Oida Våda, is des schee!
Alter Vater!? Nein, nein. Denn die junge Freeride-Clique „Powder Eagles“ sprengt Grenzen, um ihr geliebtes Brixental bis aufs Letzte auszukosten.
16.3.2019, 4:35 Uhr, dunkle Nacht: Südlich von Aschau steigen Bastian „Basti“ Boscarolli, Niklas „Nik“ Brandstätter, Andreas „Giga“ Gutensohn und Thomas „Tom“ Streif auf den vor ihnen aufschießenden Großen Rettenstein. Sie wollen zum Sonnenaufgang am Gipfel sein und dann von den 2.366 Metern Höhe auf Skiern abfahren. Doch plötzlich fühlt sich einer von ihnen nicht wohl. Und es ist vereinbart, wenn sowas passiert, dann lassen sie’s bleiben. Schwierige Entscheidung, ein Hin und Her, dann brechen sie ab. Schweren Herzens, denn dieser Tag sollte auch der Höhepunkt des Films sein, an dem sie schon lange arbeiten. „So knapp vorm Ziel gescheitert.“ Aber an dem Tiefpunkt, „da wird einem auch bewusst, was bei einem wirklich zählt im Leben, da empfinden wir es als Privileg, hier aufwachsen zu dürfen, im Brixental, mit seinen wunderschönen Dörfern, der großartigen Natur, und mit den Leutn. Das wissen wir echt z’schatzen.“
Giga
Ich besuche Andreas im elterlichen Haus zwischen Kirchberg und Aschau. Eine Hand ist zusammengeballt, denn er hat sich vor zwei Monaten schwer verletzt. Nicht bei einem waghalsigen Bergabenteuer, sondern bei seiner Arbeit als Zimmerer. „Oa Sekund nit aufpasst, und jetzt is oa Finger weg“, erzählt er. „Wås normal går nit passieren kann, is mir passiert.“ Aber Giga ist einer, der nach vorn schaut und weitermacht, weil er den Beruf liebt. Andreas wurde 1995 geboren, seine Eltern „Giga Peter“ und Hanni Gutensohn kennt man auch von köstlichen Auftritten auf Kirchberger Theaterbühnen. Durch sie kommt Andreas früh zum Skifahren. „Oamoi hat’s in Strömen g’regnet“, und der Knirps weckt den Vater um 7 Uhr früh auf: „Gemma Skifahren?“ Aber bei dem Regen will Peter nicht. Doch der Kleine beharrt drauf. Und nach zwei „Maierl“-Abfahrten hockt Papa entnervt, wie ein begossener Pudel im nassen Schnee. „Fåhr ma hoam, ha?“ Nein! Andreas hat noch nicht genug, und ist bis heute ein fanatischer Skifahrer geblieben, hat dafür sogar den Beruf Zimmerer gewählt, weil er dachte, da kann er zwischendurch Skilehrern. Falsch gedacht, denn im Winter wird viel gebaut, und da ist es oft stressig.
Gechillter war’s da schon früh mit den Schulfreunden. „Und das Skifahren håt ins oiwei verbunden.“ Täglich treffen sie sich am Kirchberger Gaisberg, „då håmma insere Schanzei baut und den gånzen Nåchmittåg verbråcht.“ Das waren schon damals er, Tom, Basti, Nik und zwei, drei andere, wie der „Dommei“ Rettenwander, Gigas bester Freund. „Då håt a die gånze Freundschåft u’gfångt, die Liebe zum Schnee, und beim Freeriden immer mehr entdecken“ – beim Skifahren im freien Gelände, für das man Tiefschneefahren und die Lawinenkunde beherrschen muss. So reifen die „Pulverschnee Adler“ heran, die ihre Freizeit am liebsten am Berg, „im wunderscheen Brixentoi“ verbringen. Tom, ihr Motivator, ist Elektro-Planer mit sämtlichen Ausbildungen und sagt zur Passion: „Damit’s mi nit zerlegt, muss i die Ski g’scheit draufdrucken und a g’scheite Line owiziachn.“ Basti ist Abenteurer und macht Designs und Logos für Shirts, damit er sich leisten kann, die Welt zu bereisen: „Freeriden, des is mit die besten Freind am Berg oben, a scheens Wetter, a guter Pulverschnee, und oafåch Hangei für Hangei ochipowdern.“ Nik ist Spengler, Fitness-Trainer und Trailrunner: „Die Spuren, die ma då in der Natur hinterlåsst, des is oafåch wås Unbeschreibliches.“ Und seine Freundin, Fotografin Lisa Lederer, ist oft mit der Kamera dabei.
Die geilsten Lines
Dem Andreas geben die Berge auch Kraft. „Då kånn i am besten abschalten und kimm voll Energie wieder ocha.“ Die Eagles lieben die Freeride-Abfahrten ihrer Powder-Berge, wie das „Brechhorn“, den „Floch“ oder „Tanzkogel“, alle über 2.000 Meter hoch. „Der Berg, wo wir uns am liebsten auffiplagen, is der Gampen“, sagt Giga. Aber bei dem Ausblick oben, da macht es sich bezahlt. Und dann genießen sie die Tiefschneeschwünge, bei denen Puderschnee aufsteigt. „fette Rinnen, perfekte Neigung, oafåch geil.“ Genauso, wie der „Kleine Rettenstein“. Der Aufstieg ist mühsam, und am schmalen Kamm geht’s beidseitig steil bergab. „Den Kloanen Stoa kust im Jåhr vielleicht drei-, viermal gehen“, da muss alles passen. Aber dann wartet eine spektakuläre Abfahrt.
Das bisher größte Projekt der Powder Eagles ...
... war die jahrelang dauernde Herstellung des eindrucksvollen Freeride Skiing Movie’s „Brixentoi“, ein Film über ihre Passion. Weil sie sich beim Skifahren filmen wollten, kauften sie mit ihren ersten Löhnen eine Kamera. Und als sie die Präsentation von Patrick Neubäcks Film „Hoam“ miterleben, sagen sie sich: „Des kunnt’n mir a toa. Wir machen einen Film drüber, wie schee es bei ins is.“ Das Budget stellen sie auch mit einem Standl beim Kirchberger Dorffest auf, Filmprofi Patrick gibt den Hobby-Filmern gute Tipps, und sie erwerben Go-Pros und leihen sich Drohnen. Trotzdem ist der Dreh oft eine große Herausforderung. Extreme Bedingungen, schwierige Umsetzung der Idee, oder das Filmen noch ohne Drehbuch. Nervig auch, wenn andere Skifahrer kurz vor dem Filmen in „ihren“ unberührten Tiefschnee fahren, wenn ein Darsteller im letzten Moment der Aufnahme stürzt, oder wenn er nicht stürzt, aber der Kameramann nicht auf den Aufnahmeknopf gedrückt hat. Auch als sich gerade endlich die Wolken verzogen haben. Das provoziert auch Konflikte im Team, „und då wåren a viele Tåg dabei, de oafåch für die Fisch wår’n.“
Wie jener 16.3.2019, als sie unterm „Großn Stoa“, der sie seit Kindertagen fasziniert, scheitern. Doch bei den Eagles gilt „Safety first!“ – die Gefahren der Berge dürfen nie unterschätzt werden. Einmal stürzte Andreas bei extremen Schneefall, „und då wär i fåst dastickt.“ Und würde einem der Freunde mal was passieren, „Na, dånn wirst nimmer so schnell glücklich“, sagt er. Nach einer Woche Motivationsaufbau wollen sie den Großen Rettenstein doch noch schaffen. „Des ziach ma durch!“ Die Nacht im Iglu am Basecamp verbracht, gehen sie es diesmal vom „Zweitausender“ an. Kurz nach vier Uhr früh geht’s step by step steil bergauf, die Skier auf den Rücken geschnallt. Going to another level! Und dann, um 5:43 Uhr, bei den letzten Metern zum Gipfel, da taucht das erste Morgenlicht über den Bergsilhouetten auf. „Oida Våda, is des schee!“ Und Freudens-Juchitzer brechen aus ihnen heraus, am Gipfel des Glücks. Da geht nur noch der ultimative Kick drüber, und so schieben sie ihre Skispitzen über den steil abfallenden Abgrund hinaus, und lassen sich jeweils einzeln fallen, um mit die aufregendsten Lines ihres Lebens zu ziehen. Und da weiß der eine oder andere, wofür er lebt.
Schnitt! 5.11.2021. Nervös fiebern die Heroes der Premiere ihres Movies „Brixentoi“ in der arena365 Kirchberg entgegen. „Und då wår auf oamoi a Schlång, die nimmer aufg’hört håt.“ So viel Publikum haben sie nicht erwartet. Noch dazu, wo es das Wochenende vor dem zweiten Corona-Lockdown ist. „Wenn des nix mehr g’wordn war, dånn hätt i echt a Lackei greart“, lächelt Andreas heute. Doch so hat sich die jahrelange Mühe gelohnt. Die Vorführung wird ein voller Erfolg, und wenn ihr den Film unter www.powdereagles.com anschaut, dann wisst ihr, warum.
Blue Bird Days
Heute wollen die Powder Eagles „oafåch Skifahren und a Gaudi håm“. Die Tage zusammen noch mehr genießen, ohne Filmen. Ihre Freundschaft ist durch die gemeinsame Passion extrem eng geworden. „Freundschaft, das ist wie Heimat“, schrieb der Autor Tucholsky. Und wie gut passt das zu dieser Clique, die alljährlich auch eine Städtereise unternimmt. Einmalwaren sie in Berlin, „und då wåren wir oiwei no die gleichen Kindsköpf wie vor zehn Jåhr“. Interessant war’s, „aber länger in einer Stadt, da wuscht i depressiv werden.“ Viel schöner, dass sich die Freunde vor zwei Jahren den Traum erfüllten, eine Almhütte zum Relaxen zu pachten. Und dennoch, „so a richtig mega Blue Bird Day is hoit oiwei no am geilsten“ – ein sonniger, wolkenloser Tag, nachdem es in der Nacht geschneit hat. Dann sind die Powder Eagles in ihrem Element, dann fliegen sie! „In der Natur draussn, rundum die nahe Umgebung wahrnehmen, es genießen und bis aufs Letzte auskosten. Dånn lebt ma im Moment.“ Dieses unbeschreibliche Gefühl wollen Basti, Nik, Giga und Tom auch anderen gönnen, verbunden mit ihrem Wunsch: „Dass alle auf inser Juwel, das Brixentoi, schauen, damit a die naxten Generationen die Möglichkeit håm, dass sie a so a lässige Zeit im Tiefschnee und in der Natur verbringen können, wie’s wir toan.“
„Freundschaft, das ist wie Heimat.“
FOTOS: LISA LEDERER, JOHANNES KOGLER
"G'schichtlschupfer", Drehbuchautor, Mit-Herausgeber und Autor des Printmagazins 'Bei ins dahoam‘. Mehr Details