Feuernächte
Salvenwirt Peter Ager erzählt von Sonnwendfeuern und wie man es schafft, 2.000 Leute zum Schweigen zu bringen.
Es ist der 21. Juni. Die Dämmerung senkt sich über die Gipfel ringsum und legt tiefblaue Schatten auf die Flanken der Berge. Es war ein heißer Tag, doch jetzt weht hier oben auf 1.828 Metern Seehöhe eine frische Brise. Still ist es, friedlich. Peter tritt an die Feuerstelle heran, eine flackernde Fackel in der Hand. Fast feierlich hält er sie an den Fuß des Holz- und Reisighaufens. Im Nu lodert es hell auf, das Sonnwendfeuer auf der Hohen Salve ist entzündet. Die Flammen züngeln in die Dunkelheit, wild und gierig, immer höher in den Nachthimmel, gespenstisch verzerrte Gesichter zeichnend. Immer mehr Bergfeuer sind inzwischen entfacht. Am Wilden Kaiser reihen sie sich wie Perlen aus glühender Lava am Grat entlang. Seit Jahrtausenden zieht die archaische Kraft des Feuers uns Menschen in seinen Bann. Doch kaum einmal ist seine Energie so unmittelbar zu spüren, seine Magie so präsent wie in diesen Augenblicken.
Leben auf der Hohen Salve
Den Brauch, zur Sommersonnenwende – also am oder um den 21. Juni – ein Bergfeuer zu entzünden, gibt es in unseren Breiten schon seit dem Mittelalter. Seine Ursprünge liegen wohl aber noch viel weiter zurück. Denn archaische Sonnenkulte in Verbindung mit Feuerritualen sind bereits von den Kelten, Slawen und Germanen bekannt. Feuer und Rauch kamen dabei eine schützende und reinigende Bedeutung zu. Den Menschen waren Feuerrituale so wichtig, dass auch die Christianisierung sie nicht zu verbannen vermochte. Man ging pragmatisch vor: Statt eines Verbots erklärte man kurzerhand den 24. Juni zum Festtag von Johannes dem Täufer, und mit den „Johannisfeuern“ wurde dem heidnischen Treiben einfach eine christliche Bedeutung aufgesetzt. (Der 24. Juni entsprach im alten Kalender dem heutigen 21.6.) Vereine oder sonstige Gruppen machen sich deshalb noch heute auf den oft beschwerlichen Weg, um zur Sonnenwende ihr Höhenfeuer zu entzünden und so den längsten Tag im Jahr zu feiern.
Einer, der mit dieser Tradition groß geworden ist und seit vielen Jahren selber das Feuer entzündet, ist Peter Ager, Wirt des Gipfelrestaurants Hohe Salve. Er ist am schönsten Aussichtsberg Tirols, wie „die Salve“ oft bezeichnet wird, aufgewachsen. Die Geschichte der Familie Ager begann aber schon zwei Generationen davor: Peters Großmutter hatte das Gasthaus 1941 gepachtet und später gekauft. Eigentlich, weil ihr der Arzt nach zwei Fehlgeburten Höhenluft empfohlen hatte. Ein weiser Ratschlag, wie sich bald herausstellte. Peters Mutter kam pumperlgesund zur Welt und übernahm später den Betrieb. Als sich Peters Geburt ankündigte, es war im April 1956, fuhr die Mutter mit dem Schlitten ins Tal. Wie auch sonst?
Peter, sein Bruder und seine Schwester verbrachten eine schöne, unbeschwerte Kindheit auf der Hohen Salve. Auch wenn der Schulweg weit war. Eine Dreiviertelstunde brauchten sie im Sommer, um zu Fuß ins Tal zu kommen. Im Winter mit den Skiern waren sie schneller. Zurück ging es mit dem Sessellift bis zur Rigi, und dann eine knappe halbe Stunde bis ganz hinauf. Die Liftfahrt nützten die Kinder, um gleich „noch in der Luft“ die Hausübung zu erledigen. Das klappte ganz gut, nur wenn die Sessel die Liftstützen passierten, mussten sie absetzen, „sonst hätt’ ma ziemlich gekratzelt“. Peter lacht. Er hat aus dem ehemaligen Berggasthof ein rustikales Restaurant gemacht mit der berühmten „Drehterrasse“, die sich langsam um ihre eigene Achse dreht und dem Gast so spektakuläre Aussichten in alle Himmelsrichtungen erlaubt. Für Peter war es damals klar, dass er einmal den Betrieb übernehmen würde. Genauso wie es für Bruder Georg klar war, dass er das Skifahren zu seinem Beruf machen würde – er brachte es bis zum zweifachen Profi-Ski-Weltmeister.
Die Sonne wandert
Während Georg die Piste zu seinem Revier macht, steht Peter am Gipfel der Hohen Salve und kocht. Mit der selben Leidenschaft wie vor Jahrzehnten. Wenn er am Herd steht, sieht er durch die Haustür direkt hinaus in die Bergwelt. Nimmt er denn nach so vielen Jahren überhaupt noch ihre Schönheit wahr? „Da miassat’st amoi mei Frau frågen,“ lacht Peter wieder. Denn die Faszination der Berge, besonders die eines Sonnenauf- oder untergangs über den Berggipfeln, hält ihn immer noch gefangen. „Immer muass i schaug’n, wo de Sunn aufgeht. Und de Frau schimpft und sagt: a geh, jetzt siehst es eh tausend Mal, was muasst denn immer nu schaun?“ Doch an jedem Tag ergießt sich das Sonnenlicht in einem anderen Winkel über die Bergspitzen, erleuchten ihre letzten Strahlen abends immer einen anderen Ort. Spannend ist es, das zu beobachten. Die Schönheit dieser Momente bewegt Peter immer und immer wieder.
Bis zum Kilimandscharo
Peter ist ein echter Bergfex, durch und durch. Die Berge rufen ihn. Das Tristkogelhorn beispielsweise glänzt immer wieder verheißungsvoll durch die Haustür und lockt ihn wie mit Sirenenstimmen. 14 Mal war er auch schon auf dem Großvenediger, 7 Mal am Großglockner. Einige 4000er in der Schweiz hat er schon bezwungen, und auch den Kilimandscharo. Gemeinsam mit seiner Magdalena. Sie teilt seine Passion für das Berggehen. Viel Zeit bleibt den beiden als Wirtsleute nicht. Aber die Zeit, die sie haben, nützen sie. Das ist wichtig, weiß Peter: „Andere Leit’ såg’n, mia gehen scho einmal, so a Berg wia der Großglockner, der steht ja ewig. Aber des Hinausschieben bringt nix. Der Berg richt’ sich net nåch de Menschen, ma muass de Zeit nützen. Heit leben, net morgen.“
Andere Leit’ såg’n, mia gehen scho einmal, so a Berg wia der Großglockner, der steht ja ewig. Aber des Hinausschieben bringt nix. Der Berg richt’ sich net nåch de Menschen, ma muass de Zeit nützen. Heit leben, net morgen.
Kennen gelernt haben sich Peter und Magdalena übrigens bei einem Maturaball in Wörgl. „Då iss auf da Treppe g’stånden und i håb ma dåcht, ma fesch, de muass i ums Tånzen frågen.“ Liebe auf den ersten Blick, das war es auch für Magdalena. Die beiden haben zwei Kinder bekommen, Martin und Madeleine. Magdalena arbeitet natürlich mit, ihre Leidenschaft ist das Backen. „Magdalenas Bauernbrot“ ist bei den Gästen sehr beliebt. Sehr oft sitzt Peters Frau auch an der Kassa, denn das Kassieren überlässt ihr der Chef gerne.
Sohn Martin, 35, arbeitet bereits seit einigen Jahren an Peters Seite im Betrieb mit, und auch Tochter Madeleine ist im Tourismus tätig. Martin und seine Sophie haben Peter schon zum Opa gemacht, und der ist ganz verliebt in die kleine Amelie. Peter ist ein Familienmensch. Dabei stelle ich es mir nicht einfach vor, den ganzen Tag gemeinsam in der Küche zu stehen. Da muss es doch viele Reibungspunkte geben, und wie ist das eigentlich mit dem Generationenkonflikt? „Des is gånz einfach: Jeder håt sein Herd, sein Revier, und mia kemman uns nit in die Quere“.
Kraftplätze
Untertags teilt sich die Familie Ager ihren Platz auf der Hohen Salve mit ihren Gästen. „Aber wenn de Leit’ ålle weg san, dånn kimmt da stade Punkt.“
In diesen Stunden spürt der Wirt die Kraft des Ortes am Gipfel der Hohen Salve ganz besonders. Immer wieder zieht es ihn dann hinüber zum Kirchlein. Dort gibt es einen Platz, den Peter ganz besonders mag. Er befindet sich direkt beim Eingang, knapp vor dem schmiedeeisernen Gitter. „Då spürt ma beim Ausåtmen, wia alles åbfällt“. Auch andere haben das schon so erlebt. Für ihn ist das kein Zufall: „Wia’s de Kirche gebaut håben, håt ma sie då gebaut, wo schon de Kelten wåren.“ Ob die Kelten auch schon den „schwitzenden“ Stein kannten oder ihn gar auf die Hohe Salve brachten? Der Stein befindet sich im Inneren der Kirche, beim Eingang, „und die Oma håt immer g’sågt, wenn der Stein feicht wird, dånn kimmt a schlechtes Wetter.“ Und das stimmt, Peter hat es so oft schon erlebt.
Sonnwendfeuer – früher und heute
Magisch ist aber nicht nur der Stein auf der Hohen Salve, magisch sind auch die Sonnwendfeuer, die Peter von klein an kennt und oft genug selber entfacht hat. Früher waren es die Salvenberger und „Liftinger“, die zu Fuß auf den Gipfel kamen, Feuerholz am Rücken, um das Sonnwendfeuer beim Gipfelkreuz zu zünden. Peter erinnert sich an gesellige Stunden, an Geblödel und auch tiefsinnigere Gespräche am Feuer. Und an eine verrückte Aktion, über die er noch heute den Kopf schüttelt und lacht: Ein verwegener Salvenberger stellt einmal seinen Sack mit den Holzschnitzeln, den „Schoaten“ ab, und sagt: „I steig jetzt auf den Fernsehturm.“ Sagt es und kraxelt wirklich hinauf, ohne Sicherung natürlich, und damit nicht genug. Vor den ungläubigen Augen seiner Freunde macht er doch wirklich auf der kleinen Plattform ganz oben einen Kopfstand. Ein waghalsiges Husarenstück, das zum Glück gelingt und bei den Kollegen nur für ein ungutes Gefühl und offene Münder sorgt, sonst aber ohne Folgen bleibt.
Später kamen dann auch die „Sölllandler“, sie machten ein zweites Feuer etwas unterhalb des Gipfels. Romantische Nächte waren es, in denen auch nicht zu wenig getrunken wurde, ...
Im Jahr 2000 wurde dann die Bahn bis auf den Gipfel gebaut. Und plötzlich waren nicht mehr 10 oder 15 Leute beim Feuerbrennen, sondern zweitausend. Denn das Feuer auf der Hohen Salve war damals das erste, das für Touristen zugänglich gemacht wurde. Heute sind es nicht mehr ganz so viele. Eines fasziniert Peter dabei: „Wennst am Tag 2000 Leit’ då håst, håst a Mett’n. Wenn Feuerbrennen is, is alles ruhig.“ Das Feuer zieht alle in seinen Bann, niemand kann sich dieser ganz besonderen Stimmung und Atmosphäre entziehen.
Weil Peter seit 2.000 zur Sommersonnenwende am Herd steht, übernimmt seine „Kaschtarunde“ seitdem das Entzünden des Feuers. Einer der „Manda“ ist Heizwart beim Söller Heizwerk und kennt sich daher bestens aus mit der „Materie“. An Tagen wie diesen bleibt die Familie Ager am Berg und fährt nicht wie meistens sonst ins Tal, zum Haus in Söll. Peter muss ja schauen, ob nicht jemand übrig geblieben ist, er schaut, dass alle zur Bahn kommen. Und dann gehört ihm die Hohe Salve fast ganz allein …
Zum Feuerbrennen: Das Sonnwendfeuer wird um den 21. Juni entfacht. Vielerorts wird in Tirol Anfang Juni auch das Herz-Jesu-Feuer entzündet. Dieser Brauch geht auf den Herz-Jesu-Schwur im Jahr 1796 zurück, mit dem die Tiroler Einheit im Kampf gegen Franzosen und Bayern hergestellt werden sollte. Zum Zeichen des Schwurs wurden damals Bergfeuer entfacht.