Reiz der Rillen
Eine Schallplatte nach Wunsch: Mit ihren Einzelanfertigungen haben sich die Jungs von dr. dub eine Nische geschaffen, die rund um den Globus Anklang findet. Dabei ist ihre Welt nicht nur eine Scheibe. Manchmal kann sie auch ein Obstsalat sein.
Als die Nadel sanft in die Rille gleitet, erwarten die Gehörgänge fast instinktiv das Offensichtliche: Vertrautes Schallplattenknistern. Das Rauschen längst vergangener Zeiten. Eben das, was zum guten alten Ton gehört. Doch nichts davon dringt an diesem Nachmittag aus den Boxen im Studio von dr. dub in Fieberbrunn. Stattdessen entfalten sich die markanten Beats, Gitarrenriffs und Basslines von „Do I Wanna Know” der Arctic Monkeys in einer Klarheit, die man so nicht erwarten würde
Dieser Moment räumt mit einem weitverbreiteten Irrglauben auf. „Viele Menschen, besonders jüngere, wissen gar nicht, wie gut eine Schallplatte klingen kann. Wenn es knistert und rauscht, ist das meist ein Zeichen dafür, dass sie ziemlich abgenutzt, dreckig oder kaputt ist”, unterstreicht Andy Eppensteiner die oft übersehene – oder mehr noch: überhörte – Wahrheit. Der Fieberbrunner ist einer der vier Vinyl-Virtuosen von dr. dub, die sich mit viel Fingerspitzengefühl darum kümmern, dass alles reibungslos (ver)läuft, wenn Schallplatten das Licht der Musikwelt erblicken.
„Viele Menschen wissen gar nicht, wie gut eine Schallplatte klingen kann.” – Andy Eppensteiner, Geschäftsführer dr.dub
Das Team von dr. dub mit einer Auswahl ihrer maßgeschneiderten Vinylschätze. Die handgefertigten Schallplatten variieren in Farbe und Form, von klassischem Schwarz bis hin zu kreativen Designs, die den unverwechselbaren Charakter ihrer Musikwiedergabe unterstreichen.
Über den Schallplatten-Rand hinaus denken
Dabei bauen die PillerseeTaler auf ein einzigartiges Konzept: Handgefertigte Schallplatten nach Wunsch. „Der Kunde kann seine eigene Musik oder alle denkbaren Audiodateien einfach auf unserer Webseite hochladen und alles selbst konfigurieren – Farbe, Form, aber auch Cover oder Labelaufkleber”, erklärt Andy.
Kaum trudelt die Bestellung ein, geht es für die Jungs schon an die (Hand-)arbeit. Tausende Einzelstücke werden jährlich in der Platten-Praxis hergestellt und weltweit versandt – oder auch verschenkt, denn auch Geburtstags- oder Hochzeitsglückwünsche, Geräuschkulissen oder ganze Hörbücher landen mitunter auf den analogen Tonträgern. „Wir haben Stammkunden aus ganz Europa, aber auch aus Kambodscha, Indien, Südkorea, China oder Ozeanien wird regelmäßig bestellt. Und in Brasilien gibt’s sogar einen kleinen Fanclub”, weiß Andy, der die Geschicke bei dr. dub seit 2018 gemeinsam mit seinem besten Freund, dem Nuaracher Markus Waltl, leitet.
Mit der Übernahme des Studios, das in den frühen 2000ern von Mex Wieshofer und Nik Soder gegründet worden war, drückten die beiden dem Unternehmen rasch ihren eigenen Stempel auf. „Wir haben die Kapazitäten ausgebaut und das Sortiment um Drucksorten, Picture- und Shapediscs erweitert.” Will heißen: schwarze Scheiben waren gestern, Schallplatten gibt es bei dr. dub heute in allen denkbaren Farben und Ausführungen – egal ob Herzen, Kiwis oder Spiegeleier, Klee- oder Sägeblätter, gemustert oder gar mit bunter Flüssigkeit „gefüllt”; bei den Fieberbrunnern ist Vinyl nicht immer eine runde Sache.
Dr. Dub's innovative Schallplatten: Wo Musik auf Frische trifft. Diese kreativen Vinyls in Form von Wassermelone, Kiwi und Zitrusfrüchten zeigen, dass Vinyl nicht nur etwas für die Ohren, sondern auch für die Augen ist.
Schneiden in Echtzeit
Mit der räumlichen Vergrößerung schuf sich das Team auch Platz für mehr Schnittmaschinen – insgesamt vier sind aktuell im Einsatz, eine davon ist als „Rolls-Royce” unter den Vinylschneidern bekannt: die Neumann VMS 66 aus dem Jahr 1966, auf der einst eine Lackfolie für das „White Album” der Beatles geschnitten wurde. „Unsere Vorgänger Mex und Nik haben die Maschine 2004 bei einer eBay-Auktion in England ersteigert”, erzählt Andy und erklärt: „Aus einer solchen Lackfolie werden später im Presswerk meist tausende Platten produziert.”
Eine solche Pressung rentiere sich allerdings erst ab 100 Stück, daher gibt es bei dr. dub auch die Möglichkeit, Kleinauflagen ab sechs bis ca. 50 Stück zu bestellen – auch diese werden handgefertigt, und zwar auf einer speziellen Maschine, die zwei Platten gleichzeitig schneiden kann. Die Herstellung der Unikate erfolgt dabei immer in Echtzeit und in einem Durchgang, heißt: Die Produktion dauert exakt so lange wie die gesamte Spiellänge der gefertigten Platte.
Präzisionsarbeit bei dr. dub: Ein Experte im Fokus, während er sorgfältig eine Vinylschallplatte in Echtzeit schneidet, ein Prozess, der handwerkliches Können und technische Expertise verbindet.
Totgesagte Technik
Beobachtet man Andy Eppensteiner beim Vinylschneiden, könnte man auf den ersten Blick meinen, er lege lediglich eine Schallplatte auf. Tatsächlich ist das jedoch der Part, „where the magic happens”: Ein feiner Diamant, der Schneidekopf der Maschine, meißelt die Audioinformationen sorgfältig in den noch glatten Rohling. Rille für Rille. Was relativ unspektakulär aussieht, erfordert ein hohes Maß an Präzision und Aufmerksamkeit. „Jeder Handgriff muss in der richtigen Reihenfolge passieren. Vergisst man einen Schritt, ist die Platte zerstört”, erklärt Andy, der sich mit seinem Team in eine Technologie einarbeiten musste, die aus den 60er-Jahren stammt und lange als ausgestorben galt.
Somit beruht das seltene Handwerk auf einer ständigen Wissensweitergabe, denn eine spezialisierte Ausbildung für das antiquierte Musikmedium gibt es heute nicht mehr. „Der Beruf des Tontechnikers kommt dem noch am nächsten. Aber auch ein studierter Toningenieur lernt nicht, wie man eine Schallplatte schneidet.” „Learning by doing” laute daher das Stichwort, und es erfordere neben einem hohen Maß an Eigeninitiative auch musikalisches Know-how und die Freude am „Basteln”, ergänzt Andy, der wie seine drei Kollegen ausgebildeter Elektrotechniker ist. Auch wenn das Grundgerüst, der Vinylrecorder, vorhanden ist, mussten sich die Jungs das ganze technische Setup drumherum selbst zusammenbauen. Tatsächlich seien es weltweit nur wenige, die die Technologie am Leben erhalten würden. „Schnittmaschinen werden heute nicht mehr hergestellt, man kann sie nicht einfach irgendwo kaufen. Alte Modelle werden zwar modernisiert, aber auf der ganzen Welt gibt es vielleicht fünf Menschen, die diese Geräte warten und restaurieren können. Und alles Mechanische, nutzt sich natürlich ab und muss irgendwann getauscht werden“, erklärt Markus eine der großen Herausforderungen in dieser besonderen Branche.
„Für eine Vinyl nimmt man sich Zeit und hört die Musik ganz bewusst.”Seltenes Handwerk: Beim Schallplatten-Schneiden ist absolutes Fingerspitzengefühl und höchste Aufmerksamkeit gefragt. Die Schnittmaschinen stammen teils aus den 60er-Jahren.
Zeit, dass sich was dreht
Und so bahnt sich ein altes Medium beständig seinen Weg durch den digitalen Musikkonsum und erkämpfte sich in den letzten Jahren seinen Platz in den Wohnzimmern zurück. Der besondere Reiz von Schallplatten liegt für Markus einerseits in der Freude am Analogen in einer zunehmend digitalisierten Welt, andererseits im bewussten Umgang mit der Musik. „Für eine Vinyl nimmt man sich Zeit – man muss aufstehen und sie umdrehen, hört die Musik also ganz bewusst und nicht als Hintergrundgedudel.”
Für Andy spielen auch der Sammel-Aspekt und die soziale Komponente eine wichtige Rolle. „Für mich gibt es nichts Schöneres, als mit Freunden meine Plattensammlung durchzusehen – hinter jeder Platte steht eine Geschichte und daher hat man einfach auch einen persönlichen Bezug zur Musik”, ist er überzeugt. Schallplatten seien Gesamtkunstwerke und manches Plattencover habe sich ins Gedächtnis ganzer Generationen eingebrannt. „Man kann Alben so genießen, wie die Musiker sie einst dramaturgisch konzipiert haben.”
Ein Leben im Plattenbau
Andy selbst teilt sich sein Zuhause mit rund 300 Platten. „Da wird es platzmäßig teils schon recht eng”, lacht er. Davon kann Mitarbeiter Bene erst recht ein Liedchen singen. Unglaubliche 6000 analoge Tonträger haben sich im Laufe der Jahre bei ihm eingemietet und zieren Zimmer für Zimmer. „Es geht schon im Hausgang los, gleich neben der Eingangstüre reiht sich ein prall gefülltes Regal an das nächste”, erzählt er und lässt einen deutlichen Unterton von Bescheidenheit durchschimmern. Dabei ist eines so klar wie der Sound auf den Schallplatten aus dem Hause dr. dub: Würde er seinen fein säuberlich geordneten Fundus stapeln, wäre das PillerseeTal wohl um eine besonders imposante Sehenswürdigkeit reicher.
Hingabe zum Detail: Ein dr. dub Künstler bei der sorgfältigen Fertigstellung einer farbenfrohen, gemusterten Vinyl-Schallplatte auf einem Schneidematte.
… wortskundiger Schreibhals & Teilzeitpoetin. 1992 in Innsbruck geboren und aufgewachsen auf den Wortspielplätzen dieser Welt, ist die Liebe zur deutschen Sprache die wohl längste und beständigste Beziehung ihres Lebens. Mehr Details