Sugar, Sugar, Baby ...

Wir blättern im Fotoalbum des Café Rainer in St. Johann in Tirol.

Cafe Rainer (c) Foto Hahn

Wenn man heute in St. Johann beim Café Rainer vorbei spaziert, fühlt man sich auf jeden Fall angezogen von den süßen Verführungen, die in der Vitrine locken. Das Café ist als Konditorei eine Institution. Die älteren Semester unter uns verbinden „das Rainer“ aber auch mit unvergesslichen Partys in den 50er, 60er und 70er Jahren, vor allem mit den 5-Uhr-Tee-Partys. Wir schauen uns einige Fotos an und blicken zurück.

Winfried Rainer hat sie als Kind selbst miterlebt, die heißen Partys. Jeden Tag spielten Livebands im Tanzcafé Rainer, meistens 4 bis 5 Mann. Natürlich stand vor allem Rock’n’Roll auf dem Programm, Peter Kraus war gerade der Mann der Stunde. Sugar, Sugar Baby, oh oh. Die Frauen trugen ihre Haare zu Türmen toupiert, die Petticoats schwangen, die Herren glänzten in Lackschuhen und mit Gel in den Haaren. Die Stimmung war ausgelassen, fröhlich, unbeschwert. Wie auch nicht? Das Wirtschaftswunder winkte und mit ihm eine goldene Zukunft. Man wusste: Es wird alles gut.

Dass es so gut lief im Café Rainer war aber eigentlich auch ein kleines Wunder. Denn Tanzcafés in dieser Größenordnung waren damals in den 50ern äußerst selten anzutreffen. Genau genommen war das Rainer mit einem weiteren in Wien sogar das einzige Tanzcafé in ganz Österreich. Es war also gar nicht so überraschend, dass sich hier alles traf, was Rang und Namen bzw. Petticoat und Tanzschuhe hatte. Unter die vielen Gäste mischten sich auch bekannte Namen wie zum Beispiel Johannes Heesters.

Das Tanzcafé prägt

Doch wie kam es eigentlich dazu, dass das kleine St. Johann in Tirol ganz groß auftanzte? Karl Rainer selbst war es, der die Idee dazu gebar und das bestehende Café des Vaters Franz Rainer groß umbaute. Es war nicht der einzige Streich des großen Visionärs, dessen Vermächtnis noch heute das touristische St. Johann prägt. Winfried Rainer erinnert sich: „Wia damals die Baugrube aus‘kobn worden is, sand die Leut’ zusammengelaufen, um zu schauen. A so a große Baustelle, und nu dazua für a Tanzcafé?“ Man schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich sagte es niemand laut, aber so mancher hielt Karl Rainer insgeheim wohl für verrückt. Andere, die ihn besser kannten, wussten: Wenn der Rainer das anpackt, dann hat es Hand und Fuß. Das Tanzcafé prägte ganze Jahrzehnte in St. Johann. So außergewöhnlich war die ganze Sache, dass die Prüfer schließlich Winfried Rainer bei der Konditoren-Gesellenprüfung in Innsbruck nicht nach Kuchenrezepten und Tortenglasuren fragten, sondern: „Was macht‘s ihr da unten eigentlich? Den ganzen Tag tanzen, oder was?“

Man möchte meinen, ein solches Projekt am Laufen zu halten, wäre genug Arbeit. Nicht so für Karl Rainer. Als Tourismusobmann setzte er gemeinsam mit seinen Freunden und Mitgliedern des „Fremdenverkehrsverbandes“ noch viele weitere Ideen um. So auch den Volkslanglauf Koasalauf. Den hatte er sich vom Wasalauf abgeschaut, an dem er gleich dreimal teilgenommen hatte. „Was die können, das können wir auch“, war er der Überzeugung, und schon beim ersten Lauf 1973 konnte er über 700 Läufer zählen. Auch der Knödeltisch oder der Radweltcup gehen auf die Ära von Karl Rainer, seiner Kollegen und Mitarbeiter zurück. Gemeinsam legten Sie die Weichen für die touristische Zukunft der Gemeinde.

Die Sache mit den Mokassins

Winfried Rainer bewunderte den Vater. Aber wie heißt es in einem Indianersprichwort: „Versuche nie, in die Mokassins eines großen Mannes zu steigen.“ Also machte er sich auf, um seinen eigenen Weg zu gehen. Auf großen Kreuzfahrtschiffen heuerte er als Kellner an und sah sich die Welt an, einige Jahre verbrachte er in Australien. Als er mit 35 Jahren zurückkam, stand er dem Vater in der Backstube zur Seite. „Des wår a schene Zeit“, denkt er gerne zurück. Dass er nach und nach den Betrieb vom Vater übernahm, war keine große Sache, blieb von vielen unbemerkt.

Die Zeiten änderten sich. Die 5-Uhr-Tee-Partys wurden zwar noch bis in die 90er Jahre fortgesetzt, doch waren es nicht mehr rauschenden Feste wie früher. Après Ski kam in Mode. Gleich mit der Skibekleidung in die Bar, und nicht mehr zuerst ins Tanzgewand schlüpfen. Pistenkilometer und Höhenmeter sammeln, und nicht mehr die Füße wund tanzen. Alles hat seine Zeit.

30 Jahre lang widmete Karl Rainer vieles von seiner Energie dem Tourismus in St. Johann – in den verschiedensten Funktionen. Lange noch, nachdem er sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte, verfolgte er mit Interesse das Geschehen und hatte stets eine Meinung dazu. Vor allem eine, die im Ort immer noch Gewicht hatte. Karl Rainer verstarb im Jahr 2000. Doch sein Geist weht noch überall in St. Johann. Und das Café mit haus-eigener Konditorei ist noch heute unter Winfried Rainer ein Magnet für alle Naschkatzen.

Die gute alte Zeit. Sie war natürlich nicht immer gut, auch wenn die alten Fotos uns eine heile Welt vorgaukeln. Nicht alles war gut. Aber schön wäre es, wenn wir das Gute hätten mitnehmen können in die heutige Zeit. Dann würden wir um 5 Uhr tanzen...

TEXT: DORIS MARTINZ
FOTOS: ARCHIV CAFE RAINER, FOTO HAHN
ERSCHEINUNGSDATUM: SOMMER 2015

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Doris Martinz

01.07.2015 - 00:00

Ich liebe es, für meine Geschichten den Menschen ins Herz zu schauen! Mehr Details

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