Der Unbeirrbare

Früher als Spinner bezeichnet, genießt Kräuterbauer Hans Baierl heute mit seinen Produkten großes Ansehen.

Hans bei der Arbeit mitten in seinen Kräutern. © Kräuterschaugarten Obertreichl

Über uns schweben fast lautlos die Gondeln. Es duftet nach Lavendel. Und jetzt nach Rosmarin, nein nach Verbenen. Und nach anderen Kräutern. Immer wieder trägt mir der Wind eine andere Duftwolke zu. Schmetterlinge tanzen durch die Luft und umschwärmen den wilden Thymian. Der Kräutergarten hier oben am Ritschberg in Brixen ist wie ein Zaubergarten, voller Magie, und die Aussicht über das Brixental erweitert nicht nur das Blickfeld, sie weitet auch das Herz.

Hans Baierl lacht. Er hat ja auch gut lachen, denn für ihn ist der „Zaubergarten“ täglich geöffnet. Gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth, Lisi, führt er Besucher in den Garten und dabei ein in die Geheimnisse der Kräuterwelt, der Bio-Kräuterwelt. An die 130 verschiedenen Pflanzensorten haben die beiden hier kultiviert, angelegt auf Terrassen, die wir auf einem Kiesweg erwandern. Jede Pflanze ist mit einem Schild benannt, und dazu gibt es von den Baierls wissenswerte Informationen. „Gegn fåst ois is in da Natur a Kraut fia uns g’wåchsen“, weiß er.

Vom Bäcker zum Bauern

Dabei ist der Hans selbst gar kein Bauernbursch, wie man meinen möchte, sondern ein „Stadler“, wie er selber sagt. Er ist in Kitzbühel aufgewachsen und genoss eine unbeschwerte Kind- und Jugendzeit, die von viel Freiheit geprägt war. „I wår nur zum Essen und Schlåfn dahoam“. Mit Freunden und auch allein war er viel in der Natur unterwegs, am Berg, vor allem am Wilden Kaiser. Eine Wanderung führte ihn eines Tages auf die Hohe Salve, und in Brixen „verirrte“ er sich auf den Obertreichl-Hof. Eine Fügung des Schicksals, denn der durstige Wanderer wurde von der bildhübschen Tochter des Hauses, Elisabeth, gerne versorgt. Zuerst bekam er zu trinken. Und als er wiederkam, wohl mehr als nur das. „Då bin i hängen bliebn“, erinnert sich Hans lächelnd. 1975 war das, damals führte noch keine Straße hinauf zum Hof. Wollten die beiden ausgehen, mussten sie erst zu Fuß ins Tal, und danach natürlich wieder hinauf. Das war beschwerlich, aber „a lustige Zeit. Nit so wia heit, dass ma bis vor de Haustür fåscht“, meint Hans.

Hans hängte seinen Bäckerberuf an den Nagel, wurde „Båhnala“. Er nahm mit Elisabeth in Kitzbühel eine Wohnung, sie bekamen drei Kinder. 1987 entschlossen sie sich, den Hof von den Schwiegereltern zu übernehmen und führten jahrelang zwei Haushalte. Die Kinder gingen ja noch in Kitzbühel zur Schule.

Im Kräutergarten ist so gut wie jede Pflanze beschriftet. © Bei ins dahoam

1990 bauten die Baierls dann um und für jedes Kind eine Wohnung. „Mia håm jå nit g’wusst, dass die ausroasn und des Weite suachn,“ lacht Hans, „galingst san mia zwoa alloa g’wesen.“ Denn die beiden Töchter sind in Wiener Neustadt und Kärnten verheiratet, der Sohn lebt in Stuttgart. Die Wohnungen sind jetzt Ferienwohnungen für Dauermieter.
Schon 1990 begann Hans mit der Direktvermarktung. „I als Stadler håb die Landwirtschaft nit als Jammerer g’sechn, sondern als Betrieb. Und då muass wås draus g’måcht werden.“ Zuerst hielten Hans und Lisi Schafe und vermarkteten Schafwollerzeugnisse, auch die Mastgeflügel-Zucht war erfolgreich. Sie arbeiteten biologisch, auch in der Tierhaltung. Etwas anderes kam für die beiden Naturmenschen nicht in Frage. Die Struktur am Berg erwies sich für beides jedoch auf Dauer ungünstig. „Da Lisi is dånn vorkemma, sie braucht an Kräutergarten und hat Führungen gmåcht. „Schau dia Spinner u, des is jå a Wahnsinn, wås dia då måchn“, sagten die Leute unten im Dorf. Doch die Lisi hatte als Bergbauernkind schon immer einen engen Bezug zu den Kräutern und entschloss sich, eine Ausbildung zur Heilpraktikerin zu machen. Als der ORF eine Sendung über den Brixner Kräutergarten ausstrahlte, war das ein Startpunkt. Von da an interessierten sich immer mehr Menschen für das, was die Baierls da oben am Obertreichlhof trieben.

Alles bio am Obertreichlhof

Lisi ist Spezialistin für das Trocknen und Verarbeiten der Kräuter. © Bei ins dahoam

Seit 1992 ist der Obertreichlhof offiziell ein Biohof. Hans – er blieb bis zu seiner Pensionierung bei der Bahn beschäftigt – entwickelte sich zu einem aktiven Bauern, der vor allem auf die Direktvermarktung setzt. Er organisierte ein Biofest in Brixen, das von den verschiedensten Seiten mit viel Skepsis betrachtet wurde. Aber als sich das Konzept als erfolgreich herausstellte, waren alle begeistert. Er organisierte Märkte wie „Landleben in der Stadt“ in Kitzbühel, Kufstein und Wörgl, machte Hoffeste. Das alles war mit viel Aufwand verbunden. „Då muasst im Jänner scho wissen, wias Weda weascht im August.“ Der Kräutergarten lief gut. Darin sah Hans noch Potential. Also machte er in Südtirol eine Kräuterausbildung und setzte daheim den Pflug an, um ein steiles Stück Feld zu kultivieren. „De an Dorf unten håbn mi oi fia an Deppn koassn. Was håt er jetzt wieder vor, håms gsågt. Und da Traktorfåhra is scho schwitzad wån, weil a schiaga beim Okugln wår.“ Selbst seine Lisi war skeptisch. Als sie fragte, was er denn da treibe, nahm er sie auf den Arm: „I bau hoit a Getreide u.“ Als er sie in seine Kräuterpläne einweihte, war sie dann doch dabei.

Sie kauften in Südtirol und in der Steiermark die Saaten und Pflanzen ein und begannen mit dem Anbau. Es wurde gesät, gejätet, geerntet, ein Trockenschrank gebaut, extrahiert, mazeriert, gefiltert, abgefüllt. Dass das alles mit so viel Aufwand verbunden war, hatte selbst Hans unterschätzt. Hans machte einige Kurse, auch an der Bauernunternehmerschule in Innsbruck. Denn das Herstellen von Kräutern und Tees war eine Sache, die zu vertreiben eine andere. Er setzte sich zum Ziel, in einer Saison mindestens 500 Teesäckchen zu verkaufen. Und verkaufte 1.000. „Jeda Mensch muass a Ziel håm. Wer koa Ziel net håt, kimb zu nix“, ist seine Überzeugung. Hans und Elisabeth haben ihr Ziel nie aus den Augen verloren. Heute vermarkten sie ihre Produkte im eigenen Hofladen und auf Märkten wie dem St. Johanner Wochenmarkt, bei dem Hans jeden Freitag selber hinter der „Budl“ steht – und „nebenbei“ auch Obmann-Stellvertreter des Wochenmarktvereins ist. Er hat inzwischen in Rotholz die Ausbildung zum Kräuterpädagogen gemacht und gibt sein Wissen an Studenten und Praktikanten weiter, die auf den Hof kommen. Die Baierl produzieren in einem Rahmen, der ihnen am Hof möglich ist. „Aber wenns aus is is aus. Dånn gibt’s g’wisse Såchn eascht des naxte Moi wieder. Es muass net ois jeden Tåg auf’n Tisch auf’n Teller sein, net ois verfügbar sein.“

Die Zukunft wird sich weisen

Bio-Tees tun Körper, Geist und Seele gut. © Bei ins dahoam

Mit ihren Kräutern und „Trepfei“ konnten Hans und Elisabeth schon vielen Menschen helfen. Als Konkurrenz zur Schulmedizin sehen sie sich aber nicht. „Ma braucht boads“, weiß Hans. Immer mehr Menschen vertrauen wieder auf die Kraft der Natur, diese Erfahrung macht Hans täglich. Er freut sich darüber. Nicht nur, weil es sein Geschäft ist. Nein, die Kräuterkunde ist sein Leben. Und er weiß auch, dass die Kräuter nicht bei jedem wirken: „Wer sich nicht öffnen kånn, bei dem kimb de Natur nit eini.“

Hans gönnt sich eine kurze Rast. © Bei ins dahoam

Wenn die Kinder und Enkel zu Besuch kommen, wandern Hans und Elisabeth auch mit ihnen durch den Garten und zeigen ihnen stolz ihr Lebenswerk. Noch heute sind sie von früh bis spät auf den Beinen, um ihren Hof zu bewirtschaften. Sie werden es so lange selber tun, bis jemand kommt, der in ihre Fußstapfen tritt und ihre Philosophie und Arbeitsweise weiter trägt. Sie sind beide gesund und fit und dankbar für alles, was sie im Leben erreicht haben. Und alles andere wird sich weisen…

TEXT: DORIS MARTINZ
FOTOS: BEI INS DAHOAM, PRIVAT
ERSCHEINUNGSDATUM: MAI 2015

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