Bike & Swim in der Region Hohe Salve
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Der junge Matthäus vulgo „Hois“ aus Aschau im Spertental fährt mit 16 Jahren erstmals mit der Eisenbahn – „Landauf, landab, und wollte einen Platz finden zum Kochen lernen“, erzählt der Seniorchef der Pension „Landgasthof Falkenstein“, der heuer seinen 95er feiern durfte. Damals ist seine Suche bis nach St. Anton hinauf vergebens. 1945 geht gerade der Zweite Weltkrieg zu Ende, und da konnte man sich in Aschau auch telefonisch nicht bewerben. „Telefon? Um Gottes Willen, des is die Neuzeit“, so der Aschinger. „Des håts früher nit geben.“
Im südlich von Kirchberg gelegenen, schönen Spertental, da im beschaulichen Dörflein, wird Hois 1929 geboren, „und i bin als Zweiter von vier G’schwistern in der alten Brennhitt’ aufg’wåchsen“, ein kleines Holzhäusl mit acht Stück Vieh. Vater Hans ist sehr begehrt, denn wenn’s wo ein Unglück mit einem Tier gibt, kommt er zum Aufarbeiten. „Dafür håmma einen Eiskeller g’håbt“, mit einem Eisblock. Und im für die etwa 240 Aschauer einzigen „Kühlschrank“ wird die Almbutter oder erlegtes Wild gelagert. Zur Jagd kommen auch Herrschaften von auswärts. „Früher håt ma sie Ausländer g’hoaßen“ – nicht die internationalen Gäste, sondern die Wörgler oder Hopfgartner. „Då muasst jå låchen“, grinst der Hois. Die erste Frau seines Vaters, die einen Ausschank betreibt, verstirbt kinderlos. „Dånn håt er die Dian g’heiratet, die Nani, des is mei Muatta. Sie wår a bissl a Hågelbuachane, furchtbår hårt“, doch hat sie ein großes Herz für ihre Kinder und versorgt auch heimlich die gefangen gehaltenen Franzosen mit Milch oder Kakao. „Die Kindheit is a bissl schwer g’wen, des is alles z’Fuaß g’ången“, erinnert sich Matthäus. „Wir sind ja in die schlechte Zeit einikemma.“ In den 30ern, „då håt der beste Arbeiter keine Arbeit g’håbt“, und so herrschen Armut und oft auch Hunger. „Då håmma ins scho g’freit, boid mia einen Korb voll Obst kriagt håm“. Während seiner Schulzeit ist es eine Sensation, als 1939 erstmals Strom nach Aschau geleitet wird. Nun kommen auch erste Urlaubsgäste hierher, Arbeiter aus den Rüstungsfabriken – „Berliner, die in der Hüttn drei billige Zimmer bezogen håbn.“ Der Vater stirbt, als Hois 15 ist, und da heißt es für die Kinder mitarbeiten, auch bei der Heumahd mit der Sense. „Ende des Kriegs bin i no einzochn wordn, bin in Achensee im Låger g’wen, von Jänner bis Mai 1945. Und so, jå, jå“.
Als er mit 16 wieder heimkommt, hat die Mutter keinen Platz für ihn im Haus voller Militärs. Da delogiert ein Offizier einen seiner Leute und ermöglicht dem Hois, sich beim Militär-Küchenchef im Innsbrucker „Adambräu“ vorzustellen. Der nimmt den Aschinger auf und lässt ihn in der Stadt kochen lernen. „Und es is dazumal a Sensation: A Aschinger kimmt nach Innsbruck! Gotteswillen!“ So lernt er völlig Neues kennen, von Orangen bis zu Südfrüchten. Damals geht es in den Küchen streng zu, doch Matthäus packt sein Glück ehrgeizig am Schopf. In der Stadt gefällt ihm die Architektur mehr als die Mädels, denn sein Mentor mahnt: „Burschi, von der Stråss klaubst mir Keine auf.“ Da erhebt sich der Hois plötzlich von unserem Gespräch: „So, jetzt muass i net aussi“, denn die Blutdruck- und Herztabletten treiben ihn aufs Häusl. „So, jå, jå“, geht’s danach erleichtert weiter: „I håb dann im „Stiftskeller“ mei Prüfung g’måcht und bi dort Koch g’word’n.“ Geschafft! Und honorige Prominenz, die er kulinarisch verwöhnt, wird ihm später dienlich sein. Schließlich perfektioniert Matthäus seine Kochkünste auch noch zwei Jahre in Zürich. Doch dann erkrankt er an einer schweren Lungenentzündung, wird operiert und sieben Monate lang in Natters behandelt.
Nachdem er noch einen Herzinfarkt in Kitzbühel übersteht, erholt er sich in Aschau, bis er wieder beim „Bechlwirt“ in Kirchberg aushelfen und in Innsbruck kochen kann. Doch dann nimmt sich sein Bruder nach einer schlimmen Diagnose das Leben. Und im Schock die Frage: „Wås toamma?“ Die Mutter will, dass Hois weitermacht. Der möchte das aber nur, wenn er die alte, baufällige Brennhütte abreißen und ein neues Haus bauen kann. „Aber mit welchem Geld?“ Holz aus ihrem Wald können sie verkaufen, wollen aber nicht das Feld hergeben. Erst mit der Unterstützung des Bürgermeisters, Matthäus’ Vormund, und einiger Aschinger gehen sie 1957 das Wagnis Neubau doch ein. „G’recht, dass wenigstens oana baut“, sagen sie, „damit eppas is då herin“, da wo es noch gar nichts gibt. Obwohl die Aussicht auf genügend Gäste in Aschau nicht rosig ist. „Und dånn bin i åber a bissei z’groß g’wen“, und das Geld reicht nicht. Doch der 27-Jährige kann in Innsbruck einen Kredit bekommen, und auch seine Connections nützen ihm. Privat ist inzwischen die Maria an seiner Herzensseite. Er lernte die Westendorferin im „Bechlwirt“ auch als gute Kellnerin kennen. „Und sie is dann auf oamoi in Innsbruck zu mir kemma“, und da wird sie von ihm schwanger. Weil er ohnehin daheim Verstärkung braucht, und vor allem, weil die Liebe groß ist, heiratet er die Maria. Sie bringt den Hans Peter zur Welt, doch das Glück ist stark getrübt, weil das Kind einen schweren Start ins Leben hat. „Mein Gott!“, stöhnt Hois. Der Junge muss ganze 16 mal operiert werden. „Furchtbar!“ Hans Peter wird dennoch ein guter Schüler und erledigt auch seine Arbeit in einer Buchhaltung gewissenhaft. Schließlich holen ihn die Eltern als Unterstützung heim, ins neue Haus, das sie 1958 bezogen haben, kurz bevor auch das Telefon in die Aschinger Häuser kommt.
Der Schulden wegen sollte Hois rasch die Gästezimmer füllen, und da kann er einen deutschen Reiseveranstalter nach Aschau locken und einen Vertrag zeichnen. „So håb i då den gånzen Sommer Leut’ g’håbt“, so erfängt er sich nach und nach, und so landen die Anfänge des Tourismus auch in Aschau. „Jå, jå, woi, woi.“ Hois baut sich rasch ein Stammklientel auf, vor allem durchs gesellige, oft feuchtfröhliche Miteinander. „Des is des Wichtigste. Mit die oan Karten g’spielt, mit die andern g’würfelt, und da hat’s a Gaudi geben. Sist is jå in Aschau a nix g’wen“, in Sachen Unterhaltung. Dafür aber viel Natur und Ruhe, „und des håm a sehr Viele g’sucht“, damals noch drei, vier Wochen lang, mehr zur Sommerfrische als zum Wintersport. Familiär hat Matthäus mit den Geschwistern und der Mutter während der nervlich und finanziell angespannten Aufbauphase einige Probleme durchzustehen, und auch seine Ehefrau muss in der Familie erst noch akzeptiert werden. „Jå, hu i ois g’håbt“, sagt der Hois. „Und i bin selber oft furchtbar nervös, weil es is nit so oafach g’wesn.“ Doch da sorgen oft auch die Gäste für Ablenkung, „und då hu i selber a wieder a Mordsgaude g’håbt. Und des is wichtig.“ Unter den Einheimischen, die zum Kaschtln ins Gasthaus kommen, sind auch Feuerwehringer. „Und i bin selber scho 81 Jahr bei der Feuerwehr“, lacht Hois, dessen Vater einst die erste Motorspritze kaufte.
Die „Falkenstein“-Familie:v. l.: Monika, Heinz, Eva-Maria mit Frieda, Maximilian, Opa Matthäus, Theresa und Haushund Levi
Den Hausnamen wählt Matthäus, da es einst eine Ausschank am nahen „Falkenstein“-Felsen gab. Die Sage „Die wilden Fräulein vom Falkenstein“ erzählt, dass es hinter dem Wasserfall im Unteren Grund eine eiserne Tür gab, hinter der sich der Aufgang zur 1314 urkundlich erwähnten Burg Falkenstein befand. Aus dieser Tür kamen einst die schönen, wilden Fräulein hervor, um sich mit jungen Hirten zu treffen. Mit seinem Fräulein Maria bekommt Hois weitere Kinder, 1960 den Heinz, und später noch Angela, Hubert und Sylvia. „Jå, woi. Mit meiner Frau wår’s a schöne Liebe.“ Doch die Zugfahrt des Lebens geht weiter. Maria erleidet eine Augenkrankheit, und deshalb übergibt Hois 1991 den Betrieb an den Heinz. „I hu nimmer wollen, weil sie oiwei schlechter wordn is.“ Sie hat noch zwei Schlaganfälle und erblindet schließlich. Dafür, dass ihr Mann sie hingebungsvoll pflegt, ist sie unendlich dankbar. Als er es aber allein nicht mehr schaffen kann, geht ihm seine Reisebekanntschaft Mali aus Schönberg bei Innsbruck zur Hand. Doch Marias Zustand verschlechtert sich weiter, und so muss Hois sie ins Pflegeheim geben, wo sie 1999 verstirbt. „Na, is a scheene Ehe g’wesn, då war ma ins einig.“ Nach der Trauerzeit öffnet er sich mit 70 nochmal einem neuen Glück, „und i bin dånn gut 22 Jåhr bei der Mali in Schönberg g’wen.“ Bis sie an Demenz erkrankt und er sie im Seniorenheim Fieberbrunn unterbringt. Und dorthin führen ihn nun seine Kinder einmal die Woche.
Und wie konnte Hois bei all den Schicksalsschlägen so alt werden und seine heitere Gelassenheit bewahren? „95, des hätt i nie g’labt! Doch je älter ma wird, desto mehr verfållt ma“, sagt er. „Aber es lasst sich natürlich no viel machen.“ Wenn man bei Tragödien aufgeben möchte, „sollt ma kämpfen und die Nerven behalten. Und Ruhe braucht der Mensch!“ Das „guate Glasl Wein“ liebt er, Rauchen hat er aufgehört. „Und Bewegung is sowieso des Wichtigste. Ma muass si z’såmmreißen.“ Spaß hat er am Patience-Spiel oder am Kreuzworträtsel in der Tageszeitung. Und deren verstörende News der jetzigen Welt? „Wir werden wieder lernen miassn, so wie früher zu toa, fürcht i. Weil so geht’s nit weiter“, nicht mal in Aschau. Leider hat er im heutigen Alter kaum noch Freunde zum Diskutieren, und auch seine Geschwister und sein Sohn Hans Peter sind verstorben. „Ma is då scho a bissl einsam. Åber es is so.“ Doch da ist ja noch der Rest der Familie. Und sein größter Wunsch, dass jemand im „Falkenstein“ weitermacht, hat sich auch erfüllt, wobei der Heinz mit seiner Tochter Theresa auch die Philosophie vom Hois „A g’scheite Kuchl“ gekonnt fortführt. Und die Wertschätzung der Gäste dafür, „des is des Scheene.“
Ja, was hat sich nicht alles geändert in 95 Jahren – Die Ausländer kommen nicht nur mehr aus Wörgl oder Hopfgarten, der Strom ist da, und auch das Telefon. Nur die Eisenbahn nicht. Dafür fährt, als ich mich dankbar verabschiede, ein Traktor vor, und der Bauer holt sich eine Portion Schweinsbraten. Weil den gibt’s im „Falkenstein“ samstags ofenfrisch. „Des is wås!“, sagt der Hois. „Des g’hört zu einem Wirtshaus!“ Jå, jå, woi, woi.
FOTOS: Kerstin Joensson, Privat