Monika Steiner zeigt uns ihr Kirchdorf
Kirchdorf setzt sich aus den drei Fraktionen Kirchdorf, Erpfendorf und Gasteig zusammen. Daraus ergibt sich so manches Spannungsfeld, aber auch Vielfalt, die allen nützt.
Kirchdorf in Tirol. Oder besser „Kischdorf“, wie die Einheimischen sagen. Ein kleiner Ort in der Nähe von St. Johann in Tirol, das man besser kennt, weil da mehr los ist. Flächenmäßig ist Kirchdorf allerdings die zweitgrößte Gemeinde im Bezirk. Und ganz so ruhig ist es hier gar nicht, wenn man ein wenig genauer hinsieht und hinhört. Wenn man mit den richtigen Leuten redet, wie zum Beispiel mit der Monika Steiner. Die Monika ist eine geborene Kirchdorferin, die jüngste von sechs Kindern und stammt vom Aignerbauern in Weng. Sie kennt ihr Dorf, sie kennt die Leut‘ und schaut ihnen so manches Mal in die Seelen. Und dann macht sie ein Gedicht draus – wie es die Mama, Therese Wörgötter, schon immer getan hat. Oder sie schreibt Theaterstücke, die längst nicht mehr nur in Kirchdorf aufgeführt werden. Eines feierte sogar in Deutschland Premiere. Regisseurin ist sie auch, bei fremden und bei ihren eigenen Stücken, die im Ort gespielt werden. Wie sie das gelernt hat? „Mei, i glab, des håt ma oder ma håts net. I hu scho an Kurs b‘suacht, bei dem i vui glernt hu, åwa eigentlich gehts bei da Regie darum, dass ma a guate Vorstellungskråft håt.“ Aha, so einfach ist es also, ein Regisseur zu sein. Aber wohl nur für die, die ein unglaubliches Talent dafür mitbringen.
Eine Familie, zwei Häuser
Monika Steiner ist in Kirchdorf verwurzelt, sie kann sich nicht vorstellen, für immer woanders zu wohnen. Zeitweilig aber ist sie sehr wohl weg – wenn die ganze Familie nach Osttirol fährt, ins Haus ihres Mannes. Das ist so eine eigene Geschichte.
Denn das Haus in Kirchdorf, in dem die Steiners – Monika, ihr Mann Markus, die Kinder Kilian (6), Simon (bald 4) und Theresa (2) wohnen, hat Monika ursprünglich allein gebaut. Sie hatte damals keinen Mann, aber einen Grund. Und das war allemal Grund genug, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und den Traum vom eigenen Zuhause wahr zu machen. Zum Deckenverputzen kam dann so ein fescher Osttiroler Maurer, der nicht nur am Bau, sondern auch bei Monika alles dingfest machte. Allerdings hatte auch er schon gebaut – in Matrei. Da es hier mehr Arbeit für einen Maurer gibt, wohnt die Familie in Kirchdorf. An den Wochenenden jedoch übersiedelt man oft mit Sack und Pack, um drüben im Haus nach dem Rechten zu sehen und den Schwiegereltern auf ihrem Bergbauernhof zu helfen.
Kirchdorf ist „gedrittelt“
Ganz weg von Kirchdorf will niemand. Dafür lebt es sich hier zu gut. „Wer die Ruhe suacht, der is‘ in Kischdorf gånz richtig“, weiß Monika, „Kischdorf ist des ideale Wohndorf.“ Und was ist das Besondere, das den kleinen Ort ausmacht? Da muss Monika nicht lange überlegen: „Kischdorf is‘ gedrittelt. In die drei Fraktionen Kirchdorf, Erpfendorf und Gasteig. Des Fraktionsdenken bestimmt oft amoi des „Miteinander“. Und des is natürlich nit oiwei guat für die Gemeinde und fi de Menschen.“
Tatsächlich setzt sich Kirchdorf mit seinen insgesamt fast 4.000 Einwohnern aus diesen drei Ortsteilen zusammen, wobei sich die größeren – Kirchdorf und Erpfendorf – immer wieder im Wettstreit messen. Denn beide haben eine eigene Musikkapelle, eine eigene Kirche, eine Feuerwehr, einen Fußballplatz, einen Nahversorger, eine Volksschule und so weiter. Nur den Bürgermeister, den müssen sie sich teilen. „Åwa des funktioniert eh gånz gut“, weiß Monika. „Da Schwaiger Ernst versuacht, zåmmenzhoitn, wås oiwei wieda auseinånder strebt.“ Überhaupt sei mit der Gemeindeführung gut auszukommen, so Monika. „Ma muass sich hålt einsetzen, wenn man wås wui“. So hat sie beispielsweise eine Unterschriftenaktion für einen öffentl. Kinderspielplatz gestartet, und eine Lösung war bald gefunden. „Es is oiwei Bereitschåft då, Ideen aufz‘greifen und umz‘setzen, des passt scho. Ma muass sich hålt selbst a kümmern.“
Kirchturm-Denken und Zusammenhalt
Tja, und der Wettstreit zwischen den Ortsteilen, der belebt ja auch. Wer hat die bessere Musikkapelle, wer die schnellere Feuerwehr, wer die netteren Lehrer, wer die schönere Kirche? Erpfendorf bekam in den 50er Jahren eine Clemens-Holzmeister-Kirche. Die Geschichte der Pfarrkirche in Kirchdorf geht auf das Jahr 1200 zurück, sie ist eine der ältesten in der Region und gab dem Ort seinen Namen. Ein Vergleich ist also nicht wirklich sinnvoll, die Bauwerke sind einfach verschieden. „Åwa då weascht debattiert und gstichelt. Dabei teiln ma uns jå a oan Pfårrer. So geht’s bei ins efta zua. Kindisch“, weiß Monika. Zugleich jedoch schränkt sie ein: „Åwa wenns guit, nå helfen ålle zåmm.“ Und außerdem liegt man irgendwann ohnehin vereint Seite an Seite – spätestens am Kirchdorfer Waldfriedhof, einem idyllischen Plätzchen. Denn Friedhof gibt es nur einen. Darüber spricht sie auch in ihrem Gedicht „Kirchdorf - Erpfendorf“.
Wir sind bei Monika zuhause, sie hält ihre kleine Tochter am Arm, spitzbübisch glänzende Augen und rot-blonde Locken, nein, nicht wie die Mama, wohl eher der Papa. ….., der Bruder, ist bei einem Großcousin zum Spielen eingeladen und der Große in der Schule. „A gånz noia Lebensåbschnitt, fia ins ålle“, ist sie sich bewusst. Und einer, der für Auslastung sorgt. Der kleine Schreibtisch im Wohnzimmer ist vom Nachwuchs als Spielburg erobert worden. „Momentan hu i fåst koa Zeit zum Schreiben,“ erzählt Monika. Aber traurig macht sie das nicht. Sie hat ja noch die Gemeindezeitung, „Kirchdorf aktiv“, deren Redaktionsmitglied sie ist. Und bei der Heimatbühne ist sie auch weiterhin aktiv. „Kråd für de Kinder då sein, går nix ånders toa, des ku i ma går nit vistoin. A bissl wås muass i oiwei schreiben.“ Ganz klar, die Dorfbewohner liefern ja auch immer jede Menge Stoff. Es sind die zwischenmenschlichen Beziehungen, aus denen Monika ihre Inspiration bezieht.
Starke Vereine
Eigentlich sind die Kirchdorfer ein ganz verträglicher Menschenschlag. Und viele von ihnen sind Mitglied in einem der vielen Vereine der Gemeinde. Bei den „klassischen“ sowieso, aber da gibt es auch den Trabrennverein, die Plattenwerfer, den Bergschafzuchtverein, den Bienenzuchtverein oder Tischtennisverein, etc. Und wenn die Vereine ein Fest ausrichten, zum Beispiel das Dorffest, dann gehen auch alle hin. Denn das Ehrenamt, das wird sehr geschätzt. Nur die „Zuagroastn“, bei denen ist es schwieriger. „De meisten integriern sich oft erst nå, wenn die Kinder in die Schui kemman. Oder låssen sich går nit blicken. Des is scho a bissl schåd, weil mia Kischdorfer jå vom Zuzug profitieren, sist tat ma amend aussterbn“, meint die 38jährige.
Wenn allerdings kein Fest ansteht, dann ist es auch im Dorfkern rund um die Kirche ziemlich ruhig. „Bei uns kunnst nåckert durchs Dorf laffn, es tat di neamb sechn, sågns oiwei“, erzählt Monika. Aber so schlimm sei es dann auch wieder nicht, und die Ruhe habe ja auch etwas für sich. Dass Gasthöfe im Dorfzentrum und sogar die Dorfdiscos zugemacht haben, findet sie aber schon schade. Die Vereine wissen so manchmal gar nicht, wohin sie nach einer Veranstaltung, zum Beispiel nach einer Prozession, gehen sollen. Die großen Hotels sind alle außerhalb des Dorfkernes zu finden. Der Bau des neuen Dorfsaals hat sich deshalb sehr bezahlt gemacht. Hier werden auch Monikas Stücke mit der Heimatbühne aufgeführt.
Nun soll auch ein neues Bildungszentrum gebaut werden. Erpfendorf und Gasteig haben zwar jeweils eine eigene Volksschule, zum Sportunterricht müssen die Erpfendorfer aber in den Turnsaal nach Kirchdorf gebracht werden. Im neuen Bildungszentrum sollen alle optimale Bedingungen vorfinden. „Åwa des is nit so oafåch. De Erpfendorfer woin de Schui nit aufgebn, då steck ma wieder amoi mitten drin im Fraktionskåmpf.“ Der ist aber wohl vergessen, wenn man sich gemeinsam über die berühmten Töchter und Söhne des Ortes freut. Regina Sterz, die erfolgreiche Skirennläuferin aus Erpfendorf, macht alle stolz und vereint die Fraktionen beim Daumenhalten. Die Alten und die Jungen.
Und die Jugend?
Für die Kinder und vor allem für die Jugendlichen sei es aber nicht ganz so einfach in Kirchdorf. „Fia de Junga, då is‘ bei ins scho a bissl sehr ruhig“, meint Monika. Zwar gebe es im Sommer das Schwimmbad und im Winter für die ganz Kleinen den Schilift, aber keine Jungschar oder sonstige Aktivitäten, die gezielt die Jugend ansprechen würden. Wer nicht zur Feuerwehr, zu den Wintersteller Schützen oder in den Fußballverein will, hat nicht sehr viele Alternativen.
Aber wer weiß? Vielleicht startet die Monika wieder einmal eine Unterschriftenaktion? Sie ist keine, die jammert. Sie tut etwas. Momentan halten sie ihre Kinder auf Trab, da ist immer was los. „Då hinten“, zeigt sie auf ein Eck zwischen Küche und Wohnzimmer, „då woit i an schen, großen Schreibtisch einrichten. Åwa es is går nit so weit kemma. Då håmb mia glei beim Einziachn de Wickelkommode hingstellt.“ Tja, das Leben übernimmt eben gerne selbst die Regie.
TEXT: DORIS MARTINZ
FOTOS: GERHARD GROGER
ERSCHEINUNGSDATUM: HERBST 2013