Die Bergbahn-Pioniere
Max Kober und Karl Huber erzählen von den Zeiten, in denen die Bergbahn Hopfgarten noch in den Kinderschuhen steckte.
„Schau, wias heit auffipilgern“, sagt Max und deutet hinüber zur Bergbahn-Talstation, wo die Wanderer mit ihren bunten Rucksäcken die Treppen hinauf zum Eingang der Bahn steigen. Er nickt zufrieden. Karl dreht sich um und nimmt den Ansturm ebenfalls wohlwollend zur Kenntnis. Es ist schon ein paar Jährchen her, dass Max Kober und Karl Huber die Geschicke der Bahn mitgestaltet haben, verbunden sind sie mit dem Unternehmen aber bis heute. Und rüstig sind sie, alle beide. Max feiert nächstes Jahr seinen 90er, Karl wird heuer 86. Die Hohe Salve mit dem Kirchlein auf dem Gipfel war ja schon lange bevor eine Bahn gebaut wurde ein beliebtes Ausflugsziel. So, wie heute die Preislisten für die Tickets aufliegen, gab es damals ein Tarifblatt für die Beförderung auf den Aussichtsberg. „Für 1 Reittier bis zur Kuppe der hohen Salve“ waren vier Gulden zu berappen. „Wenn bei dem Tier ein Führer ist bekommt derselbe 1,- Gulden“ steht da noch zu lesen. Die Herren ritten, die Damen wurden auf Tragsessel befördert. Im Prinzip waren diese Tragsessel die Vorläufer des ersten Sessellifts, der 1947 in der Wildschönau gebaut wurde. Karl erinnert sich noch daran, wie der Lehrer in der Hauptschule eines Tages erklärte, wie so ein Sessellift funktionierte. Mit Kreide malte er Räder, Seil und den Sessel an die Tafel und erläuterte, wie man einsteigen würde. Als ein ganzer Bus voller Schüler Tage später zum Lift fuhr, wurde die Bahn zuerst einmal argwöhnisch beäugt, bevor die Mutigsten zuerst den Ritt in luftiger Höhe wagten.
Nach Westendorf war Hopfgarten der dritte Ort in Tirol, der am 9.9.1949 einen Sessellift in Betrieb nahm – mit Eisenstützen den modernsten und mit fast drei Kilometern Seil den längsten Europas. Heute kaum mehr vorstellbar, wenn man sich das Foto ansieht. Die Techniker waren begeistert. Aber die (potentiellen) Fahrgäste unsicher. Max erinnert sich noch daran, dass ein deutscher Gast einst zur Talstation kam und die Kassiererin fragte: „Sagen Sie mal, ist das gefährlich, mit dieser Bahn hochzufahren?“ Worauf die Dame an der Kasse antwortete: „Mei, i håb mi nu nia traut.“ Der Gast verzichtete daraufhin. Die wirkliche Gefahr geht in jenen Tagen aber nicht von der Sesselbahn aus, sondern kommt von ganz anderer Seite: Im Winter 1955 zerstört ein Lawinenabgang die Bergstation und zwei Stützen, eine Tote ist zu beklagen – die Köchin der Bergstation. Ein gewaltiger Rückschlag für das Unternehmen Bergbahn. Und doch geht es weiter: Die Bahn wird neu geplant und in zwei Sektionen geteilt, die zweite geht Ende 1956 in Betrieb. 1959 wird Max Kober zum ehrenamtlichen Geschäftsführer bestellt – als Nachfolger des langjährigen Geschäftsführers Willi Biedermann. Die Finanzen sind über Jahrzehnte ein regelrechtes Fiasko. Immer sind die Ausgaben für neue Lifte und Erweiterungen höher als die Einnahmen. „Mia san regelrecht betteln gånga“, erinnert sich Max kopfschüttelnd. Sie ziehen von Wirt zu Wirt, doch die Gastronomen lassen die „Liftinger“ meist abblitzen. Hilfe kommt von der Gemeinde, vom Tourismusverband und von privaten Unternehmern. Und nicht zuletzt haften auch die Gesellschafter wie Max und Karl mit ihrem Privatvermögen.
Schwere Zeiten
Der Tourismus entwickelt sich, es kommen mehr „Fremde“ nach Hopfgarten. In den 50er Jahren vor allem mit der Bahn. Deshalb verfügt die Bergbahn über nur drei Auto-Abstellplätze. Max lacht, als er sich erinnert, wie der Pächter des Liftcafes ihn einmal ganz aufgeregt angerufen hat: „Herr Kober, jetzt miass’n’s gleich kommen, der Parkplatz ist nicht geräumt. Es wär’ a Auto då g’wesen, des is wieder g’fåhrn.“ Da ist natürlich Feuer am Dach. Es ist ja nicht so, dass Max sonst nichts zu tun hat. Die Familie Kober führt in Hopfgarten den Spar-Markt und das Kino. Mit nicht einmal 16 Jahren wird Max eingezogen und muss die letzten Kriegsmonate in Italien als Beifahrer in einem Fernlaster dienen. Obwohl seine Truppe im Partisanengebiet unterwegs ist, gerät er zum Glück nie wirklich in gefährliche Situationen und beendet nach dem Krieg die Handelsschule in Schwaz. Der Schulweg ist weit und beschwerlich: Da die Bahnstrecke oft unterbrochen ist, müssen die Schüler Teile des Weges zu Fuß zurücklegen ... Das Kino ist während der Kriegsjahre nicht in Betrieb und in einem völlig desolaten Zustand. Aber das ändert sich: 1945 leben in Hopfgarten drei russische Familien. Als Max unversehrt aus dem Krieg heim kommt, gerät er zufällig in ein Gespräch mit einem der Männer und erfährt, dass jener Elektrotechniker ist – und zwar Filmtechniker. Mit einfachsten Mitteln bauen sie eine Tonanlage „es wår nit mehr als a Blechkiste mit a paar Draht und Spulen“ und zeigen im Juli 1945 bereits den ersten Film: „Wen die Götter lieben“. Als der Vater vom Krieg nach Hause kommt, ist Max mit seinen 16 Jahren erwachsen geworden und baut später gemeinsam mit seinem Bruder Walter das Kinocafe. „Då håmma dann immer lebende Musik g’håbt.“ Ich muss lachen, als ich den Begriff höre. Lebende Musik kenne ich nur als Livemusik. Max heiratet seine große Liebe Sonny, bekommt mit ihr vier Kinder und verbringt mit ihr 65 Jahre Ehe. Sie meistern alles gemeinsam. Sonny stirbt 2016. Was bleibt, ist Dankbarkeit.
"Echte Skifahrer"
Die Bergbahn ist in den Anfangsjahren getragen vom Pioniergeist. Die Bahn fährt, aber sie fährt langsam – an die eineinhalb Meter bewältigt sie in einer Sekunde und befördert in einer Stunde 180 Menschen auf den Berg. Später sind es immerhin über 360. Heute übrigens über 2.000. Schokolade wird damals handgeschöpft, im Winter werden die Pisten von Hand präpariert. Im Jahr 1970 baut Hopfgarten dann den ersehnten Sessellift auf den Gipfel.
Karl folgt auf Max
Schon früher, im Jahr 1965, legt Max sein Amt zurück – seine eigenen Betriebe nehmen ihn zu sehr in Anspruch. Karl Huber folgt ihm ins Amt. Er ist zu dieser Zeit Bezirksvertreter des Tiroler Skiverbandes. Im Kader: Rudi Sailer, Christl Haas und viele mehr – und später auch ein gewisser Toni Pletzer. Karl Huber wird 1932 geboren. Als er die Hauptschule in Wörgl besucht, erlebt er die Bombardierungen hautnah mit. Einmal klettert er aus dem Notausstieg und muss mit ansehen, wie gegenüber die Wirtin des Gasthofes Schachtner leblos aus den Trümmern geborgen wird. „Jetzt kriag’n ma koa Supp’n mehr bei da Schachtner Mami“, wird ihm schmerzlich bewusst. Ein anderes Mal wird der Bahnhof von Brandbomben getroffen, es kracht und schnallt. Eigentlich sollten sich Karl und die anderen Buben in den Luftschutzräumlichkeiten aufhalten, aber „vor lauter neigierig håm mia natürlich schaug’n miassn.“ Zum Glück geht alles gut. Karl träumt davon, einmal Förster zu werden. Doch es ist nicht die Zeit für Träume. Karl muss nach Innsbruck, um dort eine Lehre als Geschirr- und Eisenhändler anzutreten und wird später Handelsreisender. Mit seiner Annemarie bekommt er einen Sohn. Noch heute gehen die beiden Seite an Seite durchs Leben.
Etwas Großes wächst...
1966 arbeitet sich in Hopfgarten die erste Pistenraupe über die Pisten. In den 70er Jahren können Skifahrer zwischen den Gebieten Hopfgarten und Söll hin- und herfahren. Auch in Scheffau, Ellmau, Going und Brixen werden Skilifte gebaut. Man beschließt, sich nicht zu konkurrieren, sondern zusammen zu arbeiten. Wer eine Karte kauft, kann überall fahren. Mit diesem System sind die Bergbahnen ihrer Zeit weit voraus. Das Wort „Großraum“ wird zum ersten Mal in den Mund genommen. Man installiert gezielt Bahnen, um die Gebiete zu vernetzen. Das Verhältnis der Hopfgartner mit den Geschäftsführern der anderen Bergbahnen ist sehr gut. Die finanzielle Lage leider nicht. „Wia des ois gonga is, woass i oiweil nu nit“, sinniert Karl. Aber es funktioniert. Ab 1972 wird Karl Bürgermeister und bleibt es 20 Jahre lang. Die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Bergbahn ist fruchtbringend für beide Seiten. Und Toni Pletzer, der gute Skifahrer aus Aurach, eröffnet in Hopfgarten eine Installationsfirma. 1972 wird er Obmann des Tourismusverbandes. In all den Jahrzehnten erweist er sich als engagierter Förderer der Bergbahn. Niemand weiß, ob das Unternehmen seine finanziellen Talfahrten ohne ihn überstanden hätte. „Meinem lieben Freund Toni håt die Bergbahn viel zu verdanken“, sagt Karl mit Nachdruck. Karl selbst blieb 30 Jahre lang Geschäftsführer. Wieder schauen die beiden hinüber zur Bahn. Es ist inzwischen später Vormittag und ruhiger geworden. Viele sind jetzt schon oben und genießen die klare Luft am Berg. Sie sind in komfortablen Gondeln nach oben geschaukelt. Bestimmt hat keiner von ihnen daran gedacht, welche schwere Zeiten die Bergbahn zu meistern hatt. Keiner? Das stimmt nicht ganz. Max und Karl wissen um die bewegte Geschichte der Bergbahn in Hopfgarten und haben ihren Teil dazu beigetragen, dass wir die Fahrt nach oben einfach nur genießen können …