Die "Stoaberghitt"
Erinnerungen an die Schiwochen im Windautal und was es mit den „Goldmelissenknödeln“ auf sich hat.
Wie herrlich ist der erste Blick hinüber zu den Gipfeln der Hohen Tauern gewesen, die in blankem Weiss spiegeln. Unvergesslich. Am Gipfel des Lodron der Rundblick, eine Perspektive, die ich sonst nur von google earth kenne. Talübergänge ins Pinzgau und ins Zillertal, im Westen der Rofan, im Süden die Tauern. Ganz klein fühlt man sich in so einem Augenblick, wenn sich die Welt groß auftut. Winzig, aber federleicht, man möchte die Flügel ausbreiten und fliegen wie die Jochdohlen.
Der Abstieg ist abwechslungsreich und gut beschildert, aber langsam werde ich müde. Ich sehne mich danach, aus den Wanderschuhen zu schlüpfen und vor allem freue ich mich auf ein richtig gutes Essen. Das Gasthaus Steinberg hat ja den allerbesten Ruf, was das betrifft. Chef Michael Grafl schwingt mit Leidenschaft den Kochlöffel und ist Obmann der „Brixentaler Kochart“. Ich bin neugierig, was er mir heute empfehlen wird.
Es ist „der beste Hirschrücken“ auf Kräutern, an Tannenhonigsauce, dazu Gemüse der Saison und Süßkartoffelpüree. Klingt fantastisch, ist es auch. Hat der Wirt den Hirsch selber erlegt? „Nein“, sagt Michael Grafl, „i bin koa Jaga, obwohl die Jågd in unserer Familie viel Tradition håt.“ Nicht nur die Jagd, auch die Gastlichkeit hat hier viel Tradition. Michael und seine Frau Agata sind die vierte Generation, die im Windautal lebt, arbeitet und Gäste empfängt. Seit über 80 Jahren weiß man: „A da Stoa-berghitt is’ guat essen.“
Schitouren-Woche im Windautal
Die „Stoaberghitt“ verbinden viele aber auch mit ihren Kinder- bzw. Jugendjahren. Denn Jahrzehntelang verbrachten hier die Schüler des Gymnasiums St. Johann ihre Schiwoche. Bis in die 80er Jahre hinein ging das. Der Auftakt zu dieser Woche war ganz früher der Fußmarsch vom Bahnhof Westendorf bis zum Gasthaus Steinberg. 11 km. „Da wårn die Kinder dann ordentlich aufgewärmt,“ lacht Seniorchef Josef Grafl. Schi und Gepäck wurden mit dem Pferdegespann, später mit dem Traktor abgeholt. Er erinnert sich gerne an diese Zeit. Er selbst war daheim, wo die anderen ihre Schiwoche machten. Er freute sich, wenn die Gruppen angesagt waren, wenn das Haus voller Gleichaltriger war. Neben den einheimischen Gruppen kamen auch deutsche Schulen. Letztere übten meist am Hauslift ihre ersten Schwünge im Schnee, die Gymnasiasten gingen mit ihren LehrerInnen auf Skitour. In Gruppen ab ins Gelände, zwei bis drei Gipfel in der Woche, auf den Steinbergstein, den Lodron. Abends war Hüttenzauber angesagt mit vielen Spielen und „Rambazamba“. „Da Lärmpegel wår hoch, aber es wår immer a Riesengaudi.“ Lustig ging es zu in diesen Wochen. Die Kinder waren damals nicht braver oder schlimmer als heute, die Lehrer auch nicht. So manches Mal erwischte man einen der Buben in den Mädchenzimmern. Oder einen Lehrer, der sich ins Zimmer einer Kollegin verirrt hatte. Josef Grafl blieb das nicht verborgen. Und den SchülerInnen auch nicht, wie sich im Nachhinein herausstellte. Denn unter den Namen im Gästebuch, das der Seniorchef mir reicht, finden sich doch tatsächlich die Namen Edi Ehrlich und Walter Nothegger. Unsere Herausgeber waren also mittendrin im Geschehen in den Jahren 1973 bzw. 1978. Sie erinnern sich noch gut an diese Woche und an die „Hetz“, die sie damals als Kinder erlebten.
Eine Gaudi war es für alle, und manchmal war es sogar etwas zuviel des Guten. Um etwas Abstand zu gewinnen, gingen manche Lehrpersonen abends noch ins Jagahäusl, das zwei Kilometer vor dem Gasthaus Steinberg liegt. Und kamen dann ziemlich blau zurück. Oder man feierte bis 4 Uhr morgens. „Des håb’n de schon auskoitn, wår jå nur a Woche,“ sagt Ina, die sich zu uns gesellt. Ina heißt eigentlich Jantina und ist Josefs Frau. Jantina stammt aus Holland und war in den 70ern nach Österreich gekommen, um ihr Deutsch zu verbessern. Dass sie sich in den Wirt und Schilehrer Josef Grafl verliebt, war nicht geplant. Josef kehrte der Liebe wegen sogar für einige Zeit der Heimat den Rücken und ging mit ihr nach Holland. Doch sie kamen zurück und übernahmen den Gasthof.
Michael wird Koch
Von ihren drei Buben war es der Älteste, Michael, der schon von klein auf wusste, dass er einmal Koch werden will. Auch er und seine Brüder wuchsen mit den Schigruppen auf, auch er freute sich, wenn sie im Haus waren. Er erlebte es auch noch, wie der Vater in den letzten Jahren, in denen Schigruppen kamen, in den Dachrinnen nach Flaschen mit Alkohol angelte, die die Jugendlichen dort gleich nach der Ankunft versteckt hatten. „Des hätt’s ganz friarah nit geben“, meint Josef. Und heute gibt es dafür keine Schitouren mehr für die Kinder. Nur mehr Liftfahren und perfekte Pisten.
Wie war es für Michael, an einem Ort aufzuwachsen, der so abgeschieden liegt? „Uns war des nit bewusst,“ meint er dazu. „Uns is nix ogånga.“ Sie waren ja zu dritt, seine Brüder und er, im Sommer wie im Winter kamen viele Gruppen ins Haus, Nachbarbuben gab es ein Stück entfernt auch, und dann war da ja die Natur, ein unerschöpflicher Spielplatz.
Michael absolvierte die Hotelfachschule in Innsbruck. Dann zog es ihn in die Ferne, nach Liechtenstein und in die Schweiz. Dort lernte er seine Agata kennen, die wie er „auf Saison ging“ und im selben Hotel arbeitete. „Ma ku schon såg’n, es war Liebe auf den ersten Blick,“ gesteht er lächelnd. Die schwarzhaarige Slowakin mit den geheimnisvollen dunklen Augen hatte es ihm sofort angetan. Wie schon der Vater vor ihm, sorgt auch Michael dafür, dass „frisches Blut“ in die Familie kommt. Ganz einfach war es für Agata anfangs freilich nicht, im „Mehrgenerationenhaus“ Grafl Fuß zu fassen. „Owa es is für uns alle a Bereicherung, wenn a Mensch mit anderer Kultur und anderen Ansichten in die Familie kommt. Ma muass ja nit alles adaptieren, owa inspirieren lassen sollt’ ma sich.“ Die beiden bekamen zwei Söhne, David und Patrick, 5 und 7 Jahre alt. Oma Jantina kümmert sich viel um die beiden. Für ihre eigenen Kinder hatte sie damals nicht so viel Zeit. Michael und Agata wissen es sehr zu schätzen, dass sie die Eltern im Haus haben. Sie tauschen sich ab, „wenn ma a gefühlte Million moi ins Dorf fahrn miassn“. Die schmale Straße mit den vielen Kurven ist manchmal viel länger als 9 Kilometer.
Leidenschaft Gastronomie
Michael ist ein leidenschaftlicher Koch und hat in vielen guten Häusern gearbeitet, war in so manchem selber Küchenchef. Eineinhalb Jahre lang arbeitete er sogar bei Alfons Schubeck, einem der bekanntesten Köche im deutschsprachigen Raum. Aus der Zeit hat er viele Erfahrungen fürs Leben mitgenommen. Und er entdeckte bei Schubeck seine Liebe zur regionalen Küche, die er heute noch hegt und pflegt. Michaels Pressknödel nahm Schubeck damals sogar in die Speisekarte seines Restaurants auf und auch in das Buch, das damals gerade entstand.
Dass die Jungen heutzutage keine rechte Freude mehr mit den Berufen in der Gastronomie haben, kann Michael eigentlich nicht verstehen. Sicher, früher waren die Arbeitsbedingungen zum Teil nicht wirklich gut, aber das hat sich mittlerweile sehr gebessert. „Und dass ma Samstag und Sonntag frei håt, des ku decht nit der Mittelpunkt des Lebens sein, oder?“ fragt sich Michael. Für ihn war es das nie. Seine Begeisterung galt immer dem Kochen, darin findet er seine Selbstbestätigung. Wissen die jungen Menschen heute eigentlich noch, was das ist? „Von unserer Gesellschaft wird dir vorgegaukelt, dass nur a Leben mit viel Geld zählt, aber des is nit richtig,“ weiß Michael. Für ihn sind es die Begeisterung und Freude an der Arbeit, die zählen und glücklich machen. „De Gastronomie håt a viele Vorteile. Ma ku um die ganze Welt reisen, überall arbeiten, Geld verdienen. Es is a Fehler, wenn wir die Gastronomie aus da Hand geben.“ Damit spricht er eine Problematik an, die auch ihn selber als Wirt trifft: Dass die Einheimischen nicht mehr in der Gastronomie arbeiten wollen.
Zurück zur Sommerfrische?
Abtauchen kann Michael in seinem Kräutergarten, der ist das größte und wichtigste Hobby für ihn, hier kann er Arbeit und Freizeit verbinden. An die 40 Kräuter wachsen darin, die rot blühende Goldmelisse ist derzeit sein Favorit. Zur Erntezeit gibt es dann Goldmelissen-Knödel und mehr. Für Interessierte hält Michael immer wieder Kochkurse ab. Er will sein Wissen gerne weitergeben und vielleicht bei dem einen oder anderen dabei das Bewusstsein stärken für die regionalen Schätze, die uns so reich zur Verfügung stehen.
Die Zukunft sieht Michael gelassen. „Jetzt samma in der Blüte,“ sagt er und lacht. Sorgen macht er sich keine. Er ist nicht abhängig vom Wintertourismus, der Sommer ist in den letzten Jahren wieder stärker geworden. In Tirol hat alles mit der Sommerfrische angefangen, vielleicht kommen wir wieder dahin zurück. Und angenehm frisch ist es im Windautal immer, auch an heißen Sommertagen. Vielleicht liegt es daran, dass ich nach unserem Gespräch wie betäubt ins Bett falle und dem nächsten Abschnitt des KAT-Walks entgegen träume.
TEXT: DORIS MARTINZ
FOTOS: ROL.ART-IMAGES, ARCHIV GASTHAUS STEINBERG, BUNDESGYMNASIUM ST. JOHANN
ERSCHEINUNGSDATUM: MAI 2016
Theresia Mallaun
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Tolle Geschichte, unsre Kinder waren vor 25-30 Jahren auch mit Begeisterung dabei. Und die Begeisterung ist bis heute geblieben.
Josef Quinsz Quinsz
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Ich komme schon seit 30 Jahren ins Steinberghaus, egal ob bei Seppi und Ina oder jetzt bei Michael und Agata, ich habe mich immer wie dahoam gefühlt. Macht weiter so 😘 Liebe Grüße von Anne und Josef