Wilde Verfolgungsjagd

Der erfolgreiche Skicrosser Christoph Wahrstötter über Erfolge, Rückschläge und die Faszination seines Sports.

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„Skiers Ready“, ruft der Starter. Volle Konzentration. Einatmen, ausatmen. Der ganze Körper steht unter extremer Spannung. Das Herz schlägt bis zum Hals. Dann das Kommando: „Attention“. Innerhalb der nächsten fünf Sekunden wird sich die Klappe öffnen. Anspannung bis zum Zerreißen. Einatmen. Vier, drei, … ein Knall, die Klappe springt auf und vier Skiathleten stürzen sich in den Parcours. Sie kämpfen nicht gegen die Uhr. Nein, es ist ein Kampf Mann gegen Mann.

Ich treffe mich mit dem Hopfgartner Skicross Star Christoph Wahrstötter auf der Terrasse des elterlichen Betriebes, des Berggasthofes „Tenn“. Seit Tagen herrscht brütende Hitze. Da ist der Winter doch auch für den Skiathleten fern, oder? „Naa“, grinst der sympathische 28-Jährige, „natürlich wird a im Sommer trainiert.“ Leistungssportler wie Christoph verfügen über herausragende körperliche Voraussetzungen. Aber vor allem punkten sie mit immensen mentalen Kräften. Und das imponiert mir. Wie ticket so einer, der sich täglich stundenlang im Training quält und seinen inneren Schweinehund an der superkurzen Kette hält?

Max sei Dank

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Christoph wächst am „Berggasthof Tenn“ seiner Eltern auf, zu dem auch der Bauernhof gehört, direkt an der Mittelstation der Bergbahn Hopfgarten. Er ist ein Einzelkind und im Winter meistens auf der Piste anzutreffen, was ja auch naheliegend im wahrsten Sinne des Wortes ist. Nach der Hauptschule entscheidet er sich, nach Bad Hofgastein zu gehen und dort die Ski- und Tourismusschule zu absolvieren. Es sind sehr erfolgreiche Jahrgänge damals. Abfahrts-Ass Max Franz ist Christophs Zimmerkollege, ein Jahr vor ihm drücken Marcel Hirscher und Anna Veith die Schulbank. Christoph kennt beide gut, mit Max Franz verbindet ihn noch heute eine enge Freundschaft. Eines Tages lädt ihn Max Franz ein, am Nassfeld doch einmal einen Skicrossbewerb mitzufahren. Einfach so, zum Spaß. Christoph ist gar nicht begeistert, doch Max bleibt hartnäckig. So starten die beiden in der Jugendklasse. „Mia håm uns gar nit so blöd angestellt, i håb gewonnen, und da Max is zweiter worden,“ lacht Christoph. Während es danach für Max wieder „zurück zur Tagesordnung“ geht, verändert dieses eine Rennen für Christoph die Welt. Es ist ganz anders als jene, die er bisher in den klassischen Alpin-Disziplinen gefahren ist. Er fährt nicht gegen die Zeit, nicht im Stangenwald, sondern über gefährliche Steilwandkurven und Wellen in einem Parcours, der mit jähen Richtungswechsel gespickt ist. Vor allem aber fährt er im direkten „Infight“ gegen „Rivalen“. Das verändert alles. Bisher ist er am Start immer nervös gewesen. Nun bleibt er bei Slalom, Riesentorlauf oder Abfahrt ziemlich cool. Nur bei den Skicrossrennen, „da is ma’s Herz fåst in de Hos’n g’rutscht. Weil i g’wusst håb, i muss då als erster unten sein.“ Christophs Leidenschaft ist entfacht.

Harte Anfänge

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2010 wird Skicross eine olympische Disziplin. Der ÖSV gründet einen Europacup-Kader, Christoph ist dabei und schafft es sogar in den Weltcupkader. Ein Riesenschritt. Er macht sich gut, aber der Weltcup ist auch ein Lernprozess. Denn Skicross ist speziell. Es geht ja nicht nur darum, die Sprünge und Tore bestmöglich zu nehmen. Nein, da sind auch noch drei andere Fahrer, die alle als Erste ins Ziel wollen. Wer nicht als Führender aus der Startbox kommt, muss überholen. Und das ist schwierig, in vielen Situationen fast unmöglich. Also heißt es abwarten. Auf eine Chance lauern. Ein Gespür dafür entwickeln, was die Gegner tun werden. Erkennen, wann der Vordere von der Ideallinie abweicht. Innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden, ob und wie das zum eigenen Vorteil zu nutzen ist. Blitzschnell reagieren. Und dabei den Kontrahenten nicht berühren, bloß kein Kontakt. Denn das bremst beide, und die zwei anderen sind auf und davon. Christophs Augen blitzen, als er davon erzählt.

Plötzliches Timeout

Christoph wird in diesen Jahren immer schneller, er belegt im Gesamtweltcup den tollen zehnten Rang. Jetzt kann er endlich die Früchte seiner jahrelangen harten Arbeit ernten. Dann jedoch das jähe Aus: Im Oktober 2014 reißt beim Gletschertraining sein Kreuzband. Der Moment, in dem er die Diagnose erfährt, ist der schlimmste in seinem Leben. Christoph ist am Boden zerstört. Wird er je wieder an seine Top-Leistungen anschließen können? Den ganzen Winter über muss er im Fernsehen zuschauen, wie die Anderen Rennen fahren... Auf seinem Weg zurück erfährt er viel Unterstützung, zum Beispiel durch den ehemaligen Trainer Markus Wittner, aber auch durch viele andere, die ihm Mut machen und hinter ihm stehen. Im Dezember 2015 wagt er sich in das erste Rennen nach seiner Verletzung. Das Zurückkommen ist schwierig, vor allem im Kopf. Es stehen so viele Fragen im Raum. Und es gibt zwar Trainingsergebnisse, aber im Rennen sieht dann doch alles ganz anders aus. Angst vor einer weiteren Verletzung hat Christoph nicht. Aber Angst zu versagen. Ein Nervenkrieg. Er bleibt dran, übt sich in Geduld. Und irgendwann in der Mitte der Saison zündet es plötzlich wieder, er fährt wieder Superzeiten. Einmal schafft er es auch aufs Podium und reißt die Hände hoch: „OK, wir sind wieder da!“

Stärker und härter

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Der letzte Winter 2016/17 läuft „supergut“. Die Verletzungen haben den Skicrosser stärker gemacht. Er genießt den Erfolg, weiß aber auch: Wenn es gut läuft, bekennt sich jeder zum Athleten, will jeder in sein Team. Aber wenn es schlecht läuft, sieht alles anders aus. Christoph hat allen Grund zur Freude, er schafft sieben Top-10-Platzierungen und einen zweiten Platz. Dramatisch sind aber die Szenen bei der WM in Nevada: Diesmal hat sich Christoph besonders intensiv vorbereitet – und allen Grund, optimistisch zu sein. Denn eigentlich passt alles. Und dann macht er bei der Qualifikation alle Fehler, die man nur machen kann, landet auf Platz 27 von 32. Als er in der Pause im Athletenraum auf einer Bank liegt, sagt er zu sich selbst: „Christoph, jetzt miass ma uns wås überlegen.“ Er erinnert sich an ein Telefonat mit Max Franz während der Weltmeisterschaft in St. Moritz. Max hat damals nach den verpatzten Trainingsläufen zu ihm gesagt: „I håb alle Fehler g’måcht, die’s gibt. Für’s Rennen bleiben eigentlich keine mehr übrig.“ Bei der WM holte sich Max Franz danach die Bronzemedaille. Christoph beschließt, es ihm gleichzutun. Das erste Rennen gewinnt er souverän, beim zweiten überholt er bei einer Wahnsinns-Verfolgungsjagd zwei Läufer und geht als Erster ins Ziel. Beim dritten Lauf jedoch erwischt Österreichs Medaillenhoffnung eine ungünstige Linie und wird im „Sulz“ gebremst. Im Ziel ist er Dritter, schlussendlich – nach dem kleinen Finale, das er für sich entscheiden kann – Fünfter. Des håt mi extrem uzipft, då wår i saugrantig mit mir selber.“ Er hadert arg mit der Situation. Es hätte doch alles so gut gepasst, körperlich, taktisch, ... Aber nach ein paar Tagen, mit etwas Abstand, sieht er die ganze Sache lockerer und ist jetzt im Nachhinein „voll happy“. Fünfter bei der Weltmeisterschaft, das ist doch ein tolles Ergebnis, auf das er stolz sein kann!

Wenn Träume wahr werden

Christoph kämpft für diesen einen, magischen Moment: wenn sein Name aufgerufen wird, verbunden mit dem vorangehenden „representing Austria“, wenn er auf’s Stockerl steigt und seinen Applaus genießt, … Dafür lohnt sich jede Anstrengung, alles Quälen und manchmal auch Leiden. Als Kind hat Christoph so oft seine Helden im Fernsehen bewundert, hat mit großen Augen und pochendem Herzen verfolgt, wie sie aufs Podium geklettert sind und sich gewünscht: „Des mecht i a amoi.“ Er hat es geschafft. Zweite und dritte Plätze hat er schon geholt, nur der Sieg steht noch aus. Aber der kommt noch, das ist für den Skiprofi ganz klar. Er weiß: Wenn er am Stockerl ganz oben angelangt sein wird, dann wird sein Herz bis zum Hals pochen. Der Puls wird rasen. Aber die Anspannung wird einem unbeschreiblichen, alles überragenden Glücksgefühl weichen, das jenen vorbehalten ist, die hundert Prozent geben. Und mehr.

So geht Skicross: Der Skicross wird auf einer Strecke mit künstlichen Hindernissen gefahren. In einem Zeitlauf qualifizieren sich die 32 schnellsten Läufer/innen für das nachfolgende KO-System. Je vier Fahrer treten pro Lauf (Heat) gegeneinander an, die ersten beiden erreichen die nächste Runde. Dieser Modus setzt sich bis zum Finallauf der vier besten Fahrer fort. Im Finallauf und im kleinen Finallauf werden die Platzierungen 1 bis 4 beziehungsweise 5 bis 8 ermittelt. Die folgenden Platzierungen werden nach den Laufzeiten sortiert.

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