walzenfahren und ans Pisten-Präparieren. Und nach dem Bundesheerdienst bietet ihm der damalige Bergbahn-Geschäftsführer Robert Kleinlercher eine Ganzjahresanstellung. Andreas nimmt an, und wird den Job nur einmal kurz unterbrechen, um seinen Kindheitstraum Fernfahrer zu leben. „Da warst halt früher The King of the Road“. Doch die magische Anziehungskraft der Pistenraupe zieht ihn bald zurück zur Bahn, mit der und deren sich verändernden Aufgaben er von nun an mitwachsen wird.
Gleichzeitig beginnt man in Westendorf künstlich zu beschneien, bereits mit dem noch heutigen Schnei-Meister Toni Pirchl, einer der wichtigsten, zuverlässigsten Stützen im Team. Schneekanonen sind 1991 in aller Munde, auch weil in Mitterers „Piefke Saga“ die Kanonenfabrik eines Deutschen in Tirol für böses Blut sorgt. Als Brixen längst künstlich beschneit hat, „da ham wir no g‘sagt: Das brauch ma nit“, so Andreas. „Aber wir ham‘s decht braucht“. So kommt es auch in Westendorf zum Zwiespalt. „Da ham oa g’moant, des ging a mit kloanere Schlauchei, die spinnen! Da is zum Aufhausen!“ Doch die Bergbahn startet mit weit vorausgedachter Dimension und wird lange damit auskommen. Erst heißt es, durch Erfahrung die komplexen Beschneiungstechniken erlernen. Damals werden markante Stellen punktbeschneit, heute geschieht es flächendeckend, dazwischen liegen Klimawandel und gestiegene Ansprüche der Skifahrer.
Bis zu 800.000 m³ Schnee alljährlich
Zur Bergbahn Westendorf gehören 13 Bahnen und Lifte sowie 56 km Pisten. „Dafür Schnee zu produzieren, ist nach wie vor eine Kunst“ weiß Andreas. Trotz Digitalzeitalter ist der Mensch am Wichtigsten. „Am Anfang hast zu jeder Kanone hinfahren miassen, und sie händisch starten. Heut klickst am PC auf das betreffende Gerät und es fahrt automatisch an“. Erst verdrängten die Maschinen Arbeitskräfte, doch viele wurden zurückgeholt, weil wichtige Faktoren wie lokales Wetter vom Büro aus nicht einzuschätzen sind. Optimaler Schnee verlangt die ideale Kombination von Luftfeuchte, Luft- und Wassertemperatur, sowie Wind und Windrichtung. Um perfekte Skibedingungen zu gewährleisten, unterstützt die Bergbahn Frau Holle mit 344 Schnei-Lanzen und Propeller-Schneekanonen. Das Gebiet verfügt über 500 Anschlüsse, über die alljährlich bis zu 800.000 m³ Schnee erzeugt werden, wofür etwa 300.000 m³ Wasser benötigt werden. Verwendet werden nur Druckluft und Wasser in Trinkqualität, das im Frühling wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt wird. Das Wetter beschäftigt Andreas vor allem bei unklaren Neuschnee-Vorhersagen. Präparieren, obwohl es dann schneit, wäre Kostenverschwendung und eine unnötige Belastung für die Crew, die vielleicht zuvor schon bis 1 Uhr früh g’walzt hat. So studiert Andreas viele Wetterberichte und entscheidet: Beschneien oder nicht? Aber allen Leuten recht getan, ist einen Kunst, die keiner kann. Und es sind viele Leute, denn die Bergbahn Westendorf befördert im Winter etwa 4-5 Millionen, könnte ca. 22.000 Gäste pro Stunde transportieren. Und einige sind eben empfindlich. „Wenn du 10 cm Neuschnee hast und du fährst mit der Raupe eini, dann jubeln die oan: Super! Geil! Und die andern jammern: Den schönen Pulverschnee z’sammwalzen!“, klagt der Pistenchef.
26 Jahres- und ca. 75 Saisonbedienstete
Wesentlich ist Andreas die funktionierende Teamarbeit. Egal, in welchem seiner verantwortlichen Bereiche Beschneiung, Pistenpräparierung, Pistenrettung, Pisten- und Lawinensicherung, „die Kollegschaft muss passen“. Von den insgesamt 26 Jahresmitarbeitern und ca. 75 Saisonbediensteten der Bergbahn hat Krall 5 bzw. 26 unter sich, darunter etwa Landwirte, LKW-Fahrer oder Tischler. Wenn die Crew stundenlang verantwortungsbewusst zusammenarbeitet, um die Sicherheit der Skifahrer zu gewährleisten, „da muss sich der eine auf den andern verlassen können. Es is jeder in jedem Bereich drin“. Und „Anerl“, wie seine Kollegen ihn nennen, ist happy, ein Topteam zu haben.
Verantwortung tragen, ist Kralls tägliches Geschäft. „Wir ham 2009 ein Lawinenunglück g‘habt. Es is bei uns keiner verschüttet worden, aber es hat gezehrt“. Bei der bösen Gefahr fiebert und grübelt jeder bis in die Geschäftsführung mit, versucht das Bestmögliche, doch Natur und Schneefall sind unbeeinflussbar. „Wenn’s intensiv schneit, schlaf i nit viel“. Da zieht es ihn um 4 Uhr früh auf den Berg und auf eine der 11 Pistenraupen. „I fahr alles ab, damit die Mander um halb sieben wissen, was ansteht“.
Großvater schaut ihm um a Hoamatkrax
Wenn’s wo hakt, will Andreas immer vor Ort sein. Zu dringlich sind Probleme oft zu lösen, zu viel steht am Spiel. Dass er bei seinem flexiblen, zeitaufwendigen Job nicht immer pünktlich zu Hause zum Abendessen erscheint, ist verständlich. „Aber i bin sehr dankbar, dass i a sehr gutmütige Frau dahoam hab, die das akzeptiert“. Der Großvater übrigens, hätte seinem Enkel einst eine Hoamatkrax gewünscht, weil er auch ihn gern als Bauer gesehen hätte. „Er hat oiwei g’sagt, er schaut ma um a Hoamatkrax“ – das ist für Laien eine Tochter ohne Brüder, die den elterlichen Bauernhof erbt. Und Andreas sollte, weil Zuhause sein Bruder der Bauer wurde, eben am Hof der Gattin Landwirt werden.
Doch er fand die Seinige selbst, im Tanzlokal. Kathi stammt wirklich von einem Bauern in der Kelchsau. „Sie hat mi lang zappeln lassen, aber dann hat‘s g‘funkt“. Seine Eltern stellen sie in der Gästepension an, die sie 2000 an Andreas überschreiben. Sein Opa scherzte oft zu Kathi: „Du warst nie die Richtig‘!“ Doch die zwei mögen sich, auch wenn sie dahoam den Hof nicht übernommen hat. Mittlerweile sind Andreas und Kathi bald 20 Jahre verheiratet, und ihre Töchter sind 17 und 22.
Um andere zu schützen, begibt man sich mitunter selbst in Gefahr. „Wir versuchen das Risiko bestmöglich zu minimieren. Ein Restrisiko gibt’s oiwei“, z.B. beim Lawinen-Absprengen. Auch das war erst zu lernen. Andreas machte einen Kurs, ließ sich beraten. „A diam hamma danach g‘sagt: Wir sind ja Trotteln!“, etwa wenn sie waghalsig einen Lawinenhang befuhren, um Munition zu setzen und in Deckung zu gehen, ehe die Lawine ganz nah zu Tal donnerte. Da gab es auch kleine Vorfälle, aber „Gottseidank is‘ owei glimpflich aus’gangen“. Nach jahrelanger Routine und Absicherung der Gefahrenzonen darf man sich heute relativ sicher fühlen, wobei Krall weiß: „Was zur Gewohnheit weascht, is g’fährlich“.
Öffnen, sperren oder sprengen?
Kralls Ermessen hat weitreichende Konsequenzen. Skifahrer erwarten, dass Pisten geöffnet sind, die Bergbahn lebt vom Skibetrieb. Und das soll sie, ist sie doch Westendorfs größter Arbeitgeber und Motor für die gesamte Wirtschaft mit Hotels, Lokalen – kaum ein Betrieb, der nicht profitiert. Und weil etwa auch mit der Beschneiung für so viele die ganze Saison steht oder fällt, schätzt Andreas sehr, dass Bergbahn-Geschäftsführer Hansjörg Kogler ihm in verantwortungsvollen Momenten stets freie Entscheidungsgewalt lässt. Bedingungen können sich rasch ändern, etwa wenn es im Frühjahr morgens traumhaften Pulverschnee hat, doch durch Erwärmung nachmittags Lawinengefahr entsteht. Da haben Skiläufer oft wenig Verständnis für Sicherheitsvorkehrungen, „Da machen sie dir Druck“. Und dann jene, die gern ihre Grenzen ausloten und mit der Gefahr spielen. „Aber da bist du verantwortlich, wenn oana in a offene Piste einifahrt. Da musst sicher sein, ob du öffnest, sperrst oder sprengst“.
Auch Weihnachten ohne Schnee, „is zach. Grad die letzten zwoa Winter“. Die Crew versucht mit aller Kraft, was zustande zu bringen, und dennoch: „Die Kritik von Einheimischen is fürs ganze Team schwer zu ertragen. Dass du fast nit ins Dorf gehen kust“, weil dort viele alles besser wissen. „Wir zerreißen uns oft Tag und Nacht, probieren alles, schaffen was, und du weascht kritisiert“.
Viele sehen und schätzen die Anstrengungen auch, gerade Gäste. „Die waren zufrieden, wie bis Mitte Jänner fast koa Schnee war, und wir mit dem im November produzierten Kunstschnee auskommen haben miassn“. In solchen Situationen würde sich Andreas auch von einigen Einheimischen mehr Verständnis erwarten. Wobei die Bergbahn heuer ca. 11 Millionen Euro in den Ausbau der Beschneiungsanlage investiert, da die Tage, an denen wirtschaftlich beschneit werden kann, stets weniger werden. Mit der neuen Pumpstation und der Erweiterung des Speicherteichs Kreuzjöchl auf mehr als die 3-fache Kapazität kann man künftig alle Hauptpisten innerhalb kürzester Zeit komplett beschneien.
Jeder ist für jeden da
Nicht weniger intensiv die Pistenrettung, man erlebt Positives und Negatives. Wenn den Rettern schwere Unfälle zusetzen, „da weascht z’sammg’huckt und drüber g’redet“. Damit es rauskommt. Solche Einsätze schweißen auch zusammen. „Und wenn oana a Problem hat, is jeder für jeden da“, im Betrieb und auch privat. Glückt eine Rettungsaktion oder eine Sprengung in Dunkelheit, lädt Anerl seine Clique gern mal ein: „Trink ma a Bierl!“ Und nach einigen davon werden auch gern alte Anekdoten aufgewärmt, etwa jene, als sie einen Paragleiterschirm deponiert hatten. „Is uns nix Besseres eing‘fallen, als den auszupacken“. Sie fahren damit nach Dienstschluss auf den Berg, und einer, der noch nie geflogen ist, will einmal den alten Menschheitstraum leben, fliegen wie Ikarus. „Wir ham ein 20-Meter-Seil drug‘hängt, damit er nit abhauen kann“. Er startet. „Nit auslassen!“, wollen die andern, doch sie müssen. Der Auftrieb ist zu stark. „Er is odurch g’flogen! Wir g’schrien: Jetzt is er dahin!“ Zum Glück verhalf Ikarus ein Baum zur Bruchlandung. Er blieb heil, schmerzen tut die Crew bei diesen Helden-Erinnerungen nur der Bauch vor Lachen. Es sei ihnen vergönnt, wo sie sich doch sonst alle rund um die Uhr nur um die Sicherheit anderer sorgen und kümmern.
An freien Tagen ist Anerl gern mal bei seinen Dirndln dahoam. Und im Sommer steigt er voll Freude aufs Motorrad. „Da ku i des andere beiseitelegen, des is für mi die schönste Entspannung“. Letztes Jahr verwirklichte er einen Traum und fuhr am Motorrad mit seinem Raupenfahrer-Ex-Kollegen Christian bis ans norwegische Nordkap, um seine Tochter zu besuchen. „Des war a Wahnsinnserlebnis!“, freut sich Andreas.
Wenn schnuckelige Skihaserl aufhucken
Ich will wissen, ob ihm Stress, Druck, 24 Stunden Erreichbarkeit, oft nächtlicher Arbeitsbeginn und all die Verantwortung nicht oft zu viel werden. „Es gibt pro Winter sicher ein, zwei Tag, wo ma fragt: Warum tua i ma des u? Aber das gibt’s auch in anderen Berufen. Und i steh in der Früh gern auf, geh gern in die Arbeit, und sie taugt mir oafach“. Andreas kennt viele, die permanent ungern arbeiten gehen.
Andreas Krall, der hier stellvertretend für alle Mitarbeiter des Betriebs hervorgehoben ist, er und sie alle, egal in welchem Rang, wollen immer das Beste und verdienen für das, was sie tagtäglich leisten, nichts als Hochachtung. Aber die schönste Belohnung gibt‘s für den Pistenchef, wenn mal ein Kollege ausfällt und er für ihn in die Pistenraupe steigt. „Des tua i heut no leidenschaftlich gern!“, nicht nur wenn beim King of the Road auf der Übungswiese mal schnuckelige Skihaserl aufhucken wollen.
TEXT: EDUARD EHRLICH
FOTOS: JOHANNES KOGLER, BERGBAHN WESTENDORF, TIM MARCOUR
ERSCHEINUNGSDATUM: NOVEMBER 2016