Glockendorf Tirol in Waidring: Ein Ausflugsziel für die ganz Familie

Altes Handwerk im PillerseeTal neu entdecken

In Waidring im PillerseeTal blüht das Glockengießerhandwerk. Wir haben das Glockendorf Tirol besucht, wo einzigartige Einblicke in ein aussterbendes Handwerk für Staunen sorgen.

„Wenn du die Kirchenglocken hörst, bist du zu Hause“ – sagt man im Volksmund. Das zarte Erklingen des Glöckchens an Weihnachten, wenn das Christkind zur Bescherung ruft. Das schaurige Geläut der finsteren Gesellen beim traditionellen Krampuslauf rund um den Nikolaustag. Das beruhigende, ja fast meditative, Gebimmel der Kuhglocken auf den saftigen Almen. Der vielseitige Klangkörper begleitet die bäuerlich-ländliche Kultur seit Jahrhunderten. Kein Handy-Klingelton kann da mithalten.

blog-glockendorf-waidring-glocke© ofp Kommunikation

In Waidring hat das aussterbende Glockengießerhandwerk Tradition.

Glockenklang aus Waidring aller Welt

Während im übrigen Österreich das traditionelle Glockengießerhandwerk fast ausgestorben ist, blüht es am Fuße der Steinplatte noch immer. Glocken aus Waidring erklingen in aller Welt. Schließlich wird die Kunst des Glockengießens hier im Ort seit fünf Generationen gepflegt und weiterentwickelt. In Waidring befinden sich gleich zwei der letzten vier Glockengießereien Österreichs. Auf vielen Almen im europäischen Alpenraum prägen die Waidringer Kuhglocken das Klangbild.

blog-glockendorf-waidring-ausstellung© ofp Kommunikation

In der bäuerlich-ländlichen Kulturlandschaft sind die Glocken ein unverzichtbares Element.

Von der Idee zur Umsetzung

Die Idee, den historischen Hintergrund und die lange Tradition des Glockengießens für Jung und Alt erlebbar zu machen, gab es im PillerseeTal schon seit vielen Jahren. Aber erst mit der Gründung des Vereins „Glockendorf Waidring“ nahm das Vorhaben konkrete Formen an. Gastwirt Andreas Kals, Gründungsmitglied und heutiger Obmann, erinnert sich zurück: „Das Bewusstsein, dass im Ort Glockengeschichte geschrieben wird, war schon immer da. Es fehlten nur die richtigen Leute, um die Vision einer Erlebniswelt umzusetzen.“ Als treibende Kraft gelang es dem Verein, gemeinsam mit dem Tourismusverband, der Gemeinde und dem Regionalmanagement, das Glockendorf Tirol zu entwickeln.

blog-glockendorf-waidring-ausstellung-interaktiv© Johanna Leitner / Architekturfachgeschäft

Sehen, hören, staunen – die interaktive Glockenwelt ist ein Erlebnis für die ganze Familie.

Die interaktive Glockenwelt

Das Herzstück ist die 2019 eröffnete Glockenwelt, beheimatet im futuristischen „Biatron“ am Parkplatz der Bergbahn Steinplatte. Die riesige Schneekugel, die anlässlich der Biathlon-WM 2017 in Hochfilzen errichtet wurde, dient nun als Museum. Mit zahlreichen Exponaten und spannenden multimedial aufbereiteten Hintergrundinformationen können Besucher in das traditionelle Handwerk eintauchen. „Nach unserem Aufruf, haben die Waidringer ihre Dachböden und Keller nach historischen Gegenständen geplündert, die für die Ausstellung wertvoll sein könnten“, erzählt Obmann Andreas Kals. Echte Raritäten, wie die Hausglocke des Weindlbauers aus dem Jahr 1616 oder ein Glockenstuhl aus dem Jahr 1860, wurden so für die Nachwelt gesichert und sind nun einem breiten Publikum zugänglich.

Die Glocke als Warnsignal und Kommunikationsmittel

Der abwechslungsreiche Rundgang durch die Glockenwelt bietet nicht nur Einblicke in das Kunsthandwerk und die Geschichte, sondern hebt auch die vielfältige Bedeutung der Klangkörper hervor. So dienen Glocken in den Bergen seit vielen Generationen als Kommunikationsmittel und als Warnsignal. Die Glockentürmchen der traditionellen Bauernhäuser dienten früher zum „Rufen“, zum Beispiel wenn Zeit zum Essen war. Knechte und Mägde eilten herbei, wenn die Hausglocke ertönte. Viehglocken gehören auch heute noch zur Klangkulisse auf jeder bewirtschafteten Alm

blog-glockendorf-waidring-lugmair© Chiara Sophie-Adrian

Die Familie Lugmair prägte die Glockengeschichte in Waidring.

Geschichte spannend erklärt

Eine bedeutende Rolle in der Waidringer Glockengeschichte spielte die Familie Lugmair. Firmengründer Joseph Lugmair erlernte das Handwerk im Zillertal und in Jenbach. 1870 gründetet er in Waidring seine eigene Glockengießerei. Da sich damals nur wenige Menschen Glocken leisten konnten, fertigte er auch Lagerbüchsen für Wagenräder an. Daher stammt auch der Hausname: Beim Büchsenmacher Lugmair. Die Nachfahren dieser geschichtsträchtigen Familien leben noch heute im Ort. Wer einem echten Glockengießer über die Schulter schauen möchte, hat dazu bei „Lugmair`s Metallgießerei“ sowie bei „Kunst- und Glockenguss Richard Foidl“ Gelegenheit. Die beiden Meisterbetriebe öffnen regelmäßig ihre Werkstätten zum Schaugießen. Am besten verbindet man einen Besuch in einer der Gießereien mit dem Glockenweg, der seinen Ausgangspunkt bei der Glockenwelt hat, empfiehlt Vereinsobmann Andreas Kals

Glockenweg durch Waidring

Folgt man den goldenen Glocken des Rundweges, die als Wegweiser dienen, erhält man einen eindrucksvollen Überblick über den Dorfkern, wo sich immer wieder Rast- und Einkehrmöglichkeiten bieten. Der Glockenweg ist nach der Glockenwelt das zweite Projekt, welches der Verein mit Unterstützung des Tourismusverbandes, der Gemeinde und des Regionalmanagements, verwirklichte. „Acht Stationen erzählen Wissenswertes über das Glockendorf, seine Bewohner und Traditionen“, erklärt Obmann Andreas Kals. So erfährt man zum Beispiel, dass Waidring seit jeher ein beliebtes Reiseziel war. Schon Wolfgang Amadeus Mozart logierte, wenn er auf dem Weg nach Italien war, im Gasthof Post. Am Glockenweg erinnert heute eine gusseiserne Metallbüste an die Besuche des berühmten Salzburger Komponisten, denn das Kunstgießen hat ebenso seinen Ursprung in diesem jahrhundertealten Handwerk. Ein Glockengießer arbeitet nämlich ähnlich wie ein Bildhauer. Auch die edlen, handgegossenen Skulpturen und Trophäen aus Waidring sind in nah und fern höchst begehrt. Wieder eine Facette mehr, die das Gusshandwerk so faszinierend macht. Im PillerseeTal ist man stolz darauf, dass diese jahrhundertealte Kunst und das damit verbundene Brauchtum nicht in Vergessenheit geraten sind.

blog-glockendorf-waidring-giessen© Florian Mitterer

In der Glockengießerei in Waidring wird die Kunst des Glockengießens seit fünf Generationen gepflegt und weiterentwickelt.

Das Vermächtnis des Josef „Seppei“ Hauser

Glockenklänge begeisterten den 1925 geborenen Josef „Seppei“ Hauser schon in jungen Jahren. Die lebenslange Sehnsucht nach diesen spirituellen Tönen veranlasste ihn, den einfachen Hilfsarbeiter, Bauern und Holzknecht, zum detailreichen Nachbau eines gotischen Doms. Die Lebenswelt von Seppei beschränkte sich bis da- hin ausschließlich auf Waidring. Doch für das Projekt „Dombau“ wuchs er über seine Grenzen hinaus. Mit eisern gespartem Geld, um sich ein Taxi leisten zu können, besichtigte er das Straßburger, Freiburger und Ulmer Münster. Dort holte er sich die Inspiration für seinen Nachbau.

30 Jahre lang am Dom gebaut

Mit Lindenholz feilte und zimmerte Seppei über 30 Jah re lang in einem kleinen Raum an dem über dreieinhalb Meter hohen Kunstwerk, welches einen Chor mit 28

Glocken sowie ein Uhrwerk in sich birgt. Am 15. März 2016 verließ Seppei im 91. Lebensjahr diese Welt, um seinen Glockenlängen in höhere Sphären zu folgen. Sein einzigartiges Vermächtnis, der dreieinhalb Meter hohe Dom, bildet einen der Höhepunkte der Glockenwelt im „Biatron“ am Parkplatz der Bergbahn Steinplatte.

Johanna

Johanna

Als langjährige Journalistin einer regionalen Wochenzeitung liebe ich es, gute Geschichten zu erzählen. Am liebsten schreibe ich über Dinge, die mir selbst Freude bereiten - wie über die Menschen und Ereignisse im schönen PillerseeTal. Als Tirolerin bin ich sehr naturverbunden, reise jedoch auch gerne in der Welt herum. Fest steht für mich eines: Es gibt keinen „bärigeren“ Ort als Tirol. Mehr Details

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