Knödelstory
Welch wundervolle Geheimnisse sich hinter so manchem St. Johanner Knödel verbergen
Knödel-Alarm in St. Johann! Im September steigt wieder das Almfest mit dem längsten Knödeltisch der Welt, an dem im riesigen „Open-Air-Gasthäusl“ zirka 26.000 Stück (!) von 17 Festwirten verabreicht werden.
Zum Beispiel vom Brunner Fred, dem Wirt des Gasthofs Mauth, in dem mindestens seit 1693 Gäste bewirtet werden. In Wirtshäusern werden Geschichten erzählt. Was mir der Fred auftischt, als ich ihn auf seine Semmelknödel anspreche, damit hab ich nicht gerechnet.
Fred entdeckte Außergewöhnliches an sich
Er wollte Mechaniker werden, doch sein Weg führt ihn in die Tourismusschule – mit eher bescheidenem Erfolg. „I hab wohl a Allergie gegen Lehrer“, meint er, „Obwohl i ja woaß, dass jede negative Energie aus dem Körper wieder aussazubringen is“. Und da sind wir schon beim Thema, das dem „Saini Hanser“ das Adrenalin in die Venen jagt. Schon als Kind entdeckt Fred Außergewöhnliches an sich: „Da hu i mi wegtoa können – hu mi niederg’legt und hu g’wartet, bis i den Puls bei die Ohrwaschl spür“. Dann reiste er geistig in ferne Länder. „Meistens in den arabischen Raum. Die Reisen waren total irre, hochspannend, live dabei. Das war viel lässiger als Fernsehschauen“. Interessant! „Wenn mich jemand wecken wollt, hab i ihn g’hört, hab mi aber nimmer bewegen und die Augen nit aufmachen können“. Was das ist, weiß Klein-Fred damals nicht. „Man kann es ruhig träumen nennen. Was wir ja total verlernt haben“.
Als kleiner Stöpsel hockt Fred gern bei den alten Mandern. „Später bin i dann g’schamig g’worden“, und verzieht sich lieber in die Kuchl. Als er von der Villa Blanka heimkommt, verkündet er: „So, Leitln, jetzt bin i da, aber können tua i nix!“. Seinen jüngeren Bruder fragt er: „Willst du das Wirtshaus?“. Und Christa: „Na, du bist Wiascht, Fred. Nimms du’s!“ Doch als der Vater stirbt, meldet der Halbbruder Ansprüche an, und es folgt ein langer, nervenaufreibender Erbschaftsprozess. „Im Zuge der ganzen Aufregung hab ich zu beruhigenden, alternativen Heilmethoden gefunden. Es ist wichtig, dass man wieder vermehrt auf das Intuitive geht“. Der Wirt erzählt, dass Menschen ohne Augen sehen können, von Musik-CDs auch Texte ablesen können, und dass man die Seele wiegen kann.
"I bin ein reinrassiger Gastronaut"
Ist er also ein Welten- und Zeitenreisender? „ I bin ein reinrassiger Gastronaut“. In seiner Oldtimer-Werkstatt baut Fred auch, was er für seine „Heil-Gschichtn“ braucht. Und schon holt er einen Resonanzkasten, ein Monochord, auf dem diverse Töne hörbar werden. „Was am Tisch klingt, passiert auch in deinem Körper“. Man kann alles mit Informationen belegen, wie beim Handy“. Auch einen Semmelknödel!? „Absolut! Durch Agnihotra – ein uraltes, vedisches Feuerritual. Die Asche hat eine irre Heilkraft. Und beim Kochen beziehe ich sie immer mehr ein“. Sie entgiftet alles. In der Mauthschen Speisekarte steht der Zusatz: Vitalisierung und Harmonisierung durch „Agnihorta“. Fred bringt einen kleinen, selbstgebauten, mit der Asche gefüllten Holz-Energieanhänger und legt ihn zu meinem Tee, damit er wirken kann. „Wenn einer moant, dass ich ihn a bissl uschutzen ku, mag er scho kemmen“. Fred hat den Gewerbeschein als Energetiker. „Geheilt wird durch Informationsübertragung“, Allergien etwa. Er bringt ein weiteres Gastronauten-Werkzeug, eine Stahlfeder – einen Tensor, den er gleich bei mir ausprobieren wird.
Viele Mädels träumen von einem Italiener
Erst aber zu Freds Nichte, zur Birgit Muzzopappa. Auch sie ist Wirtin und heißt so, weil ihr Mann Antonio aus dem italienischen Kalabrien stammt. Sie betreiben in St. Johann das Ristorante Pizzeria La Rustica, und offerieren beim Knödelfest gschmackige Salamiknödel. Ihre Grande Amore lernt Birgit kennen, als sie in der Gastronomie in der Schweiz landet. Antonio arbeitet im selben Betrieb als Pizzakoch. „Meine Freundin und ich mit 20 Italienern unterwegs - simma dagsitzt und haben im Wörterbuch geblattelt“. Dabei sieht sie Toni in die Augen. „Das war sowas wie Liebe auf den ersten Blick“. Bingo! Wo doch so viele Mädels von einem italienischen Mann träumen. „Tschagg!, und gschnappt hab ich ihn mir a glei!“, lacht Birgit. Bald reisen die frisch Verliebten erstmals nach Kalabrien, und Toni zeigt ihr seine wunderschöne Heimat: das zur Provinz Vibo Valentia gehörende Städtchen Mileto, eine Viertelstunde entfernt vom Meer.
Zurück im Norden bringt Birgit ihre Kinder Michele und Vanessa zur Welt. 1994 nehmen sie die Herausforderung an, in Birgits St. Johanner Elternhaus ein Lokal zu eröffnen. „Mit viel Arbeitseinsatz geht alles“, sagt die fleißige Arbeitsbiene. Die legendäre südländische Eifersucht rund um seine Frau kriegt Toni bald in den Griff, lernt, dass zu einer trinkfreudigen Tiroler Gaudi auch mal ein Schenkelklopfer oder Freundschaftsbussl gehört. Bei seiner Tochter tut er sich da noch schwerer, wenn sie allein unterwegs ist. Italiener sind viel mehr auf die Familie bezogen. Deshalb reist Antonio jedes Jahr zwei-, dreimal für einige Tage nach Bella Italia. Dass sein Vater und seine Schwester verstorben sind, darunter leidet er immer noch sehr. „Bei uns hat jeder seinen Haushalt“, sagt Birgit, „Und ab und zu besuchst du deine Eltern oder Verwandten. Das ist da unten anders“.
„Mamma sein“ ist in Italien ein Fulltimejob!
Damit verbunden, bedeutet Italienern auch das Kochen und Essen mehr als uns Tirolern. „Für mich ist es das Dolce Vita“, sagt Antonio. Das süße Leben! „Wir waren in meiner Familie 6 Kinder und sind immer zur selben Zeit auf einem Tisch gesessen. Die ganze Familie hamma geladen, immer 20 Personen“. Typisch für Kalabrien. Das Ritual beginnt beim Einkauf, nicht im Geschäft, sondern hinterm Haus. „Was seine Mamma alles findet in der Wildnis! - Wilden Broccoli, Spinat, Origano, Feigen, Nüsse. A Wahnsinn“, schwärmt Birgit. „Die könnten sich total selbst versorgen“. „Mamma sein“ in Italien ist ein Fulltimejob! Eine „Casalinga“ ist immer Zuhause, weil sie alles für die Familie tut. Sie fragt ihre Lieben, was sie wollen - Pasta al forno? Faschiertes? Fagioli gebraten? „Die Mamma bereitet den Tisch vor“, erzählt Antonio, „Und kocht alles selbst“.
„Unten ist jeden Tag ein großes Fest“
Die Mamma serviert die Gerichte oft in Terrakottaschüsseln: Antipasti mit Bohnen, Kichererbsen, Paprika, Jungzwiebel mit Eiern etwa, dann zwei, drei Nudelgerichte. „Dazu ein Flascherl kalabresischen Wein, Wasser, und dahin geht’s!“ Dann hockt die Familie an die drei Stunden am Tisch. „Schön gemütlich, nit so stressig“. Essen und plaudern, denn die Familiengespräche sind wichtig. „Wenn einer streitet“, sagt Antonio, „lassen wir ihn nicht alleine. Einer hilft dem anderen“. La famiglia! „Wenn wir unten sind“, sagt Birgit, „ist ein großes Fest, jeden Tag mit 20 Leuten am Tisch“. Ihre Hochzeit feierten Birgit und Antonio in Kalabrien mit 150 Personen. Toni zeigt Fotos seiner Heimat, da packt den sympathischen Kalabresen die Sehnsucht. „Im Sommer hab ich Heimweh“. Die Mamma hat ihren Filius auch als Koch geprägt. „I hab ihr immer beim Kochen geholfen, wie ich klein war“. So servieren er und Birgit im ‚La Rustica‘ ihre beliebte Pasta al Forno, ganz so wie sie seine Mamma macht. Ein Touch Italien landet auch in den Salamiknödeln mit Butter, Parmesan und Krautsalat, die sie beim Knödelfest offerieren. „Wir haben Mailänder Salami drin, die ist mild und gschmackig“. Antonio – man spürt an ihm, wie sehr das Kochen und Essen Lebensgefühl sein kann, und auch Balsam für die Seele.
Im Gasthof Mauth wird „energetisch gschaftlt“
Apropos Seele – zurück in den Gasthof Mauth, zum Brunner Fred. Wo früher gekaschtelt wurde, tut der Gastronaut heut mit Gleichgesinnten gern „energetisch gschaftln“. Auch Tochter Anna Maria und seine Frau Martina sind längst Experten in alternativen Heiltechniken. „Richten tut der Mensch es ja immer selber“, sagt Fred. „Man gibt nur einen kleinen Impuls, damit sich der Körper selbst heilt“. Man könne etwa jemanden die Wirkungskraft von 500 Pflanzen infiltrieren. Der Gastronaut hält mir den Tensor entgegen. „In deinem Seelenraum sind über 700 fremde Seelen. Und deine eigene ist nicht da. „Na, Servus!“, sag ich. 700 fremde Seelen? Ist das normal? „Oft haben Leut noch viel mehr“. Das beruhigt. Dann holt der Forscher mit glühendem Interesse für das Gesetz von Ursache und Wirkung mir meine Seele wieder zurück! „So, is scho da! Jetzt bist wieder a neuer Mensch!“ Gut!
Und der Semmelknödel!? – der steht ja auch für das ganze Universum und kann heilen! Ja. Mit Agnihorta, auch eine Methode, mit der Fred heilt – auch sich selbst. „Je nachdem, wie viel ich zu toa hab, und ob i am vordern Tag oan g’suffen hab. Weil doscht hu i für die Sachen nit daweil“. Ich lache auf! „Wichtig ist, ma derf das alles nit so ernst nehmen“, meint der Gastronaut selbstironisch. Jedenfalls weiß er: jede Krankheit ist dazu da, einem etwas aufzuzeigen. „Die ist ja nicht sinnlos. Im Leben hat alles einen Sinn!“ Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass viel dran ist, von dem, was mir der Wirt aufgetischt hat. Danke für das Interview inklusive Rundumbehandlung. „Bittschön“, lacht Fred, „Ich mach auch Hausbesuche – wenn g’nuag Weißbier dahoam is!“
Was sich hinter so manchem simplen Knödel für Welten auftun, ist schon erstaunlich, nicht wahr?
TEXT: EDUARD EHRLICH
FOTOS: TVB ST. JOHANN, FRANZ GERDL, PRIVAT
ERSCHEINUNGSDATUM: MAI 2015