Die Piefke-Saga ist wieder da!
Zurück in die Zukunft! Und ob Brixentaler und Deutsche wirklich so sind, wie auf der Volksbühne Westendorf!?
„Die Piefke-Saga“, die satirisch-komische Fernsehfilmreihe des in Kirchberg aufgewachsenen Starautors Felix Mitterer, ist vielen von uns noch in Erinnerung. Sie erzählt vom Aufeinanderprallen einer reichen Berliner Urlauberfamilie mit Tirolern. „Das passert für uns a“, dachte die Westendorfer Schuster-Tochter und Regisseurin Annemarie Plieseis, „weil wir ja mittendrin aufgewachsen sind“. So stellt sie aus dem Stoff ein Stück für die Volksbühne Westendorf zusammen, hört aber bald auch: „Um Gottes Willen, das können wir nit spielen! Wir mögen unsere deitschen Gäst ja so!“ Und schon war wieder alles so wie damals.
Annemarie findet es legitim, auch mal was Kritischeres auf die Bühne zu bringen. Und so packen sie den Stier an den Hörnern, und die Aufführung wird zum brandschnell ausverkauften Publikumshit, in dem die Brixentaler Akteure sowohl die Tiroler als auch die Deutschen grandios und völlig glaubhaft darstellen. Die Idealbesetzung des Tiroler Bürgermeisters und Hoteliers ist für Annemarie der gebürtige Aschauer Engelbert ‚Engei‘ Nöckler, ein Parade-Haudegen hiesiger Amateur-Volksschauspielkunst. Er erinnert sich noch gut an die Zeit, als es hieß: „D’Frempn(*) kommen!” (* Übersetzung im Anhang).
Klein-Engei erblickt 1953 im Spertental bei Kirchberg das Licht der Welt und schon die ersten Worte, die er im elterlichen Bauernhof „Katzendorf“ hört, sind alles andere als Tirolerisch: „Beim Simmern unten hat’s ein Bubi abgegeben!“, hallt es aus einem nordrheinwestfälischen Munde. „Und dann war i halt allweil der ‚Bubi‘“, erzählt der sympathische Aschinger während er eine Brise aus der Tabakdose schnupft. Als er 23 ist, verunglückt sein Vater beim gemeinsamen Baumfällen tödlich. „Der Dad is auf die falsche Seitn grennt, und i hab ihn mit dem Teufl von Baum verschwinden gsech’n“. Wegen dem anstehenden, zu hohen Investitionsbedarf entschließt Engelbert sich, von Viehwirtschaft auf Schafe umzustellen. Ein Segen war es da, wie für so viele kleine Landwirtschaften, einzelne Räume im Hof an Gäste vermieten zu können: „Vier Kammern, und eppas hamma selber a braucht“.
Verkaufen ihre Betten, schlafen auf Stroh
„Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh. Sie verkaufen ihre Betten und schlafen auf Stroh!“, heißt es in einem Volkslied. Er, der die Geburt vom „Bubi“ verkündete - nennen wir ihn, um seine Privatsphäre zu wahren, hier „Jakob“ – kam samt Gattin und Tochter aus dem hohen, deutschen Norden ins ferne Aschau. „Ne, ruf mal ne Taxe!“, imitiert Engei ihn gekonnt. „Und dann ham wir zwoa a diam in Aschau oan vorglüht (*)!“ Bis in der Früh. Einmal sind sie mit dem Traktor zum selben
Ritual getuckert. Nicht nur der Felix Mitterer hätte mit diesem Bild seine Freude gehabt.
„Wenn ich nach Katzendorf fahre, da fühl ich mich so Zuhause, ne!“, sagte Jakob oft zur Mam. „Sie hat guat gekocht, aber viel mitgmacht“, weil die Herrschaften oft erst um halb neun statt um halb sieben gekommen sind. „Und boid er amoi beim Aprés Ski z’viel intus ghabt hat, hab i eam in der Nacht wieder heimholen können“. Gegen gutes Trinkgeld? Nein! „Kohle hat er gnuag ghabt, aber da hast nit vü zuachadakloben (*)“. Doch Engei will dem Jakob nichts Schlechtes nachsagen.
Auch Bayern, bei uns „Boarn“ genannt, sind bei ihnen abgestiegen. Da fiel für den Engelbert mal die Tochter der Hausgäste für eine “Vergnügungssache“ ab. „Des war a bissl a schwieriger Flirt. Und als Bäuerin hätt’ sie a koa Gschau ghabt“. ‚Bauer sucht Frau‘ endete nach einiger Umanandgraserei (*) schließlich mit der Heirat seiner Veronika, einer Ungarin. Mit ihr ist er schon über 10 Jahre glücklich. Dem Wunsch einer Bekannten nach sollte er für eine Woche nach Niederösterreich kommen, um sie kennenzulernen. „Wie stellst dir das vor?“, fragte er. „Soll ich das Viech mitnehmen?“ Also kam sie zu ihm, und es passte. „Wo der Mensch herkimmt, ist ja wurscht!“
Der Gast ist König
Womit wir wieder bei unseren deutschen Gästen wären. „Wenn sie kommen, zoagt ma eana, dass sie willkommen sind“, sagt Annemarie Plieseis. „Ihnen gfallt unsere ungenierte Lockerheit, und leicht passiert es daher dann auch, dass sie gerne ungeniert und locker in unserer Wohnung sitzen“. Das kennt auch ihr Osttiroler Mann Albin aus seiner Heimat. „Es gibt natürlich auch viele sehr Nette, die Rücksicht nehmen“. Annemarie findet es wichtig, zum Gast freundlich zu sein. „Er soll sich ja wohl fühlen, und wir freuen uns ja auch, wenn es Kunden gibt, die unser Angebot annehmen und dafür bezahlen“. Annemarie sieht das als „Geben und Nehmen“.
In der Fernseh-Hitserie war auch ein Westendorfer Original mit dabei, der Niedinger Anderl, den meisten von uns als vollbärtiger Brixentaler Andreas-Hofer-Verschnitt bekannt. Ich besuche ihn auf seinem Hof hoch über Westendorf. Und schon legt er los, erzählt, erzählt und erzählt. Auch davon, dass es ihm in den letzten Monaten nicht gut gegangen ist. Ein Gelenk haben sie ihm entfernt, „Da hat’s mir den Kreislauf und die Nieren packt“. Anderl war schon mehr drüben im Jenseits und dabei acht Tage lang im Koma. 15 Kilo hat er verloren, doch mittlerweile hat ihn seine Frau Burgi, eine ehemalige Krankenschwester, wieder ganz gut aufpeppeln können.
Den Fremdenverkehr willkommen heißen
Und wieder erzählt und erzählt er. Niedinger Anderl ohne Reden, das gäb’s nicht. „Der hat dreimal ‚Hier!‘ gschrien, wie er auf die Welt kommen ist“, meint Burgi. Sechs Kinder haben sie und Anderl bekommen. Zwei davon starben nach der Geburt auf tragische Weise. Er zwirbelt seinen Bart nach oben. „Der Hund is alle Gebut untn!“ Und die Deutschen, Anderl? „Früher hat ma gmoant, ma kriagt von ihnen a diam eppas Guats, weil ma a Not gehabt hat“, erzählt er. Daher hat man sie gern gesehen. „Den Fremdenverkehr muss ma willkommen heißen, weil sonst stand ma nit so da, wie wir dastehen. Wir mögen froh sein, dass wir eppas dazuverdienen können“. Zum Beispiel fürs Häuslbauen. „Unser Markl mögt ihr aber schon“, hörte er oft, als es noch die gute alte D-Mark gab.
„Sie sind halt gern gscheit da herin“, sagt Anderl, „Und moanen, alles verstanden wir da herinnen nit“. Sogar beim Sensen-Dengln: „Wollen uns zoagn, wie sie es anders toan, a wenn’s so schiaga nit zum Durchführn is“. Und die Bayern? „A Boar is a Stubn voll Gschroa!“, zitiert er einen Spruch. „Aber decht toans oan mögen“. Und Anderl mag sie. „Wir haben ja den Reim, dass wir Tirol von ihnen zrückkriegt haben. Da mög ma dankbar sein!“ Wie wahr.
„Der Anderl is überall dabei!“, sagt seine Burgi: „Bei jeder Brennsuppn!“ Und so kam auch die TV-Piefke-Saga nicht ohne das Original aus. „I geh als Schütze vorbei, wie der Sattmann den Schranken zamfahrt“. Das wenig charmante Wort „Piefke“ übrigens geht zurück auf die Schlacht bei Königgrätz 1866. „Da haben die Österreicher gegen die Preußen verloren“, weiß Annemarie Plieseis, „Und ein preußischer Offizier namens August Piefke hat einen Siegesmarsch geschrieben, in dem wir total verhöhnt worden sind. Seit damals hat die Bezeichnung „Piefke“ einen negativen Beigeschmack.
Mit einem ostdeutschen Ehepaar angefreundet
Wenn Anderl als Fotomotiv herhält, benützt er noch schnell und heimlich die Spraydose, damit die Haarpracht sitzt. „I tu wie so ein Manager, ein bissl begrüßen und so“. Auf seine Art mit Jodeln und Juchitzen. „I möcht für unser Dahoam ein Vorbild sein“, sagt der Westendorfer. „Und Tirol in Ehren halten, weil wir haben so a schöns Landl. Wir müssen froh sein, dass wir hier dahoam sind. Ins geht’s da jetzt so guat“. Anderl und Burgi zeigen oft deutschen Kindern aus der nahegelegenen Alpenschule ihren Stall und die Tiere, erzählen vom Leben am Bauernhof, und warum die Kühe hier nicht lila sind.
Auch haben sie sich mit einem Ostdeutschen Ehepaar angefreundet. „Sie kommen gern auf einen Ratscher und Kaffee zu uns“, erzählt Burgi. „Sie sind gern da, wollen eine geruhsame Zeit“. Sogar bei der Heuarbeit helfen sie schon mal mit. Anderl sagt immer: „Je oafacher, desto gmiatlicher!“. Die Freunde haben ihm zu Weihnachten auch geschrieben. „Dass sie mit mir wegen meiner Krankheit mitfühlen. Haben Fotos gschickt, ein Polsterl zum Draufliegen und Herzerl“.
Der Gast war vom Hofverkauf nicht begeistert
Dem Engelbert schlug die jahrelange, landwirtschaftliche Arbeit auf die Gesundheit. Nach einem Holzunfall waren beide Schultern im Eimer, und mit dem Kreuz war es auch ein Kreuz. Die Invaliditätspension wurde genehmigt, und so entschied er sich 2006, den Hof zu verkaufen. Sein deutscher Freund Jakob und einige Gemeindebürger waren darüber not very amused, „Aber i werd sie nit fragen, ob ich’s hergeben derf oder nit!“ Heut fährt Engei Taxi. „Ohne was toa, das dahalt i nit aus“.
Vor einiger Zeit flogen Engei und drei Kaschter-Freunde nach Hamburg. Zu Jakob. Zum Kulturaustausch. Von Samstagfrüh bis Sonntagabend. Und wenn vier gestandene Tiroler derart ausrücken, brauchen sie bestimmt kein Hotelbett. Im Kleinbus geht’s zum Fischmarkt im Hafen. „Nobel Fisch gspeist und den Hamburger Dom besichtigt“. Nach Entledigung von Jakobs Frau und Tochter, „sind wir dann mit eam bis Krumpifufzehn (*) auf die Reeperbahn gangen. Um halb sechs zurück zum Fischmarkt, no an Durscht ghabt und an Glust auf an Räucheraal“. Moment! Da fehlen ein paar Stunden! „Naja, in der Herbertstraße, vor einem Tabledance-Lokal“, sagt einer von ihnen: „Da müss ma eini. Da ist die Hölle los!“ Nach 20 Minuten anstehen und Löhnung des satten Eintritts, war die Hölle für Engei zu heiß: „So a Mettn, da bin i wieder aussi beim Loch“. Doch es gibt auch draußen genug zu sehen: „Die Laufhäuser, drei bis vier Stockwerke und jedes voller Damen. Aussuchen könntest sie, wie da vikimmt. Na, muass ans a amoi gsechn haben“. Soviel jedenfalls zu Tirolern, wenn sie mal umgekehrt in Deutschland die Sau rauslassen.
Man hat hier bald kein Sein mehr
Vor gut einem Jahr sorgten die Immobilienkäufe und -bauten eines deutschen Finanzmanagers in Engelberts Heimatdorf Aschau für Schlagzeilen. „Is schad in so einem Dörfl inna. Da gehörert scho a bissl a einheitlicher Stil her. Und dann die Grundstückspreise …! Da hat der Einheimische bald koa Sein scho nimmer! Zuviel Schindluder mit Vitamin ‚B‘, dem sollte man einen Riegel vorschieben. Als Engei seinen Hof verkaufte, dachte er schon dran, sich einen Baugrund zu kaufen. „Aber woaß Gott wo wollt i a nit sein“. Da wo es noch leistbar wäre. So genießt er nun sein Leben in einer netten Eigentumswohnung in Westendorf.
1991, kurz bevor der vierte Teil der Piefke-Saga verfilmt wurde, plauderte ich mit Felix Mitterer, der mit den Schulaufsätzen das Schreiben in der Volksschule Kirchberg begann. „Ich bin immer traurig, wenn ich nach Kirchberg zurückkomme“, erzählte er. „Weil wenn ich die ganzen Hotels, Pensionen und alles sehe, habe ich das Gefühl, dass das nicht mehr der Ort ist, wo ich als Kind glücklich war. Das haben sie mir kaputtgemacht“. Dabei spürte Mitterer schon als Kind, wenn er von der Fleckalm zum Kaiser hinüberschaute, dass das eine der schönsten Landschaften der Welt ist. „Und das ist sie immer noch“, sagte er, „Aber die, die hier ununterbrochen leben, merken nicht, wie es wächst und wächst, und was da an Schäden angerichtet wurde, an der Architektur, der Landschaft und am Menschen“.
Gottseidank mag jeder einen jeden
Felix Mitterer kam letztes Jahr auch zu einer Aufführung der Piefke-Saga. „Er is a bois ghockt mit uns, und hat zu jeder kleinen Rolle was Lobendes gesagt“, freut sich Annemarie. Den Engei adressierte er schon bei seiner Ansprache auf der Bühne: „Schian, wenn i den Engelbert wieder amoi siech!“ Engei lächelt: „Des gfreit oan decht“. Negative Reaktionen von Urlaubern gab’s nur wenige. Annemarie wurde mal von einem deutschen Theaterbesucher gefragt: „Sie, sagen Sie mal, sind wir wirklich so?“. Sie antwortete: „Ja. Aber wir sind genauso!“, und sie fügte hinzu: „Wir mögen uns trotzdem“.
Unter dem Motto „Einst Feinde und jetzt Freunde“ besuchte der Niedinger Anderl mal eine gemeinsame Feier von Tirolern und Bayern. „Wir sind heut friedlich. Und Gottseidank mag a jeder an jeden, und lasst an jeden leben. Mir rät er: „De Gschicht muasst machen, Edi. Solang du den Hax daziachst, kust nit aus! Aber schreibst halt bitte scho, dass i nix Schlechtes moa über die
deitschn Gäst“.
Übersetzungshilfe
Brixentalerisch - Hochdeutsch
D’Frempn – unsere lieben Gäste
Oan voaglühn – etliche Glas Bier voraustrinken
Zuchadakloben – abgezockt
Umanandgraserei – mehrere Damen ausprobieren
Bis Krumpifufzehn – bis in die späten Morgenstunden
TEXT: EDUARD EHRLICH
FOTOS: JOHANNES KOGLER, VOLKSBÜHNE WESTENDORF
ERSCHEINUNGSDATUM: MAI 2015