Besuch beim Almliterat Sepp Kahn
Eine Wanderung, von der man was für‘s Leben mitnimmt.
Es gibt diese Tage, an denen man irgendwie was mitnimmt für sein Leben. Von Kirchberg aus fahre ich mit meinem Freund Reini früh los, nach Westendorf geht’s hinein ins Windautal. Beim „Steinberghaus“ erinnere ich mich an die guten Wienerschnitzel, als ich hier noch auf Schul-Skilager war. Leider ist es zu früh zum Einkehren, wo doch nun der „Brixentaler KochArt“-Chef Michael hier regionalbewusst aufkocht. Dem „Adlerweg“-Schild nach geht’s dann schon per pedes bergauf. Im Wald ist das Wegelchen sehr schmal, und das weckt ein wenig Abenteuer-Feeling in uns. Bald erste, goldgelbe Schimmer im Moos – Eierschwammerl-Alarm! Und schwupp, landet die Spezialität im Papiersackl. Auf halber Wanderhöhe hocken wir uns auf ein gemütliches Bankerl und genießen den Blick in die wundervollen, westlichen Kitzbüheler Alpen – ganz nach Friedrich Ludwig Jahn’s Lebensweisheit: „Bleib nicht auf ebnem Feld! Steig’ nicht so hoch hinaus! Am schönsten sieht die Welt von halber Höhe aus!“
Sepp trifft den Zeitgeist und Sehnsüchte
Doch es sollte uns noch Schöneres erwarten! Auch weiter ober fotografieren wir kleine Naturwunder von Flora & Fauna, dann hat‘s das steile „Sauwegl“ noch in sich. Und da! – der große Vogel! Ein Adler!? Zu spät die Kamera gezückt, aber so majestätisch wie der Raubvogel schwebt – wir sind uns recht sicher, dass es ein König der Alpen ist! Nach einem weiteren Waldstück erreichen wir eine große Lichtung. Das muss die „Untere Lärchenbergalm“ sein, und die drei Dächer von Almhütte und Stallungen müssen zum Bergdomizil vom Kahn Sepp gehören.
Ich wurde schon vor Langem auf den „Almliteraten“ aufmerksam, wählte ihn als Drehbuchautor 2001 als Gast für eine TV-Sendung, in der er Hansi Hinterseer ein schriftstellerisches Schmankerl preisgab. Nach der Ausstrahlung erkundigte sich der ZDF-Redakteur nach Sepps Kontaktdaten, denn ungewöhnlich viele, deutsche Zuseher wollten mehr über den bärtigen Bergmenschen erfahren. Klare Zeichen, dass der Osl-Bauer aus dem Örtchen Itter den Zeitgeist und Sehnsüchte der Menschen trifft. Diese Sehnsüchte hat er auch für sich selbst erkannt, und befriedigt.
Literarisch drückt er es etwa so aus:
Ein Banker sitzt auf einer Bank.
Ein Gesunder wird plötzlich krank.
Ein Musiker bekommt schlechte Noten.
Das sind keine guten Boten.
Ich jedoch, so Ende Mai,
pack zusammen allerlei.
Zieh auf die Alm. Mit Vergnügen.
Lass Sorg und Hektik unten liegen.
Betreue Kühe, Kälber, Ziegen, Sauen,
und kann dabei in den Himmel schauen.
Der Zauber der alljährlichen Sommerresidenz des Meisters nimmt uns sofort in Beschlag. Hier würde man gern mal für längere Zeit sein, schießt es einem durch den Kopf. Die beiden alten Holzbrunnen mit erfrischendem Nass stehen da wie ein freundliches Empfangskomitee. Dann schaut er zur Tür heraus, im grünen Shirt und grauen Jeans, der Mann, für den wir heraufgekraxelt sind. „Griaß ench!“, tönt es ein wenig zurückhaltend, nicht allzu laut, aus dem Munde, der vom Barte umgeben ist. Sepp weiß, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Ich stell ihm Reini vor. Sie verstehen sich gleich gut, denn mein Freund ist Tischler und Sepp liebt Holz und Schnitzen. „Mögts a Schnapsei?“ Klar! Gern! Das gehört heroben dazu zum vollkommenen Glück. Und schon rinnt der Selbstgebrannte wohlig unsere Kehlen hinunter!
Das Innere der Hütte fasziniert mich, und gleich zum Fotoapparat gegriffen. Am Tisch unsere Pfifferling-Beute schon in Sepps selbstgeschnitzter Holzschüssel, dazu die geleerten Schnapsgläser – Stilleben-Alarm, und KNIPS! Die Hacke im Hackstock vor den geschlichteten Scheiten, und KNIPS! An den Wänden bunte Kochtöpfe neben seinen selbstgefertigten Holzkunststücken, und KNIPS! „Im Wald such ich oft ganz bewusst was Nutzloses“, sagt der Alminger, „Und draus mach ich dann was Wertvolles!“ So zieren einstige Normalo-Äste und -Wurzeln nun seine Hütte als besondere Kunstwerke. Sie hängen zwischen geräucherten Hartwürsten und Speckstücken, wie auch eine Sammlung hölzerner, skurriler Kochwerkzeuge. „Im Leben entspricht auch nicht immer alles der Norm, und doch kann es wertvoll sein“, meint der Philosoph. Er ist der Norm ja auch entflohen, hierher auf die Einsamkeit der Alm. Sepp findet interessant, dass ältere Bauern ihm rieten, die Alm zu vergrößern, während die Jungen wieder vermehrt das Schlichte, Einfache zu schätzen wissen! Da ist also was im Gang! „Ich leb hier heroben bewusst rückständig“, sagt er. „Der Mensch muss wieder einen Schritt zurückmachen, wenn er weiterkommen will!“ All diese Gedanken sind ihm hier heroben gekommen, wo er auch sein längst kultiges „Almtagebuch“ schrieb. Darin ist etwa zum Thema EU zu lesen: „Wenn in Brüssel ein ‚Höherer‘ den Mund aufmacht, dann sagen unsere Vertreter schon alle – Ja! Später erfahren sie dann vielleicht, was er gesagt hat“.
Es gibt Leute, die haben Geld, aber keinen Käse
Egal, wie sehr der Milchpreis gerade in die Knie gezwungen wird, der Aussteiger setzt nun zur nächsten Etappe des Kasens, also der Käseherstellung, sein Kapperl auf, schöpft mit der Kelle aus dem großen Kupferkessel die Molke ab, deckt das weißgelbe Gold ab, putzt den Kessel und öffnet die Tür zum Kühlschrank. Der braucht keine eigene Kühlanlage, denn die jahrzehntealten Steinmauern liefern die beste Temperatur, damit die gut 80 Leib Käse ideal dahinreifen können.
Verkauft er die hier oben auch an Wanderer? „Ja“, scherzt Sepp, „Es gibt Leute, die haben Geld, aber keinen Käse. Und ich habe Käse!“. In unser Gelächter mischt sich beim Geruch des Käses das Knurren meines Magens. „Aha, hast an Hunger. Mögts a Miasl?“ Gern! Sepp macht im alten Eisenherd Feuer, gönnt uns und sich ein Rahm-Miasl, also ein Mus aus Mehl und Rahm. Der Maitre de la Cuisine rührt alles in der Pfanne an und stellt die mit Preiselbeermarmelade versehene Gottesgabe in einer Schüssel in die Tischmitte. Mit Löffeln fischen wir unsere Maulgaben heraus und trinken frischgezapfte Milch, nicht fassgezapft, sondern direkt von den Eutern der Kühe. Seine Viecher sind auch gleich die nächsten, die Sepp zu betreuen hat. Persönliche Ansprache und Streicheleinheiten erwarten und bekommen die Kühe und Geißen. Auch die rosa Ferkel freuen sie über die Visite des Chefs, und grunzen ihm auffordernd zu, er möge doch gefälligst das gerade unausgefüllte Leben des Futtertrogs anreichern.
Reini erkundigt sich nach der umliegenden Bergwelt, als vier Mountainbiker in ihren Kampfanzügen bergauf strampeln und das Keuchen, das ihnen Erleichterung verschaffen würde, möglichst unterdrücken. Auch sie juckt es offenbar, von Sepp verwöhnt zu werden. „Griaß Ench!“ Sepp liest ihren Schweißperlen auf der Stirn ab, woran das Hirn darunter gerade denkt. „Habts an Durscht?“. Und schon hocken sie mit ihren schnittigen Sonnenbrillen und voll durchtrainierten Radler-Waden sowie dem „Milchglas“ in der Hand an der schattigen Hüttenwand. Auf meinen Wunsch hin, gibt der Dichter sein Gedicht „Radlfahrn“ zum Besten. Und als er aus der Perspektive eines Mountainbikers dessen Tour de farce schildert, hat Sepp die Lacher gepachtet:
„… Dern Moment, du heiliger Hümmi, fahscht neben dir so a Trümmi a Radl vi, und wer huckt drof? S’Leiwei vorn oichi aweach off, a Weiwaleit, tuat an Deiter, und fahscht gneatig weiter. Ma, de Figur, die Formen - ma gwascht an Schub, an ganz enormen, Kraft schiasst wieda a die Wadln, direkt an Hupf tuats Radl, ma weascht der Feschn gneatig iatza nachipreschn. Die Mattheit is total verschwunden, weicht einer Euphorie sehr bunten, tuat die Phantasie beflügeln, man muass die Gedanken eisern zügeln, sich aufs Radl konzentriern, die letzten Kräfte mobilisiern ...“.
Über Kühe, Gras, Gott und die Welt diskutieren
Längst hat sich in uns die gar nicht unerträgliche, almerische Leichtigkeit des Seins breit gemacht, das Miasl im Bauch drückt uns in der warmen Wiese auf den Rücken, und die Katze wirft den schnurrenden Motor an, als sie von uns sanft gekrault wird. Wir sind schon von der Schatt- auf die Sonnseite der Hütte gesiedelt, und am Tisch passiert, was hier oft angesagt ist: Kartenspielen. „Ladinern“ genau gesagt. Nun kommt, was Sepp im Almtagebuch so beschreibt: „Trotz erbitterter Gegenwehr unserer Gegner gelingt es uns, zuletzt einen Euro zu gewinnen. Nebenbei wird natürlich auch diskutiert – über Kühe, Gras, Gott und die Welt“. Sepp verrät uns: „I bin immer oafach geblieben. So hab i immer gnuag. Zufriedenheit ist das Wichtigste im Leben“.
Angereichert mit derart wertvollen Erkenntnissen wird es schließlich Zeit, „Pfiati, Sepp!“ zu sagen, und wir müssen den Almliteraten in seinem Paradies zurücklassen. Während sich beim Abmarsch in uns auch Abschiedswehmut ausbreitet, notiert Sepp vielleicht im Tagebuch: „Tischler-Reini und Schreiber-Edi waren da. Ham die Ruhe genossen. Miassn aber no vü lernen. Sonst würdens ja a den ganzn Sommer über da herobn bleibn“.
Buchtipp: „Almtagebuch“ von Sepp Kahn, Berenkamp Verlag 2003
Und aktuell: „Ein Bauer auf Kur“, Berenkamp Verlag 2014
TEXT: EDUARD EHRLICH
FOTOS: EDUARD EHRLICH
ERSCHEINUNGSDATUM: MAI 2014