Vier bärige Dirndln und die Seilbahn
Manche sagen, sie würden gern tanzen. Manche tun es. Wie einige Westendorferinnen, die regelmäßig den Berg „rocken“.
Während meiner Recherchen für eine Weihnachtsfernsehsendung im Brixental erzählte mir der Regisseur Stefan Pichl eine Geschichte, die er vom Geschäftsführer der Bergbahnen Westendorf, Hansjörg Kogler gehört hat. Wir fanden sie so herzerfrischend, dass wir sie verfilmt haben. Und hier ist sie: Einem Liftler der Choralmbahn fiel auf, dass eine ältere Dame in zivil immer wieder mit der Seilbahn fährt und bei der Rückfahrt eine gefüllte Einkaufstasche bei sich hat. Als das später zwei ‚Mädels’, Wetti und Wawi, beide so an die 90 Jahre alt, taten, berichtete er es seinem Chef. Doch dann dauerte es nicht lange, da war die Clique plötzlich zu dritt auf Tour. Und schließlich gar zu viert!
Und das alles kam so: Die Barbara Ellmerer Sen., vulgo Wetti, die im Westendorfer Windautal dahoam ist, fand heraus, dass wenn sie von ihrem Haus die paar Schritte zu Choralmbahn geht, sie damit hinauf fährt, oben am Berg nur ein paar Schritte zur SkiWeltbahn geht, und damit hinunterfährt, dass sie dann bequem in Brixen ankommt. Dort hat sie nur ein paar Schritte zum Lebensmittelgeschäft. Und damit braucht sie weder ein teures Taxi bestellen noch irgendjemanden betteln, sie zu chauffieren. Alleine ist das auf Dauer natürlich fad, und so hat Wetti ihre Nachbarinnen angesprochen: die Wawi eben, die Marianna und die Maria. Und weil es sich oben am Berg im Panoramarestaurant Choralpe bestens Kaffeetscherln und Kaschteln lässt, wurde dieser Stop bei der Shoppingtour zum fixen Bestandteil. Wenn die Damen zusammenkommen, geht’s laut und lustig zu in den Bergen. Und geflucht wird auch schon mal, vor allem wenn die Wawi keine gute Karte kriegt.
Das Leben war bei Gott nicht immer lustig
Dabei ist sie mit ihren bald neunzig im Grunde sehr zufrieden heute. Weil alles vorbei ist, was mal war. Ihr Vater ist gestorben, als sie fünf war. Da musste ihre Mutter sie an eine Bauernfamilie abgeben. So kam sie schon als Jugendliche in den Dienst und musste dort auch Männerarbeit verrichten. „Des is ma nit hoakl gwesn“, sagt Wawi. Sie hat nichts als hart gearbeitet im Leben. Als lediges Kind galt sie als Sündenfall. Später hatte sie selbst eine ledige Tochter, und auch der Sohn war schon am Weg, als sie geheiratet hat. „Aber i war koa Schlampen nit“, betont sie. Und ihr hartes Los? Wenn das Leben wieder mal unerträglich schien, bat sie den Herrgott: „Vater, es soll nicht mein Wille sein, sondern deiner. Aber wenn’s möglich ist, lass diesen Krug an mir vorübergehen“. In der Kirche stand ihr das Weinen oft bis unters Kinn. Doch Wawi wusste auch, dass der Himmelvater allen ein Kreuz auferlegt. Und der Glaube, der hat der Wawi immer geholfen im Leben.
Wawi muss die heutige Tour absagen, weil sie Besuch hat. Und die Marianne ist inzwischen leider verstorben. Dafür springen Wettis Tochter Barbara und Wawis Nachbarin und Cousine Kathi ein. Die Kathi, die ist mir in unserer nächsten Ausgabe eine eigene Geschichte wert. Und los geht’s mit der Choralmbahn auf den Berg. Barbara ist Wettis fünftes Kind. Fünf Buben und zwei Dirndln hat sie geboren. „Da hat sich scho eppas ågspielt“. Sieben Kinder und nebenbei Bäuerin? „Ja, garbeitet hab ich viel“, sagt Wetti, „Von fünf in der Früh bis auf d’Nacht“. Sie haben sich rein von eigenen Produkten ernährt, im Winter nur Gewürze zugekauft und waren immer gesund. Die schwere Arbeit war selbstverständlich: „I hab ja nix anderes gwisst“, sagt Wetti, „Und ma hat’s gern getan“. Nur hingekommen ist man nirgends.
Sie stellt frische Buchteln auf den Tisch. „Eßts! I bin extra früher auf, damit ich die mach!“.
Der Fuchs is am Weg
Mit 22 hat Wetti ihren Mann kennengelernt. Damals wurde noch gefensterlt. Da wurde sie oft gefragt, ob sie die Hühner schon in den Stall gegeben hat, „weil der Fux am Weg ist“. Sie fügt hinzu, dass ihr Mann „Fuchs“ geheißen hat. Gelächter! Bald darauf hat Wetti die Kinderproduktion gleichmäßig schnell vorangetrieben. „Früher is das der Brauch gewesen“. Doch ihr Mann ist viel zu früh an den Spätfolgen seines Kriegseinsatzes verstorben. Da war sie plötzlich eine junge Witwe. Und kurz darauf ist ihr ältester Sohn viel zu jung gegangen – als Vater von vier Kindern, das Jüngste erst ein halbes Jahr alt! „Er war so ein lustiger, musikalischer Skilehrer“. Der Franzl, Wettis Zweitjüngster hat dann seinen Beruf aufgegeben, um sich um die Familie des Bruders und um den Hof zu kümmern. 20 Jahre lang! Und als ob das alles nicht genug wäre, ist dann auch noch Barbaras Mann viel zu früh gestorben. Da hat die Wetti ihrer Tochter, die auch zwei Kinder hatte, zwölf Jahre lang in der „Loipenstubn“’ ausgeholfen. Und was ist bei all dem das Geheimnis für Wettis hohes Alter? „Mei, viel Arbeit halt. Früh aufstehen. Und die Leut haben mich immer gern mögen“. Barbara sagt, die Mami war immer schon lustig und hat eine positive Einstellung. Damit nimmt man das Leben leichter.
Kaschteln, Kaffeeln und Hoagaschtn gehört dazu.
„So sind wir zufriedn! Mehr brauch ma nit“. Auch kein Meer? „Na!“, sagt Wetti, „I bin am liabsten dahoam. Da gfallts ma und da machen’s wir uns scho nett! In die Berg siech i viel mehr!“. Barbara fügt hinzu, dass es so schöne Platzn gibt bei uns. „Grad sechn muass ma’s!“, meint Moidi, die mit ihrem Asthma kämpft, und die mit ihrer Ehe kein Glück hatte. Einmal ist sie erschrocken, ehe ihr Sohn in Irland eine Irländerin geheiratet hat. „Da hab i fliegen miassn. Aber das hat mir dann nix getan“. Nur das viele Meerwasser mochte sie nicht. Denn wie die meisten Bauern hat auch Moidi nie schwimmen gelernt. „I hab a bissl Angst vorm Wasser“. Wichtig ist ihr, dass sie mit ihren Kindern gut auskommt. „Man muss halt manchmal nachgeben. Nix sagen, is oft gscheiter!“.
Moidi sagt ‚Drei!’ an. „Na, gehn tun wir nit“, reagiert Barbara, “S’erste Mal simma no nia davongrennt!“. „Na!“, fügt Wetti hinzu, „Loadig simma nit!“. Wie im wahren Leben! Wetti juchizt laut, als sie sticht! Barbara ist ihrer Mam dankbar. „Wir haben a scheane Kindheit gehabt“. Die Eltern haben ihnen Spielzeug gebastelt, und andere Kinder durften zu ihnen auf den Hof kommen. „Da war immer Tag der offenen Tür, und die Mami hat für alle Bratäpfel gemacht“. Sie hatten nicht viel, aber immer alles, was sie brauchten. Und die Eltern waren für sie da. Wie es damals oft üblich war, hätte auch Barbara von Daheim wegkommen können, doch die Eltern sagten: „A wenn wir no so viele Kinder hätten, hergeben toa ma koans“. Die Wetti selbst ist früher schon abgeben worden. Doch die Großmam hat sie gehalten. „Von da her haben wir heut Gott auf Erden“, sagt sich Barbara des öfteren. „Man muss einmal mit eppas zfrieden a sein“.
Heute sind sie wieder auf der Choralpe und rocken den Berg. Das Kaschteln ist eine Riesenhetz. Die vier haben herausgefunden, was ‚Savoir vivre’, die hohe Kunst der Lebenslust, auf Windautalerisch heißt. Egal, was vorher war.
TEXT: EDUARD EHRLICH
FOTOS: NOTHEGGER & SALINGER
ERSCHEINUNGSDATUM: NOVEMBER 2013
"G'schichtlschupfer", Drehbuchautor, Mit-Herausgeber und Autor des Printmagazins 'Bei ins dahoam‘. Mehr Details