Der Wildseeloder
Der "Loder" wie der Fieberbrunner Hausberg bei den Einheimischen genannt wird, erzählt aus seinem Leben...
Ich bin ein alter Loder, könnte man sagen, und ein fescher dazu, denn ich steh noch gut her mit meinen breiten Schultern und dem aufrecht gen Himmel zeigenden Gipfelspitz in der Mitte.
Auf meine imposante Erscheinung bin ich direkt a bisserl stolz, denn sie ist es, die die Freunde und Verehrer der Bergwelt immer schon angezogen hat. Das erging, wie ich aus sicherer Quelle weiß, schon den ersten Gästen so, die mich entdeckten, als 1875 die Giselabahn durchs Tal da unten zu rattern begann. Und mein Wildsee, ja der hat ihnen immer besonders gefallen. Dieses Kleinod, in dem der Sage nach die übermütigen Senner und Sennerinnen samt ihren Sennhütten versunken sind, nachdem sie gottlose Kegel-Spiele mit Käseleibern und Butterkugeln und wer weiß, was sonst noch, getrieben hatten. Was soll ich dazu sagen? Ist derlei Sagen-Gut nicht da, um von Generation zu Generation weiter gegeben zu werden?
Ich schweige darum, denn ich habe auch sonst noch genug zu erzählen von denen, die im Lauf der Zeit zu mir heraufgestiegen sind.
Ich nehme an, damit sie es bei jedem Wetter aushalten bei mir, die zerbrechlichen Menschlein, haben sie sich dieses schöne Alpenvereins-Schutzhaus gebaut. Seit 1892 steht es nun schon da, und seitdem schleppten sie mit unermüdlichem Fleiß immer noch besseres Mobilar und Inventar herauf, installierten Heizung und fließend Wasser und haben so lange angebaut und umgebaut und ausgebaut, bis das Haus genauso gut her stand wie ich, mit breiten Schultern und einem gen Himmel zeigenden Spitz in der Mitte.
Trotzdem wanderten sie in den ersten Jahren nach Fertigstellung des Hauses ausschließlich im Sommer herauf. Aber das sollte sich schon im Winter 1903/1904 ändern, als plötzlich ein paar Münchner, und kurz darauf einige Kaiserjäger-Soldaten da heroben standen. Und zwar, wohl wegen des Schnees, mit langen Brettern unter den Füßen!
Da staunte sogar ein alter Loder wie ich nicht schlecht, und das umso mehr, als sie anschließend auf ihren Brettern über meine Schnee bedeckten Flanken hinab sausten.
Das neue Wildseeloderhaus - breite Schultern und ein Spitz in der Mitte
An der Sache musste etwas dran sein, denn bald kamen immer mehr. Allerdings folgte jeder Abfahrt ein mühevoller Aufstieg, und der wollte ihnen nicht so recht schmecken, das konnte ich ihnen schon von Weitem ansehen. Aber – ich hätte es wissen müssen – sie fanden für dieses Problem eine Lösung, der ein gerüttelt Maß an Einfallsreichtum nicht abzusprechen ist: sie rammten vom Tal bis zu Streuböden, und weiter bis hinauf zum Lärchfilzkogel, riesige Stahlmasten in den Fels, an denen Rollen befestigt sind, über die wiederum ein langes Seil läuft. Dann hängten sie kleine Körbchen daran, setzten sich hinein und fuhren, ohne eine einzige Schweißperle zu vergießen, bergan.
Von nun an war es sommers wie winters nur noch halb so weit bis zum Schutzhaus und zu meinem wunderschönen Wildsee, und das sprach sich augenscheinlich herum unter ihresgleichen, denn schon bald stürmten sie mich in Massen und der Wirt des Schutzhauses dürfte sehr erleichtert gewesen sein, als man ihm eine Materialseilbahn errichtete.
Manchmal passieren auch schreckliche Dinge da heroben, und es ist nicht leicht, tatenlos zuzuschauen, wenn etwa dem ersten Hüttenwirt die Frau bei der Geburt ihres Kindes auf der Hütte stirbt. Der arme Mann errichtete zu ihrem Gedenken später die kleine Kapelle gegenüber dem Schutzhaus, ihr kennt sie bestimmt, wenn ihr schon einmal bei mir hier oben wart.
Oder wenn der Kuhbursche beim Edelweißpflücken abstürzt. Aber er ist noch nicht tot, nein, der arme Heita liegt da mit gebrochenen Füßen, schwer verletzt und von Schmerzen gepeinigt. Dass er seinen Schurz noch auszog, um einen Fuß zu umwickeln, rettete ihn nicht. Seine Kräfte schwanden, es ging dem Ende zu. Als Schäfer und Hüttenwirt auftauchten, um ihn zu bergen, da war sein irdisches Leiden bereits vorbei.
Selbst das Vieh würde ich gern vor Unglück bewahren, das auf meinen Almböden weidet und die Sommer mit dem Gebimmel ihrer Glocken erfüllt. Denn die warme Jahreszeit kann bei mir saukalt sein. Und wenn so ein Gewitter auf uns alle nieder peitscht, dann würde ich vor allem meinen Loder-Schafen gern zurufen: steigt ab vom Grat, duckt euch weiter unten zusammen! Aber im nächsten Augenblick fährt schon der Blitz drein, wie ich es befürchtet habe, und jedes Tier wird in einen anderen Graben hinab geschleudert.
Und dabei brauche ich doch die Schafe, ja, ich bräuchte viel mehr von ihnen, so wie früher, als sie noch zahlreich vertreten waren und mir halfen, die Abhänge vor dem Abrutschen und dem Zuwachsen zu bewahren.
Aber ein alter Loder wie ich hat nichts zu entscheiden. Er wartet, was als nächstes kommt, und es kommt bestimmt eppas. Die Menschen sind einfallsreich, das habe ich gelernt. Sie fahren heutzutage mit auf Schotter und auf Schnee gleichermaßen vorwärts strebenden Fahrzeugen bis weit herauf oder strampeln aus eigener Kraft auf Zweirädern, wenngleich mir in der allerletzten Zeit scheinen will, dass es mit der „eigenen Kraft“ nicht bei allen gleich weit her ist ...
Sie hängen sich an Stahlseile an und kraxeln über den nackten Fels. Und einige kommen sogar in fliegenden Blechkugeln daher, mit denen sie knatternd mein Gipfelkreuz umschwirren.
Es könnt einem glatt schwindlig werden, wäre man nicht so ein g’standener Loder wie ich, oder, wie mich die Menschen neuerdings nennen: ein Alleskönner.
TEXT: Dr. Jutta Siropaes / FOTOS: Gemeindearchiv Fieberbrunn, Toni Niederwieser, A. Egger
ERSCHEINUNGSDATUM: Mai 2016
Jutta Siorpaes arbeitet als freie Journalistin, Romanautorin und Songtexterin, u.a. für Heino. Ihr neuer Kriminalroman erscheint im Juni 2017. Mehr Details
Wolfhart Fritsche
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Sehr geehrte Redaktion! Ich habe zufällig die Sage vom Wildseeloder hier gelesen. Das war sehr beindruckt für mich. Ich bin in St. Johann/Tirol aufgewachsen und die Schulausflüge haben wir auch auf dem Wildseeloder gemacht. Auch die Familien- sowie mit dem Alpenverein Sektion Wilder Kaiser gemacht. Im Sommer zur Abfrischung sprangen wir als Kinder auch in den See. Das hat uns nichts aus gemacht. Seid 1971 wohne ich hier in Witten bei Dortmund.leider komme ich nicht mehr sooft nach St.Johann ,weil meine Eltern nicht mehr leben.Aber die Erinnerungen vom Wildeseeloder bleiben. Euer Wolfhart Fritsche aus Witten
Katharina Mayrhuber
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Was für eine spannende Erzählung, vielen Dank. Wir hatten eine wunderschöne Wanderung hinauf zum Wildsee und zum „Loder“.
johann schauberger
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ich kann dazu auch ein kleines erlebniss beisteuern.1966 wollten meine 2 freunde ind ich bei viel schnee unbedingt zum loder.von fieberbrunn ging ess mit steigfellen an der skiern und einen gut gepackten rucksack inklusieve lawinenschnur und ersatzspitze los.meine frau hat ess gut gemeint und mir eine grosse thermosflasche mit starken kaffee eingepackt,aber leider die zugebe zu demselben etwas grosszügig bemessen.als wir völlig ausgepumt den see erreichten haben wir uns auf gebeugte latschen gesetzt marend gemacht.durch die erschöpfung und den alkohohl bin ich plötzlich komplett weggetreten.ich hatte blackout in voller länge.wie mich meine freunde über den see zur henn und zur abfahrt gebracht haben weiss ich nicht.meine errinnerung hat erst wieder eingesetzt als ich mit den schiern bei einem durch schneelast umgebogenen baum eingefädelt habe und voll mit ter go.......im schnee lag.das war lange im freundeskreis ein gfeanstes gespräch und es gibt sogar noch einen 8mm schmalfilm.heute schaue ich mir den tollen berg lieber von unten an .hans