Hoam g’fahrn werd!
Tradition trifft auf Massentourismus
Wenn Ende September die Almabtriebe im Brixental stattfinden, tummeln sich hunderte von Touristen und Schaulustige in den Straßen der Dörfer, um das bunte Spektakel zu bestaunen. Aufwendig geschmückte Kühe, bunte Almbuschen und fröhliche Feste begleiten die traditionsreichen Almabtriebe. Ich habe mir das Phänomen einmal etwas näher angesehen. Dabei bin ich auf viele interessante Details gestoßen, die ich euch nicht vorenthalten möchte.
Hoch oben lebt es sich gesünder!
Ungefähr 100 Tage verbringen die Kühe im Sommer auf den saftigen Almen des Brixentals. Entweder tief in den südlichen Seitentälern „Spertental“ oder „Windautal“, oder direkt an den oberen Berghängen des äußeren Brixentals. Die sanften Gebirgszüge der Kitzbüheler Alpen liefern fast bis auf 2.000 m Seehöhe grüne, gesunde Gras- und Kräuterlandschaften – ideales Weidegebiet für die Kühe im Sommer. Ich persönlich verbinde mit dieser Gegend immer das gleichmäßig, beruhigende Rauschen kleiner, glasklarer Gebirgsbäche, das die herrliche Stille auf den abgelegenen Almen unterbricht. Die Luft ist so klar und gesund, wie ich sie ansonsten nur selten irgendwo vorfinde. Genau aus diesen Gründen hat die Bergmilch von dort eine „schmeckbar“ noch bessere Qualität. Oder findet Ihr das nicht auch? Irgendwann wird das natürliche Futter auf den Almen aber weniger. Dieser Umstand stellt für die Almbauern den idealen und notwendigen Zeitpunkt dar, um das Vieh in talnähere Bereiche zu treiben. Manchmal verkürzt sogar erster Schneefall Anfang September die Zeit auf der Alm unfreiwillig. Zuerst finden die Kühe noch Futter auf den Niederalmen. Dann dürfen sie ganz nach Hause in ihre Ställe, wo sie überwintern.
Von Gemütlichkeit keine Spur auf der Alm!
Das Leben auf einer Alm ist hart und meist von viel Verzicht geprägt, das habe ich schon immer gewusst. Zwar hält das moderne Leben auch hier immer mehr Einzug, doch Handyverbindung, Internet oder genügend Strom ist heute immer noch nicht überall auf den Brixentaler Almen vorhanden. Hightech-Melkmaschinen sucht man meist vergeblich. Die Tage beginnen schon früh – oft vor 05:00 Uhr und enden erst spät am Abend. Klar bleiben zwischendurch einige ruhigere Minuten auf der Ofenbank zum Ausrasten (viele Öfen werden übrigens immer noch mit Holz beheizt). Arbeit gibt es trotzdem genügend.
Gerade in den zivilisationsfernen Gegenden der Tiroler Alpen kann das teils unwegsame Gelände durchaus recht gefährlich sein. Blitzschlag, Hagel und Schneefall (auch im Sommer nicht unüblich) tragen ihr übriges dazu bei. In der Höhe kann es oft noch ungemütlicher sein, als in den Tälern. Wer schon einmal ein Gewitter auf den Bergen erlebt hat, weiß, wovon ich spreche.
Und: Die Alm kennt kein Wochenende, keinen Feiertag und auch keine geregelten Tagesabläufe. Alles ist jeden Tag wie eine gut gefüllte Wundertüte – schon mit einem gewissen Tagesplan, aber trotzdem mit jeder Menge Überraschungen gespickt.
Bunt und laut - aber bodenständig
Wenn der Almsommer vorüber ist und keine schweren Unfälle den Sommer trübten, wird gemeinsam gefeiert. Almbauern, Familien, Bekannte und Verwandte der Bauern. Aus alter Tradition werden die Kühe für den Heimweg aufwendig und bunt geschmückt. Große und kleine Glocken lassen das ganze Tal hell erklingen. Ich liebe diesen tollen Klang - besonders Morgens, wenn die schläfrige Ruhe im Dorf nur durch das sanfte Klingeln kleiner Kuhglocken durchbrochen wird und die ersten, warmen Sonnenstrahlen über die taubedeckten Weiden scheinen.
Bereits mehrere Wochen vorher beginnen die umfangreichen Vorbereitungsarbeiten zu Hause in der gemütlichen Bauernstube. Viele hundert farbenfrohe „Almrosen“ aus Krepppapier müssen gebastelt werden. Pro „Buschen“ können da schon 50 bis 60 Roserl zusammen kommen. Bei Herdengrößen von 30-60 Kühen pro Bauer, kann man sich den immensen Aufwand ganz gut vorstellen. Die Buschen selbst, können aus kleinen Nadelbäumen, Latschenkiefern oder Wachholdersträuchern bestehen. Manchmal werden sie zusätzlich mit Almblumen geschmückt.
Befestigt wird der Schmuck an sogenannten „Larfen“, die die Kühe als Kopfschmuck tragen. Einige der Larfen sind mit wertvollen Stickereien verziert, andere zeigen Heilgenbilder. Auf wieder anderen, werden sogar Kreuze befestigt. Die Bauernfamilien bedanken sich damit beim heiligen St. Leonhard, dem Viehheiligen der Nutztiere, für den unfallfreien Sommer. Und dann fehlen da ja noch die "unverzichtbaren" Glocken.
Jede Kuh erhält ihre eigene Glocke. Die kleinen, hell klingenden Glöckchen werden „Speisglocke“ genannt. Die größeren Blech- oder Messingglocken sorgen für den bekannten, dumpfen Klang. Befestigt werden die, bis zu mehrere hundert Euro teuren Kuhglocken, an aufwendig verzierten und bestickten "Ranzen". Teilweise sind diese schon einige hundert Jahre im Familienbesitz und werden von Generation zu Generation weiter gegeben. Das größte und wertvollste Exemplar trägt die „Leitkuh“. Was ich bis vor Kurzem auch noch nicht wusste: Welche Kuh, welche Glocke tragen darf und in welcher groben Reihenfolge die Tiere nach Hause marschieren, unterliegt nämlich einer eigenen Rangordnung. Alles muss eben seine Ordnung haben.
Tradition, die gelebt wird
Die heutigen Mittel machen es den Bauern einfach, ihre Kühe von den Almen nach Hause zu bringen. Könnte man glauben. Denn: Nichts wäre leichter, als die Tiere auf den Anhänger zu verladen und mit dem Traktor nach Hause zu schleppen. Aber nein. Am letzten Tag des Almsommers heißt es: Zu Fuß gehen und die gesamte Herde über viele Kilometer zusammen halten. Teils mehr als 20 Kilometer marschieren Mensch und Tier an diesen Tagen. Das ist einfach Tradition. Da hilft die gesamte Familie fleißig mit. Oft auch Verwandte und Freunde als Treiber. Für mich wäre das definitiv nichts. Dafür habe ich zu viel Respekt vor den Tieren – wahrscheinlich aber auch deswegen, weil ich ansonsten nicht viel mit ihnen zu tun habe.
Bunte Feste und Touristen
Den tiefgründigen Brauch des Almabtriebs gibt es schon viele Jahrzehnte. Mit der Zunahme des Tourismus‘ im Brixental bestaunen immer mehr Urlaubsgäste dieses farbenprächtige Spektakel. Da bin ich natürlich immer mittendrin. Mittlerweile wurde aus den Almfesten ein fixer Bestandteil im Programm des Spätsommers. Tausende Gästebetten füllen sich rund um die Almabtriebe fast von selbst. Das bedeutet kräftige Einnahmen und Wohlstand für das Tal. Ganze Busgruppen und Tagesgäste besuchen das Brixental extra für dieses Spektakel. Ich finde das immer ein bisschen schräg, dass so ein – eigentlich einfaches – Phänomen, so große Massen von Menschen in Bewegung setzen und begeistern kann. Trotzdem bleibt es ein alter und schöner Brauch mit tiefen Wurzeln. Authentische, heimische Traditionen, die gelebt werden, üben eben eine große Anziehungskraft aus. Und irgendwie sollten wir auch froh sein, dass es die vielen Almabtriebe jedes Jahr gibt. Dann wissen wir, dass der Sommer gut verlaufen ist und nichts passiert ist.
Für alle, die die Almabtriebe im Brixental einmal live erleben wollen, habe ich kurz zusammen gefasst, wann und wo die besten Almfeste der Region statt finden.