„Wenn der Bauer im Wald arbeitete und die Bäuerin gekocht hat, wusste der Bauer natürlich nicht, wann Mittag war. Dann wurde der Glockenstuhl geläutet. Ein wichtiger Aspekt war natürlich auch der Feueralarm.“
Tiroler Tradition auf „höchstem Niveau“
Hoch oben auf den Dächern unserer Bauernhöfe thront der Glockenstuhl - ein Teil der Brixentaler Kulturlandschaft, der eine genauere Betrachtung wert ist...
Unsere Tiroler Landschaft ist geprägt von der Landwirtschaft. Sie nimmt nach wie vor einen großen Stellenwert ein. Allein bei uns im Brixental mit den drei Orten Brixen im Thale, Kirchberg und Westendorf gibt es 328 klassisch bewirtschaftete bäuerliche Betriebe. Und sie alle haben eines gemeinsam: die vorherrschende traditionelle Bauweise als Einhof. Dabei ist der Wohnteil des Erdgeschoßes gemauert, der restliche Teil des Hofes ein Holzblockbau, oder das gesamte Haus wird in Holzblockweise erbaut. Hoch oben auf dem Dach kann man weithin sichtbar den Glockenstuhl erkennen – ein markantes Merkmal unserer Brixentaler Höfe. Doch was hat es mit diesem Glockenstuhl denn genau auf sich?
Sieht nicht nur schön aus, sondern erfüllt(e) auch einen Zweck
Ich habe Christoph Rieser besucht – er ist gelernter Tischler, besuchte die Schnitzschule Elbigenalp im Tiroler Außerfern und stellt als Holzschnitzer für eine regionale Holzfirma unter anderem Glockenstühle her. Er konnte mir Aufschluss über deren Bedeutung geben:
Das Läuten des Glockenstuhles diente also ursprünglich als Nach-Hause-Ruf während der Wald- und Feldarbeit sowie als Alarmsignal im Notfall. Schon an der Art, wie die Glocke geläutet wurde, konnte man die unterschiedliche Symbolik erkennen. Im Zeitalter von Handy und Digitalisierung verliert ein Glockenstuhl dementsprechend seine Bedeutung, aber Christoph Rieser erklärte: „Wir stellen noch Glockenstühle her, weil uns wichtig ist, dass die Tradition erhalten bleibt.“
Von Armen und Hüten
Viele der Bauern und auch Zimmereien beziehen ihre Glockenstühle bei den regionalen Holzschnitzern, jedoch gibt es davon nur wenige, um den Bedarf zu decken, berichtete mir Christoph. Zur Herstellung eines Glockenstuhles benötigt man Fichtenholz und Lärchenholz. Das Fichtenholz ist weich und nicht sehr witterungsbeständig, im Gegensatz zum Lärchenholz. „Der Stamm wird aus Fichtenholz gemacht. Dieser ist geschützt vom Dach. Später kommen dann die Lärchenschindeln drauf. Dann kommt das Wichtigste – die Hochzeit sozusagen: Der Kupferne Hahn wird aufgesteckt. Dieser dreht sich mit dem Wind, dann weiß man, aus welcher Richtung das Wetter kommt.“
Beim Aufbau eines Glockenstuhles spricht man auch von „Armen“ und „Hüten“. Unter „Armen“ versteht man einerseits die vier Streben, die vom Stamm nach oben ragen – als „Hut“ andererseits wird das Dach bezeichnet, das auf die Arme aufgesetzt wird. Im Inneren des Glockenstuhles hängt natürlich noch die namengebende Glocke. Diese wird von einer regionalen Kunst- und Glockengießerei in Waidring hergestellt, von der man sagt, sie mache die schönsten Glocken weit und breit.
Qualität hat ihren Preis – und die Tradition ihren Wert
Wie lange dauert es wohl, bis so ein Glockenstuhl fertig hergestellt ist, frage ich mich. Würde ein geübter Handwerker einen Glockenstuhl am Stück anfertigen, benötigte er ungefähr 2-3 Arbeitstage. Ein Glockenstuhl ist den Witterungseinflüssen voll ausgesetzt und hält – neu aufgestellt und regelmäßig gepflegt und gestrichen – in etwa 15 bis 20 Jahre. Kleinere Schäden können saniert werden, bei größeren Beschädigungen sind Reparaturen sehr aufwändig und dementsprechend teuer. Dann empfiehlt sich ein Austausch. Und wie viel kostet so ein schönes Prachtstück? Ganz kleine Glockenstühle (zum Beispiel für den Garten) sind ab einem Preis von € 29,- erhältlich. Für ein großes, repräsentatives Exemplar für das Dach eines Bauernhofes muss man mit € 1.800,- (ohne Glocke) rechnen – und darf dafür ein weithin sichtbares Stück Tiroler Tradition sein stolzes Eigen nennen.
Auf Lokalaugenschein durch’s Brixental
Im Brixental findet man auf sehr vielen Bauernhöfen Glockenstühle. Bei einer Wanderung oder Radtour in bzw. Autofahrt durch unsere Orte kann man dort und da ganz besonders schöne entdecken. Wie zum Beispiel auf dem Bräuhof, der im Kirchberger Ortsteil Bockern (am westlichen Ende der Gemeinde) gut sichtbar direkt an Hauptstraße liegt – dort erstrahlt zurzeit ein neues Exemplar in vollem Glanz.
Selbst für mich als Einheimische eröffnete sich durch das Gespräch mit Christoph ein neuer Einblick in eine sehr alte Tradition, von der man zwar ständig umgeben ist, die man aber oft nicht mehr bewusst wahrnimmt. Nun betrachte ich unsere schönen Bauernhöfe und ihre Glockenstühle mit anderen Augen und erkenne wieder einmal, welche Kleinigkeiten unsere Region zu etwas ganz Besonderem machen.