Das Bauernbadl in St. Johann in Tirol - Samerbadl
Lustig ging es zu, wenn sich die Bauern beim „Samerbadl“ die harte Arbeit vom Leib wuschen. Eine Spurensuche.
„I woass g’wiss, dass mas nu håm“, sagt Christian Kapeller, der „Trixl-Bauer“ in St. Johann, „åwa wo kus nur sein?“ Die Rede ist von einem Informationsblatt, das der Museums- und Kulturverein St. Johann 2003 zum Thema „Eifersbach, Thalmühle und Theresienbad (Samerbadl) herausgegeben hat. Ich sitze mit Christian an dessen Küchentisch, um von ihm mehr zu erfahren über das bunte Badetreiben von damals. Der rüstige 65Jährige kann sich selber kaum mehr an die Badeanstalt erinnern, dafür ist er einfach zu jung. Doch hilfsbereit wie er ist, hat er sich etwas überlegt – nämlich, eine andere „bessere“ Auskunftsperson für mich zu organisieren. Und da kommt sie auch schon zur Tür herein, Rosi Hühnersbichler, die Altbäuerin zu Vorderbichl. Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht. Seit 40 Jahren war sie nicht mehr hier am Trixlhof, erzählt sie mir später im Auto, als ich sie nach Hause fahre. Ihre und Christians Eltern waren eng befreundet, „so Leit’ muasst suachen, so Guade wår’n des“, sagt sie. Christian begrüßt sie mit einem freudigen „Då kimmt die Nothelferin!“ Und wirklich: Rosi hat nicht nur ihre Erinnerungen mitgebracht, sondern auch die Zeitung, nach der Christian und seine Frau so lange vergeblich gesucht haben. „Iss decht für wås guat, dass ma wås aufkoit,“ sagt Rosi und setzt sich zu uns.
Ein Bild aus alten Tagen mit den Badebarracken (Samerbadl vor 1914)
Kuh oder Ochse?
Rosis Hof befindet sich ganz in der Nähe des ehemaligen Badls, aber, und das ist für mich noch viel wichtiger, sie hat einen sehr engen Bezug zu dem Ort: Seit Jahrzehnten pflegt und betreut sie die dortige Kapelle. Sofern es ihre Gesundheit zulässt – das Knie will nicht mehr so recht – bringt sie einmal in der Woche frische Blumen und schaut nach dem Rechten.
Dabei gehört die kleine Kapelle nicht ihr, sondern „Samern“, zum großen Bauern auf der anderen Seite der Fieberbrunner Ache. 1916 ließ sie der damalige „Saminger“ errichten als Dank dafür, dass ein Sohn aus dem Krieg zurückgekehrt war. Weil die Jahrzehnte ihr arg zugesetzt hatten, fragte Rosis Mutter im Jahr ihrer Hochzeit, 1935, ob es ihm Recht wäre, wenn sie das kleine Kirchlein herrichten würde. Das war es, und der Bauer ließ gleich auch noch das Dach renovieren. Rosi und ihre beiden Schwestern begleiteten die Mutter oft. Damals stand nicht nur eine Kapelle, es gab auch eine Mühle, die „Thalmühle“, einen Stall, ein Gasthaus mit einer Tanzbühne im Freien, Biertische und -bänke unter den schattenspendenden Kastanienbäumen und natürlich die Baracken mit den Holzzubern, in denen die Bauern sich den Schweiß und Staub mit warmem Wasser von der Haut wuschen. Vom eigenen Bad daheim am Hof wagten die meisten damals noch gar nicht zu träumen. Das Theresienbad oder Samerbadl, wie es die Einheimischen nach dem Grundeigentümer nannten, war ein richtiges „Bauernbadl“, wohl vornehmlich den Männern vorbehalten, aber so genau lässt sich das nicht eruieren. Für gesichert gilt, dass es beim Baden oder zumindest danach feucht-fröhlich zuging – und zum Tanzen waren mit Sicherheit dann auch die Frauen zugelassen. Nicht nur das Bad zog die Leute an aus der Region: Fuhrwerke, oft von Kühen gezogen, kamen mit Getreide zur Thalmühle und fuhren mit Mehl beladen wieder heim. „Owa es håbt’s wohl an Ochsen kåbt,“ sagt Rosi zu Christian. Der schüttelt den Kopf: „Na, mia håm a Kiah kåbt zum Ziachen“, stellt er fest. Rosi wiegt ungläubig den Kopf. In ihrer Erinnerung sieht sie das „Muifaschtl“ des Trixlbauern mit Ochsen.
Musik und Tanz
Wenn sie mit der Mutter die Kapelle besuchte, brachte sie manchmal der Wirtin einige der für den Altar gedachten Blumen. „De håt’s so gern auf die Tische g’stellt,“ erinnert sich Rosi. „Und mia håm dafür a Kracherl kriagt, mei des wår rar.“
Das Wasser des Samerbadls hatte – unbelegten Quellen zufolge – heilende Wirkung und soll vor allem bei Gicht und Rheuma geholfen haben. Noch heute holen sich manche Einheimische das Wasser flaschenweise aus dem Brunnen nach Hause, weil sie auf seine Heilwirkung schwören. Bis Mitte der 50er Jahre herrschte im Samerbadl reges Treiben. Der Brunnen und die Kapelle sind heute die einzigen Zeugen aus der Blütezeit des Badls, dessen Betrieb sich übrigens immer auf die Sommermonate beschränkte. Rosi hält es auch mit der Kapelle so: Der Gründonnerstag ist der erste Tag im Jahr, an dem sie die Kapelle mit Blumenschmuck und Gebeten quasi aus der Winterruhe erweckt. Mit dem ersten Schnee im Herbst versinkt das Kirchlein dann wieder in Schlaf … Mittlerweile helfen Rosis Tochter Anna und schon die Enkelinnen aus, wenn sie sich selbst nicht in der Lage fühlt, „Dienst zu tun“. Sie machen es gerne, denn „sie wissen, wia wichtig mir des is.“ Rosi und ihr Mann Wast haben drei Mädchen bekommen, ein schönes, erfülltes Leben geführt. Und sie genießen es noch heute, die Tage im Kreise ihrer Lieben zu verbringen. „Dass uns so guat geht, des hängt sicher mit der Kapelle z’såmm“, meint die 79jährige voller Dankbarkeit.
Beim Wasserfall
Ein paar Wochen später besuche ich mit Christian den Eifersbacher Wasserfall. Wir lassen das Auto bei den Eichenhofparkplätzen und machen uns an einem milden, sonnigen Frühlingstag auf den Weg. Zuerst kommen wir zum Samerbadl. Still ist es hier, still und friedlich. Die Vögel zwitschern, aus dem Brunnen plätschert munter das Wasser, es duftet nach Erde und Wald. Was für ein schöner Ort, ein besonderer. Kein Wunder, dass es einst viele Menschen hierher zog. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Tanzbühne, auf der sich die Bauern mit ihren feschen Dirndln drehen, auf den Bänken unter den Kastanienbäumen sitzen Liebespaare und zwischen den Badebaracken huschen neugierige Kinder umher. „Kimm, schau dir de Kapelle an“, reißt mich Christian aus meinen Tagträumen. Rosi, ihre Tochter Anna oder vielleicht auch Rosis Enkelin hat in einer Vase liebevoll Blumen arrangiert. Schlüsselblumen und rote Tulpen sind es an diesem Frühlingstag. Wie viele Stunden hat Rosi wohl hier schon betend verbracht?
Wir wandern Tal einwärts und gelangen über einen schön ausgebauten Weg, über Stege, Brücken und Stufen zum Wasserfall. Schon von weitem höre ich sein Rauschen. Und dann ist er da: Über 20 Meter stürzt das Wasser hinunter in die Gumpen, es spritzt, sprudelt und schäumt. Die Kraft des Wassers hat etwas Magisches. Stundenlang könnte ich hier sitzen und dem Wasser zusehen, wie es fällt, mich in seinem Sprühregen baden. Früher haben die Menschen von den Felsen neben dem Wasserfall Reibsand mitgenommen und damit Messing geputzt, den Herd abgerieben oder auch Flaschen ausgewaschen. Ob sie wohl auch die Schönheit des Ortes, des Wassers wahrgenommen haben? Oder waren kristallklares Wasser und magische Plätze wie dieser damals überall zu finden?
„Der Wasserfall und ’s Badl san scho damals besondere Platzei g’wes’n“, meint Christian. Und dann müssen wir uns auch schon wieder auf den Rückweg machen. Aber ich komme zurück, soviel ist gewiss...
TEXT: DORIS MARTINZ
FOTOS: HANS KOWATSCH, MUSEUM ST. JOHANN