Eine richtige Schussfahrt
Biathlon fasziniert immer mehr Sportbegeisterte – aber warum? Was ist an der Kombination aus Ausdauersport und Konzentration so besonders? Wir haben es ausprobiert.
Hochfilzen im Pillerseetal gilt in Österreich als Biathlon-Mekka. Seit Beginn der 70er Jahre ist das Tiroler Dorf mit dem Baithlonsport eng verbunden. 1978 fand die erste Kleinkaliber-Biathlon-WM statt und ab 2003 wurden jährlich Weltcuprennen oder Weltmeisterschaften ausgetragen. Wer hierherkommt, dem wird schnell klar, warum diese Sportart zu Hochfilzen passt: Schnee gibt’s ohne Ende, genau wie Platz für Langlaufloipen auf den weiten Feldern. Außerdem hat Hochfilzen einen Militärstützpunkt, und das Militär ist der Ursprung des Biathlons.
Das Stadion des Heeressportverbands ist den Profis vorbehalten, doch Interessierte haben trotzdem die Möglichkeit, den Biathlonsport hautnah kennenzulernen. Die Nordic Academy bietet jeden Dienstag und Donnerstag Gäste-Biathlon an. Das Programm dauert etwa zwei Stunden, nach 45 Minuten Technikübungen geht es an den Schießstand. Voraussetzungen braucht man dazu keine, außer Neugier und Lust auf was Neues. Die Nordic Academy ist auch unser Ziel, denn ich will mich an der Kombination aus Ausdauersport und Konzentration versuchen.
Alles eine Frage der Technik
Als ich ankomme, baut Biathlontrainer Gerhard gerade die Schießstation auf. „Hol dir erst mal eine Skating-Ausrüstung drüben im Shop“, meint er, nachdem wir uns begrüßt haben. Gesagt, getan. Freundlich werde ich dort beraten, und nur wenige Minuten später komme ich in Langlaufschuhen, mit Skating-Skiern und ziemlich langen Stöcken retour. „Die Stöcke sollen bis zur Oberlippe reichen, also in den Bereich zwischen Kinn und Nase“, wurde mir im Shop erklärt. Warum das so ist, erfahre ich später.
Obwohl es eine Weile her ist, dass ich Langlaufskier unter den Beinen hatte, habe ich kompletten Neueinsteigern gegenüber einen Vorteil, weil ich schon mal auf einer Skatingloipe war und eine gute Skifahrerin bin. „Ich hab häufig Teilnehmer, die noch nie auf Langlaufskiern gestanden sind“, erklärt Gerhard, „sie sind meistens Biathlonfans und wollen die Sportart mal selber ausprobieren.“ Andere Interessenten suchen eine Alternative zum Skifahren oder kommen in Gruppen, um in die Sportart reinzuschnuppern und eine Challenge auszutragen.
Übung macht den Meister
„Wir starten immer mit der Skating-Technik“, erklärt mir der Trainer. 30 bis 45 Minuten wird auf der Übungsloipe geübt, es geht um Technik und Balance – und zwar ohne Stöcke. „Die Balance ist das Um und Auf. Es ist enorm wichtig, ohne Stöcke das Gleichgewicht zu finden. Die werden erst später für den Schub nach vorn eingebaut. Viele machen den Fehler und stützen sich auf den Stöcken ab, weil sie die Balance nicht halten können“, sagt der Profi. Alles klar. Also weg mit den langen Dingern.
Skating-Ski haben eine durchgehende Gleitfläche. Nur über den Abdruck an den Innenkanten kann man sich in Bewegung setzen, daher benötigt man die V-Stellung. Übt man zu wenig Kantendruck aus, rutscht der Ski weg, und dann wird es anstrengend. Ein heißer Tipp: Im Stand in die V-Stellung gehen und X-Beine machen. So kantet man automatisch auf. Dann Druck auf die Innenkanten ausüben, und schon fährt man los. Zuerst erklärt mir Gerhard die Abstoß- und Gleittechnik. Erst in Standübungen, dann langsam fortbewegend üben wir den richtigen Move. Mit einem Bein in der klassischen Spur trainiere ich den richtigen Kanteneinsatz und Abstoß. Danach kommen die Arme hinzu. Mit schwingenden Bewegungen unterstützen sie das jeweilige Bein. Wir gleiten von einem zum anderen. Es ist gar nicht so einfach, die Balance zu halten auf den extrem leichten, schmalen und rutschigen Skiern. Aber Gerhard ist ein geduldiger Trainer, und bald hab ich’s drauf.
Bereit für Level 2: die Stöcke
Das sind die Stöcke. Die sind übrigens so lang, damit der Oberkörper aufrecht bleibt. Mit zu kurzen Stöcken macht man automatisch einen Hüftknick, und dann geht der Antrieb nach hinten ins Leere. Jetzt wird’s ein bisschen technisch. Beim Skaten macht man einen Doppelstockschub im 2:1er-Takt oder 1:1er-Takt. 2:1er ist mit Belastung auf jedem zweiten Schlittschuhschritt, 1:1er mit Belastung auf jedem Schlittschuhschritt. Den 1:1er verwendet man hauptsächlich beim Start- oder Zielsprint. „Beim 2:1, also Einstich nur bei jedem zweiten Schritt, immer auf derselben Seite, ist es wichtig, ab und an zu wechseln, sonst wird es zu einseitig“, erklärt Gerhard.
Meine erste Schussfahrt
So, die Technik hab ich intus, jetzt drehen wir eine Runde. Dabei komme ich ziemlich außer Atem, und genau das ist es, was die nächste Aufgabe so schwierig macht. Auch im Wettkampf kommen Athleten aus dem vollen Tempo zum Schießstand und müssen in die Konzentration übergehen. Nach einer kurzen Pause darf ich mich erst einmal in Ruhe mit dem Luftdruckgewehr und der Schießstation vertraut machen. Es gibt eine liegende Position für den Schuss und eine stehende. Die Zielscheiben sind zehn Meter entfernt, das Luftdruckgewehr hat vier Kilo. Wir beginnen mit der liegenden Position, dabei kann man das Gewehr mit dem Ellbogen am Boden gut stützen. Munition einlegen, ansetzen, linkes Auge zukneifen, fokussieren und … Schuss – Treffer!
Ich bin selbst überrascht. Nachladen, nächster Schuss. Fünf Patronen stehen zur Verfügung für fünf Zielscheiben. Wir skaten eine Runde, kommen zur Schießstation, legen uns auf den Bauch, nehmen das Gewehr, laden, setzen an und Schuss, Schuss, Schuss! „Wichtig ist, beim Schuss kurz den Atem anzuhalten, sonst verwackelt man“, rät Gerhard, „wenn man außer Atem und mit erhöhtem Pulsschlag zum Schießstand kommt.“ Zugegeben, das ist um einiges schwerer als zuvor die reine Schießübung.
Ein Sport, der ins Schwarze trifft
Doch es gibt noch eine Steigerung: das Schießen aus dem Stand. Hier steht man seitlich zu den Zielscheiben, kippt die Hüfte Richtung Zielscheiben, um den Ellbogen darauf zu stützen und das Gewehr zu stabilisieren. Viel schwieriger als liegend, aber ein paar Treffer kann ich erzielen. Meine Vermutung, dass ich das mit Anlauf nicht mehr schaffe, bestätigt sich leider. Mich packt sofort der Ehrgeiz, ich will diese Zielscheiben treffen. Gerhard lacht: „Das geht jedem so. Und das ist auch das Schöne an diesem Sport, die Herausforderung. Langlaufen allein macht auch Spaß, aber in Kombination mit dem Schießen wird es noch viel spannender und interessanter.“
Da muss ich ihm echt Recht geben! Gedanklich plane ich schon eine Challenge mit Freunden, und eins steht für mich nach diesem Tag fest: Die Biathlon-WM von 8. 2. bis 19. 2. in Hochfilzen werde ich im TV auf jeden Fall verfolgen. Dann weiß ich auch aus eigener Erfahrung, was die Sportler leisten!