Weil Wandern die Seele heilt

Wer bei Kitzbühel nur an Skifahren und Hahnenkamm denkt, hat weit gefehlt. Denn ist der Schnee erst geschmolzen, gibt dieser den Weg frei für ein weitläufiges Wanderparadies über grasgrüne Almen, markante Gipfel und einzigartige „Laufstege“.

Christina wandert auf der sechsten KAT Walk-Etappe in der Region St. Johann in Tirol.

Christina Foidl ist ein waschechtes Kind der Berge. Schon als junges Dirndl sauste sie barfuß über die grünen Almen der Kitzbüheler Alpen, half dem Vater im Stall mit den Kühen und bewirtete die Gäste – ebenfalls ohne Schuhe – auf der elterlichen Huberalm, welche auf 1.080 Meter Seehöhe hoch über dem Ort Kirchdorf in Tirol thront. Bis heute hat sich an ihrer Leidenschaft für die Natur, die Berge und deren Ursprünglichkeit nichts geändert. Ein Leben in der Stadt? Undenkbar. Lieber pendelt sie mit dem Zug täglich mehrere Stunden von A nach B, um währenddessen gedankenversunken bereits an der nächsten Tour zu feilen. „Das Wandern verschafft mir einen anderen Blickwinkel auf die Welt. Mit jedem Schritt bin ich weiter vom Tal entfernt, jedoch näher bei mir. Es geht nicht um den Gipfelsieg, sondern vielmehr um den Weg an sich, darum, dass man sich selbst wieder spürt, mit sich wieder ins Reine kommt.“ Ein Gefühl, welches Christina den Menschen gerne weitergibt, die sie auf ihren Wegen begleiten.

Die Musik der Berge spricht alle Sprachen

Heimatverbunden, das ist der Tiroler Unterländer genauso wie gesprächig, offen, hilfsbereit und musikalisch. Vor allem letzteres ist bei Christina nicht zu überhören. Wenn Ort und Zeit stimmen, packt sie ihr Flügelhorn aus und lässt der Sprache der Musik ihren freien Lauf. Es sind diese unwiederbringlichen Momente an denen plötzlich Ruhe einkehrt auf der Huberalm und das Stimmengewirr der Gäste verstummt. Weil jene den melancholischen Klängen traditioneller Volksweisen ergriffen den Vortritt lassen, während diese in den Weiten der Bergwelt verhallen. „Viele rechnen nicht damit und sind schlichtweg baff.“ Für die leidenschaftliche Musikerin sind es Momente des Glücks und der Dankbarkeit. „Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann in einer Sprache, die man weltweit versteht.“ Genau aus diesem Grund hat sie ihr Flügelhorn fast bei jeder Tour dabei, gut verstaut im Rucksack, um an einem Bankerl, einem Felsvorsprung oder unter dem Gipfelkreuz innezuhalten, das Blasinstrument anzusetzen und der Musik Raum für das zu geben, was Worte nicht auszudrücken vermögen. Ob sanfte oder euphorische Töne, ob legato oder staccato, ihren Blick beim Musikzieren wendet Christina stets in eine ganz bestimmte Richtung. In die des Wilden Kaisers, den „Koasa“ wie ihn hier alle nennen. „Ich bespiele nicht die Gäste, ich bespiele in erster Linie den Berg. Das hat schon seinen Grund.“ Der „Koasa“ fasziniert Christina Zeit ihres Lebens. Egal ob vom Zugfenster aus oder im direkten Anstieg mitten im Klettersteig: „Es gibt Plätze im Leben, die geben dir etwas zurück. Erklären kann man das nicht, das muss man vielmehr erleben.“

Christina freut sich auf die Wanderung auf der letzten KAT Walk-Etappe in der Region St. Johann in Tirol.

„The Walk of Kitzbühel“

Erleben und Erwandern können Natursuchende die Schönheit der Kitzbüheler Alpen auf vielen Wegen und unter ihnen findet sich sogar ein waschechter Laufsteg. Der Kitzbüheler Alpen Trail, kurz „KAT Walk“. Sechs Wandertage, 106 Kilometer, 6.350 Höhenmeter und unzählige Begegnungen warten darauf, entdeckt zu werden. Weil der Weg zählt, nicht das Ziel, wie Christina weiß: „Der KAT Walk ist wie ein Tapetenwechsel der Natur. Hier wechseln sich Waldwege mit aussichtsreichen Almwiesen ab. Es gibt Passagen, an denen die Sonne dein stetiger Begleiter ist und Abschnitte, wo man in den lichtdurchfluteten Wäldern den Duft von Kiefern- und Fichtennadeln folgen kann.“ Die Route schlängelt sich dabei Tag für Tag hinauf auf die grasgrünen Gipfel der Kitzbüheler Alpen, was den glücklichen Umstand mit sich bringt, dass Wanderer sich gerade in den Sommermonaten in einem Meer an Almblumen wiederfinden: „Enzian, Arnika, Margeriten, alle strecken sie Ende Juli, Anfang August ihre Blüten sonnenhungrig dem Himmel entgegen.“ Zudem sollte man den Blick auch öfters gen Boden und Waldrand richten, um andere „Einheimische“ zu erspähen: „Ob fleißige Waldameisen, heimelige Gämsen oder vorbeiziehendes Kahlwild, wer Acht gibt, sieht mehr.“

Momente, die einem die Gänsehaut aufsteigen lassen. Momente, die sich ewiglich ins Gedächtnis einbrennen. Momente, die nur dann gefunden werden können, wenn man sich abseits des alltäglichen Wahnsinns bewegt, sich auf Natur und Gefühl wieder einlässt, um letztlich wieder zu sich selbst zu gelangen. So wie Christina. Weil wandern nun mal die natürlichste Form ist, um Seelenheil zu erlangen. Schritt für Schritt.

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Sabine Ertl

15.06.2020 - 00:00

…Naturmensch mit Leib und Seele. Geboren 1986 in Kärnten, Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaften in Klagenfurt. Als freie Journalistin, Texterin und Bloggerin gerne und viel unterwegs. Bergfreak, Pferdenärrin, Neo-Cellistin und Feinschmecker. www.gedankenschmiede.at Mehr Details

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